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2009-11-23 Anmerkung:

Eine erste Bilanz der Neuanfänge
an den Theatern Mainz und Koblenz
 

Spannende Wechselfälle
 

ape. Koblenz.
 In der rheinland-pfälzischen Theaterlandschaft richtet sich die Aufmerksamkeit seit Beginn der Spielzeit 2009/10 vor allem auf zwei Neulinge: In Mainz hat Pascal Touzeau in der Ballettsparte  Martin Schläpfer abgelöst, in Koblenz Markus Dietze die Intendanz von Annegret Ritzel. Beiderorts offenbarten die ersten Premieren deutlich andere Handschriften als von den Vorgängern über die letzten zehn Jahre gewohnt. Beiderorts stießen neue Ästhetiken und Konzepte auf großes Interesse, aber nicht nur auf Begeisterung.


Mit der ersten Produktion „Related“ stellte Pascal Touzeau – vormals Tänzer bei der Frankfurter Avangarde-Truppe von William Forsythe und zuletzt als Choreograph in Spanien tätig – nicht nur sich selbst dem Publikum des Mainzer Staatstheaters vor. Präsentiert wurde zugleich mit Jacopo Godani ein zweiter Hauschoreograph, auch der ein ehemaliger Forsythe-Tänzer, sowie ein auf allen 20 Tänzerpositionen neu besetztes „ballettmainz“. Das war nötig, weil Vorgänger Schläpfer seine Mannschaft komplett an die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf/Duisburg mitgenommen hatte.

Der dreiteilige Einstand hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Unstrittig ist: Touzeau hat gut eingekauft; tanztechnisches Können und Ausdrucksvermögen der meisten Compagnie-Mitglieder sind vielversprechend. Sichtbar machte das die Übernahme einer der schönsten Forsythe-Choreographien, dem minimalistischen „Quintett“, mit dem Touzeau und Godani ihrem einstigen Frankfurter Meister die Reverenz erwiesen. Enthusiastisch wie dieses wurde vom Publikum auch Godanis „AURA“ aufgenommen.  Schwarze Bühne, eisiges Neonlicht und kalt-treibende Klangmontagen. Der Tanz changierend von strengster Akkuratesse zu formloser Verlorenheit. Das Stück ist Metapher auf eine Natur, Göttern, Idealen entrissene Welt, darin sind Menschen in mechanischer Getriebenheit auf sich selbst geworfen.

Touzeaus eigene Choreographie „Puzzle“ hingegen rief eher Ratlosigkeit hervor. Die Bühne oft nur diffus beleuchtet, entsteigen Tänzer in güldenen Einheitskostümen dem Fußboden, entschwinden über Treppen und Rutschen wieder in die Tiefe. Dies Kommen und Gehen zum spätromantisch anmutenden Cellokonzert von Peteris Vasks dauert an. Dazwischen kurze Soli und Kleingruppen oder recht simple Großformationen – in denen Forsythe-Stil überlagert wird durch reichlich klassischen Manierismus. In summa: Das ballettmainz hat einen passablen Neuanfang hingelegt; in welcher „Liga“ es künftig spielen wird, lässt sich indes noch nicht beurteilen.

Beim Neustart am Stadttheater Koblenz liegt der Fall anders. Während örtliche Kritik und Teile des Publikums sehr positiv auf das Programm mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert reagierten, tut sich das Gros des  Abonnements schwer damit. Schwerer wohl als Dietze, vormals Intendant in Stendal,  erwartet hatte. Mit „Wozzeck“ von Alban Berg in der Oper und „Jeff Koons“ nach einem Text von Rainald Goetz im Schauspiel machten neue Leitung und weitgehend neues Ensemble es den traditionell orientierten Theatergängern nicht eben leicht. Kein Zweifel, die entschlossene Öffnung hin zur Moderne und zu einer ambitioniert gegenwärtigen Inszenierungsästhetik war in Koblenz überfällig. Bleibt die Frage, ob Dietze und Co. ihr Konzept gegen das unwillige Knurren vieler Alt-Abonnenten durchhalten –  um mit der Zeit womöglich das Eis zu brechen und der Neugierde einen Weg zu spuren.

Wünschenswert wäre es, denn das künstlerische Niveau der Neuen ist beachtlich. Der „Wozzeck“ in der Regie von Operndirektorin Gabriele Wiesmüller und unter Stabführung von Musikdirektor Enrico Delamboye bestach mit einer in der Oper so nicht jeden Tag zu sehenden Konsequenz, musikalisch/sängerische und darstellerische Leistung als gleichwertige Herausforderung zu behandeln. Der Intendant selbst entwickelte bei „Jeff Koons“ aus den keinerlei Geschichte erzählenden Sprach-Kaskaden des Rainald Goetz eine bewusst zwischen Kunst und Kitsch schwebende Szenenfolge über durchgeknallte Kunstyuppies. Theaterhandwerklich schön gearbeitet, ließe sich über die inhaltlich doch recht plakativ geratene Persiflage allerdings trefflich streiten.

Das Niveau wurde bei den Folgepremieren gehalten. Massenets Oper „Don Quichotte“ mutierte in Koblenz zum psychologischen Traumspiel in einem überdimensionierten Kontor. Und das erste Stück der von Dietze installierten Hausautorin Sibylle Dudek überzeugte bei der Uraufführung mit einer ebenso gescheiten wie aufwühlenden Vivisektion der antiken Klytaimnestra-Gestalt aus den Blickwinkeln von vier Frauen. Wie sehr das neue Personal die Arbeitsatmosphäre im gesamten Koblenzer Haus verändert hat, zeigte die erste Ballettpremiere: Obwohl es beim Tanz als einziger Sparte gar keine personellen Veränderungen gab, stellte Ballettchef Anthony Taylor in seinem 27. Koblenzer Jahr mit  „Sind wir Helden?“ einen Ballettabend auf die Beine, dessen Güte choreographisch und tänzerisch für die örtlichen Verhältnisse als kleines Wunder gelten darf.

Neuanfänge also an den Theatern Mainz und Koblenz, auf deren weitere Entwicklung man gespannt sein kann. Auch sonst muss sich die rheinland-pfälzische Kulturszene an neue Gesichter und Stile gewöhnen. Zuletzt ernannte Ministerpräsident Kurt Beck seinen  Regierungsprecher Walter Schumacher zum Nachfolger für Joachim Hofmann-Göttig als Kulturstaatssekretärs. Der bisherige Amtsinhaber wird Oberbürgermeister in Koblenz. Zeitgleich übernimmt beim dortigen Staatsorchester Frank Lefers aus Bielefeld die Intendanz von Rainer Neumann, der sich fortan auf die Leitung der Staatsphilharmonie Ludwigshafen konzentriert, wo seit August mit Karl-Heinz Steffens ein neuer Chefdirigent wirkt. Wechselstimmung auch beim Staatsorchester Mainz, seit  unlängst GMD Catherine Rückwardt eine Verlängerung ihres Vertrages ablehnte. Das Jahr 2009 wird in Rheinland-Pfalz als muntere Fahrt auf dem Personalkarussell in Erinnerung bleiben. Andreas Pecht


Infos:
www.staatstheater-mainz.com
www.theater-koblenz.de

 
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