Thema Vorträge
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2009-12-06 Vortrag:

Konzerteinführung, gehalten in Koblenz am 6.12. 2009 (unkorrigiertes Redemanuskript, gesprochenes Wort teils abweichend).

Ausführende: Rheinische Philharmonie unter Daniel Raiskin, Martin Shalita (Tenor),  Tsun Tak Cheung (Horn)

Programm: Serenaden von Brahms, Elgar und Britten


1. Orchesterkonzert im Görreshaus 2009/2010

 
ape.  Meine sehr verehrten Damen und Herrn, liebe Musikfreunde, herzlich willkommen bei der Einführung zum ersten Orchesterkonzert im Görreshaus in der Spielzeit 2009/2010.

Denjenigen unter Ihnen, die hier das erste Mal dabei sind, darf ich mich kurz vorstellen: Gestatten, Andreas Pecht, freischaffender Journalist und Kritiker mit Arbeitsschwerpunkt Kultur, dort vor allem für Theater, klassische Musik und Literatur zuständig. Die Intendanz der Rheinischen Philharmonie hat mich gebeten, das interessierte Publikum, also Sie, mit einem kleinen Beitrag von maximal 30 Minuten auf das jeweilige Konzert einzustimmen. Dieser Bitte komme ich gerne nach, und das nun schon im fünften Jahr – Herrschaften, wie die Zeit vergeht.
Ich bleibe auch in der neuen Saison bei der bewährten Gewohnheit, Sie NICHT mit musikwissenschaftlichen Strukturanalysen der Stücke zu traktieren, die im Konzert folgen. Vielmehr nähern wir uns leichten Schrittes, offenen Herzens und hoffentlich auch regen Geistes dem nachherigen Musikereignis an, indem wir ganz unterschiedliche Aspekte neugieriger, interessanter und möglichst auch kurzweiliger Betrachtung unterziehen.

Mal nimmt der Vortrag allerlei gewöhnliche bis seltsame Phänomene des Musiklebens unter die Lupe und mäkelt gelegentlich sogar daran herum. Mal geht der Blick hin zu typischen bis sonderbare Momenten in Leben und Persönlichkeit der im Programm vertretenen Komponisten – das wären heute Edward Elgar, Benjamin Britten und Johannes Brahms. Mal gilt das Interesse bei unseren Einführungen mehr dem allgemein historischen und dem musikgeschichtlichen Umfeld. Etwa nach der Devise: Wie sah sie aus die Welt, in der unsere Komponisten lebten und arbeiteten? Was war dort los, und welchen Einfluss hatte jenes Damals auch auf das Leben der Zeitgenossen und das Schaffen der zur Rede stehenden Komponisten?

Beispielsweise: Wie kann es sein, dass Edward Elgars seinerzeitiger Verleger Novello sich 1892 brüsk und kategorisch weigerte, dessen Opus 20 anzunehmen und zu publizieren? Diese in Wahrheit reizende dreisätzige Serenade in E-Dur für Streichorchester, mit der unser Konzert nachher beginnt, zählt heute immerhin zu den populärsten und am häufigsten gespielten Werken des britischen Komponisten – gleich nach den „Enigma-Variationen“  und  den berühmten fünf Märschen von „Pomp and circumstances“. Obendrein  hielt Elgar, der zum Zeitpunkt der Auseinandersetzung  mit seinem Verleger 35 Jahre alt war,  just diese Streicherserenade für sein bis dahin erstes rundum gelungenes Werk. Und ausgerechnet von dem behauptete Novello: „Musik dieser Art, verehrter Mister Elgar, ist praktisch unverkäuflich.“ Jubiliert hat der Komponist über diesen Bescheid gewiss nicht.

Wenn Sie die Musik gleich hören, werden Sie ins Grübeln kommen über den Geschmack von Elgars Zeitgenossen. Denn diese Musik ist weder   hässlich, noch ist sie zu anspruchsvoll. Allenfalls könnten ein paar ganz strenge Puristen einwenden: Ein bisschen leichtgewichtig vielleicht. Aber dafür ist es schließlich eine Serenade. Einmal mehr bringt diese Episode in Erinnerung: Geschmack, meine Damen und Herrn, war zu allen Zeiten und bleibt auf immerdar Zeitgeschmack. Geschmack ist eine ästhetische Variable, die sich fortwährend verändert, und deshalb können Geschmäcker nie Anspruch auf Absolutheit und Allgemeingültigkeit erheben.

Was eben noch als belanglos oder überkandidelt oder unschön galt, kann schon kurz darauf beziehungsweise andernorts unter anderen Leuten auf Wohlgefallen stoßen. Im Falle der Elgarschen Streicherserenade war es so:
1892 wie gesagt vom Verleger abgelehnt, ließ der Komponist das Stück von einer Klasse seiner Geigenschülerinnen in halbprivater Umgebung uraufführen. Erst vier Jahre später gab es ein öffentliches Konzert mit der Serenade – bezeichnenderweise nicht daheim in England, sondern in Amsterdam. Die britische Musikgesellschaft bekam das Werk erst im Juli 1899 bei einem Konzert in New Brighton vorgestellt.

Genauer muss man wohl sagen: Sie bekam die Streicherserenade  untergeschoben. Denn das Interesse des Publikums galt zu jenem Zeitpunkt vorrangig den Enigma-Variationen, mit denen Elgar fünf Wochen zuvor an anderem Ort seinen öffentlichen Durchbruch als Komponist erlebt hatte. Um es mit einem modernen Bild auszudrücken: Die Enigma-Variationen schafften den Sprung in die Charts, in die Hitliste, wodurch ihr Schöpfer so berühmt wurde, dass er jetzt mit einigem Erfolg eigene Konzerte veranstalten konnte, die neben seinem aktuellen Hit auch ältere Stücke aus seiner Feder boten, darunter die Serenade. Sie sehen, in einigen Grundzügen funktionierte der Musikmarkt damals gar nicht so furchtbar anders als heute.     

Eine letzte Bemerkung zu Elgar. Sollte jemand von Ihnen sich trotz des fast jugendlichen Charmes der Streicherserenade doch irgendwie an Richard Wagner erinnert fühlen, so seien Sie beruhigt: Nicht IHR Unterbewusstsein spielt ihnen einen Streich, sondern der Herr vom Grünen Hügel hatte sich damals ins Unterbewusstsein von Edward Elgar eingeschlichen.

Der Brite war nämlich von einer Dame zum Besuch der Bayreuther Festspiele eingeladen worden. Was für ihn ein beeindruckendes Erlebnis gewesen sein muss. Ob mit besagter Dame, ist leider nicht überliefert. Die musikalischen Auswirkungen der Einladung sind indes belegt: Elgar befasste sich in der Folge ausgiebig mit Wagners „Parzifal“; und das hat Spuren in seiner zeitnah entstandenen E-Dur-Serenade hinterlassen.  Dieser Hinweis ist jetzt natürlich eine Gemeinheit gegenüber eingefleischten Wagnerianern, weil die nun Gefahr laufen, statt Elgars Serenade zu genießen, nur noch krampfhaft nach Wagner-Einflüssen zu forschen.

Den Neulingen in unserem Kreis dürfte inzwischen klar geworden sein, wie es bei den Einführungen hier zugeht: Offenheit ist das Prinzip, böse Zungen würden sagen: Abschweifung. Offenheit, die dem Umstand Rechnung trägt, dass ein Musikwerk, wie überhaupt jedes Kunstwerk, Produkt  einer Vielzahl von Einflüssen ist. Das Werk wurde oder wird schließlich nicht von einem nach außen völlig abgeschlossenes, in einem weltfernen Nirwana isolierten Menschenhirn erdacht und dann wie am Reißbrett konstruiert. Dennoch konzentriert sich die Mehrzahl der Musiklexika bei den Werkbeschreibungen auf den formalen Aufbau der Stücke.

Was eigentlich seltsam ist, denn, mit Verlaub: Es gibt für den nicht von professionellem Interesse getriebenen Musikfreund der Gegenwart –  und ich nehme mich dabei gar  nicht aus – kaum etwas Langweiligeres als Werkerklärungen, die sich ellenlang über kompositorische Formstrukturen auslassen, aber kaum ein Wort über Geist, Seele und Wirkung des Werkes  verlieren. Ja, sicher, Kunstwerke konstituieren sich aus Form und Inhalt.  Aber was uns beim Hören einer Musik, beim Betrachten eines Gemäldes, beim Anschauen eines Schauspiels oder Balletts, beim Lesen eines Gedichtes oder Romans im Innern anrührt, was uns erschüttert, entsetzt oder erhebt und beglückt, das sind fast nie Form und Struktur eines Werkes. Es ist etwas anderes, ist eine  geheimnisvolle Qualität jenseits der Form – eine Qualität, der die Form bloß als Trägermedium und Werkzeug dient.

Diese neue Qualität jenseits der Form ist die eigentliche Kunst. Und in ihr spielt das Menschliche in seinen Höhen und Tiefen, seinen Sehnsüchten, Abgründen und Freuden die zentrale Rolle. Nicht umsonst gilt Musik als unmittelbarster Ausdruck des Seelischen. Trotzdem ist in den Lexika und war früher im gymnasialen Musikunterricht sowie auch in den Musikkritiken meiner Zunft oft vor allem die Rede von Kopfthemenentwicklung, Durchführung, Sonatensatz, Umkehrung, Reprise, Coda, Fuge, Doppelfuge, Kreuz- und Krebsfuge usw. usf.

Schön, wenn man's weiß; kann auch alles sehr interessant sein.  Aber mit dem, was die Musik, die Kunst überhaupt uns im humanen Innersten bedeutet, schenkt oder manchmal auch abverlangt, haben die formalen Aspekte allenfalls am Rande zu tun. Warum wird dennoch vielfach hauptsächlich über diese Ränder geschrieben? Meine persönliche Theorie dazu: Weil den Schreibern für die seelischen Qualitäten, Vorgänge und Wirkungen der Kunst schlichtweg die Worte fehlen. Deshalb halten sie sich gerne an die klar definierten, greifbaren Formen. Ich weiß als langjähriger Kritikenschreiber, wovon ich rede: Es gibt kaum etwas Schwierigeres als treffend und druckbar zu beschreiben, was eine großartige Musik mit dem Hörer anstellt, was sie in seinem Innern auslöst und warum.

Bedeutende Musikwerke sind prall gefüllt mit menschlichem Leben, Denken, Empfinden. Und weil das so ist, handeln meine Einführungen  hauptsächlich von der Vielfalt des Lebens und nur am Rande von musikalischen Formen.

Schaun wir mal, wo unser heutiges Konzert auf der historischen Lebensschiene anzusiedeln ist. Der älteste der vertretenen Komponisten ist Johannes Brahms, 1833 in Hamburg geboren und 1897, also kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert in Wien gestorben. Mit dem Senior und seiner Serenade Nr. 2 endet das Konzert. Den Anfang macht, wie schon gesagt, Sir Edward William Elgar: Geboren 1857 in einem Dorf bei Worcester („Woster“), das liegt knapp 50 Kilometer südwestlich von Birmingham. Dort ist er 1934 auch gestorben. Dritter in der Runde und in der Mitte des Konzerts plaziert ist Benjamin Britten. Er kam 1913 als Sohn eines Zahnarztes zur Welt, wurde im Juli 1976 von der englischen Krone in den Stand eines Barons Britten of Aldeburgh erhoben. Britten konnte seinen Adelstitel jedoch nicht lange genießen: Fünf Monate nach seiner Erhebung in den Adelstand auf Lebenszeit erlag er 63-jährig einer Herzinsuffizienz.

Wir haben es also beim heutigen Konzert mit einem Deutschen und zwei Engländern zu tun, sowie mit Musik vom mittleren 19. bis in die frühe zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts – nach klassischen Maßstäben also mit vergleichsweise junger Musik. Und während die Serenaden von Elgar und Brahms reine Instrumentalstücke sind, handelt es sich bei Brittens Serenade für Tenor, Horn und Streicher um eine Komposition mit Gesang.  Den Gesangspart übernimmt heute der Tenor Martin Shalita vom hiesigen Stadttheater, den solistischen Bläserpart Tsun Tak Cheung, Solohonrist unseres Orchesters.  

Werfen wir nun einen Blick auf Benjamin Britten und seine Serenade. Obwohl Britten längst als Klassiker gilt, ist er für viele hier im Saal ein Zeitgenosse. Mancher hat ihn womöglich in den 1950er, 60er oder 70er-Jahren noch bei einem seiner Konzerte in Deutschland erlebt. Etwa bei einem der zahlreichen Liederabende, die er als Pianist zusammen mit seinem Lebensgefährten Peter Pears gab. Gerade die Liederpraxis der beiden galt damals nicht wenigen Musikfreunden als willkommene Ergänzung oder auch Alternative zur alles beherrschenden Stellung der Lied-Interpretationen von Dietrich Fischer-Dieskau.

In der breiteren hiesigen Öffentlichkeit ist die Wahrnehmung Brittens fast völlig auf dessen War-Requiem reduziert. Ein geniales tief bewegendes, Großwerk – das auch dann noch Erschütterung über Leid und Schmerz des Krieges auslösen wird, wenn der Anlass der Komposition, der Zweite Weltkrieg, den Zuhörern der Zukunft so fern ist wie uns heute Napoleons Feldzug gegen Russland.

Das Requiem zeugt vom zentralen humanistischen Motiv im Oeuvre des überzeugten Pazifisten Britten: Tiefe Verzweiflung angesichts dessen, was Menschen (auch und gerade moderne Menschen) einander antun können, zugleich unzerstörbare Hoffnung darauf, dass dem Menschen das Potenzial innewohnt, diese Barbarei zu überwinden. Es ist nicht verwunderlich, dass selbst seine Serenade deutliche Spuren davon beinhaltet. Denn diese Liedvertonung von Versen diverser englischer Dichter aus etlichen Jahrhunderten entstand 1943, also inmitten der Schrecknisse des Krieges.

Dennoch handelt es sich um ein sehr poetisches Werk. Wie die „Alpensinfonie“ von Richard Strauss metaphorisch über das Erleben einer Bergwanderung vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung erzählt, so Brittens Serenade von Nachteindrücken zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang. Die gesungenen Verse von Charles Cotton, William Blake,  John Keats und anderen englischen Dichtern sind natürlich in deren Muttersprache abgefasst. Aber keine Bange: Selbst wenn Sie nachher viele Worte und dichterische Bilder nicht verstehen sollten, dank der Musik werden Sinn und Stimmungen doch sehr gut begreifbar.

Den Prolog beispielsweise bestreitet das Horn allein. Und sollte ihnen dabei der eine oder andere Ton etwas schräg vorkommen, liegt das mit ziemlicher Sicherheit nicht daran, dass unser Hornist falsch spielen würde.  Vielmehr setzt Britten hier auf die Naturtöne des Instruments, um eine Atmosphäre urwüchsiger, naturnaher Unschuld zu erzeugen. Diese Atmopshäre wird im zweiten Teil, der Pastorale, aufgegriffen und zu einer Abendstimmung entwickelt. Absteigende Arpeggi bei Gesang und Horn  symbolisieren das Versinken der Sonne hinter dem Horizont und das Verglühen des Tageslichtes.

Mit ihrem dritten Teil tritt die Britten-Serenade ins Reich der nächtlichen Fantasien ein. „The horns of Elfland faintly blowing“ = die Stierhörner des Elfenreiches tönen aus der Ferne. Blow, bugle, blow, set the wild echoes flying // And answer, echoes, answer, dying, dying, dying = blase, Horn, blase, lass die wilden Echos fliegen // Und anwortet, Echos, antwortet, sterbend, sterbend, sterbend.

Es beginnen dann mit William Blakes „Elegy“ die Nachtstunden der Sehnsüchte, in die sich der Wurm der Sünde hineinfrisst und die Rose der Liebe zerstört. Treibende Streicher, schwermütige Kontrabässe, und chromatisch dazwischenfunkend das Horn. Düster ist nun die Atmosphäre , die Musik stürzt immer wieder von Dur nach Moll ab.  Diese Stimmung setzt sich in „Dirge“, dem Grabgesang fort, der sich zu einem dramatischen Höhepunkt aufschwingt, einer vom Horn eingeleiteten Fuge.

Allmählich geht die Nacht ihrem Ende zu. Mit gezupften Streichern und munteren Hornsignalen wird Diana, der Göttin der Jagd, ein Ständchen gespielt. Schließlich sind wir mit John Keats „Sonnet“ im Morgengrauen angekommen. Britten hat dazu ein wunderbares Adagio komponiert, das unter anderem nicht miteinander verwandte Dreiklänge nebeneinander stellt. Das irritiert den klassischen Hörer einerseits, schafft aber eine neuartige Wirkung, der man sich dann doch kaum entziehen kann. Die Serenade verklingt, wie sie begonnen hat: Mit den Naturtönen des Horns.

Benjamin Britten selbst urteilte über seine Serenade etwas schnöde: „nicht bedeutend, wenngleich recht unterhaltsam“. Eine Urteil, das meines Wissens kein Musikkritiker teilen mochte, das aber wahrscheinlich den Ausschlag dafür gab, dass Britten diesem Stück die Bezeichnung Serenade gab. Was ist das eigentlich, eine Serenade? Der Blick in die Bücher zeigt ein sehr verwirrendes Bild, denn der Begriff Serenade änderte über die Jahrhunderte seine Bedeutung vielfach. Nach bisherigen Forschungen tauchte er erstmals Mitte des 16. Jahrhunderts auf und meinte etwa bei Alessandro Striggio sechsstimmige Madrigale mit Volksliedzitaten. Im 17./18. Jahrhundert wurden vermehrt Instrumental- oder Tanz-Suiten als Serenade betitelt.

Im19. Jahrhundert ging es mit der Serenade dann Kraut und Rüben durcheinander: Kammermusik oder kleinere Orchesterwerke, Instrumentalstücke, Huldigungschöre, Minne- oder Trinklieder, Tafel-, Abend-, Tanzmusiken und noch einiges mehr konnten als Serenade bezeichnet werden. Woraus nun ersichtlich wird, dass Serenade seit mindestens 200 Jahren keine musikalische Form oder Gattung bezeichnet, sondern eher einen Anlass, zu dem atmosphärisch passende Musik aufgespielt wird.

Welche Art Anlass gemeint ist, darüber gibt der Begriff selbst Auskunft:
Im Wort Serenade steckt das Italienische „sereno“ für heiter und unter unbewölktem Himmel. Ebenso „al sereno“ für „im Freien“. Sie alle kennen den italienischen Gruß buona sera, meist benutzt in den Stunden  nach 17 Uhr, weil sera eben Abend heißt. All dies zusammengepackt entsteht Serenade als Ausdruck für ein heiteres Ereignis unter freiem Himmel, und zwar am Abend. Das kann ein Ständchen fürs Geburtstagskind oder die Geliebte sein, das kann musikalische Unterhaltung einer lockeren bis fröhlichen Abendgesellschaft meinen.  

Kurzum: Von Serenaden wird nicht seelische Erschütterung, hehre Erbauung von Hirn und Herz oder Hingabe an ein großes Kunsterleben erwartet, sondern – leichte Unterhaltung. Nun kann man unter leichter Unterhaltung dies oder das verstehen. Man kann sich an flottem Pop oder schunkelseligem Humtata berauschen. Man kann aber auch der Unterhaltungsmusik unserer Klassiker lauschen – und wird dort zwar nicht in jedem Fall, aber doch immer wieder feststellen können: Es gibt auch kunstvolle Unterhaltungsmusik, selbst dann, wenn die zu Gehör kommenden Stücke nicht gleich die beispiellose künstlerische Brillanz der Serenaden von Mozart erreichen. Wolferl war auch in diesem Fach extrem: Seine Synthese von gleichzeitig unterhaltender, ja amüsanter und kompositorisch höchst anspruchsvoller Musik ist wahrscheinlich einmalig.

Dass unser Serenaden-Konzert heute im Saal stattfindet, ist durchaus kein Stilbruch. Schon zu Mozarts Zeit wurden Serenaden verstärkt vom Freien  unter Dach verlagert. Damit einher ging ein Wandel in der Instrumentierung von Serenaden-Stücken: Genossen bei Musiken im Freien, zumal wenn die Kapellen durch Parks und Gärten wandelten, naturgemäß Blasinstrumente den Vorzug, so kamen mit der Verlegung in den Saal wieder vermehrt Streicher zum Einsatz. Ob draußen oder drinnen: gespeist, gezecht, flaniert und schnabuliert wurde bei den Serenaden hier wie dort. Was in historischer Zeit allerdings auch bei richtigen Konzerten nicht unüblich war.

Mein Vortrag kommt allmählich zum Ende – und im Verhältnis zur Würdigung der beiden britischen Komponisten kommt unser guter Johannes Brahms darin etwas kurz weg. Damit nun keiner meint, hier würde einer schleichenden Britannisierung Deutschlands Vorschub geleistet, und damit nicht am Ende noch jemand einen Volksentscheid gegen den Ausschank von Guinnes und Wiskey hierzuland initiiert, will ich ihr Augenmerk, besser gesagt: ihr Ohrenmerk, wenigstens noch auf eine Besonderheit der fünfsätzigen Brahms-Serenade Nr. 2 lenken.

Achten Sie nachher einmal auf die Streicherbesetzung und darauf, wer dort das Sagen hat. In Anlehnung an ein Bibelwort ließe sich formulieren: Die Zweiten werden die Ersten sein. Will sagen: Brahms entzieht hier den Violinen ihren gewohnten Führungsanspruch und lässt die Bratschen den Ton angeben; er besetzt überhaupt keine Violinen. Den tieferen Instrumenten fällt in der Serenade die höchste Streicherstimme zu, was eine ganz eigenartige Wirkung auf den Gesamtklang hat. Die Bratschen als Führungsinstrumente machen ihn wärmer, dunkler, abendlicher. Sie machen das Werk romantischer; es wird, wie der Komponist selbst sich ausdrückt, ein „zärtliches Stück“.

Wenn Brahms zärtlich wird, muss man stets den Einfluss mitdenken, den seine ebenso unsterbliche wie nicht auslebbare Liebe zu Clara Schumann auf sein musikalisches Schaffen hatte. Das wieder wunderbare Programmheft meiner verehrten Kollegin Insa Bernds zitiert aus einem Briefwechsel zwischen Brahms und Clara, der Ehefrau von Robert Schumann, vielsagende Sätze über das Adagio der Serenade.  Für gewöhnlich vermeiden wir weitgehend Überschneidungen von Programmheft und Einführungsvortrag. In diesem Fall mag ich aber auf die besagten Zitate als besinnlichen Schluss meines Vortrages nicht verzichten. Schickt also Johannes eine Notenabschrift des Adagios an Clara und schreibt dazu: „Möchtest Du recht Schönes und Liebes heraushören; ich denke, ein treues Gemüt und ein liebwarmes Herz kann in Tönen klingen. So lass denn die Musik reden, und gib den Gedanken Abschied.“ Und Clara schreibt zurück: „Lässt Du das Adagio klingen, in Dir oder außen, so denke dabei Deiner Clara.“

Mit diesen schönen, zarten Worten voll der Liebe entlasse ich Sie nun  zu den wirklich klingenden Tönen.

                                                                                         Andreas Pecht




Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken