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Geschrieben im Oktober 2009:
Guten Tag allerseits
 
31.10.

Nein, liebe Freunde und geschätzte Kritiker dieser Website und ihres Autors, es geht mir nicht darum, recht zu haben, alles besser zu wissen, alles schlecht zu reden, besonders radikal oder vielleicht originell zu sein. Es geht gleich gar nicht darum, "antiquierte Links- und Klassenkampfideologie" wieder hoffähig zu machen. Es geht im Kern meiner Arbeit vielmehr um Anstößigkeit. Um den permanenten Versuch, Nachdenklichkeit anzustoßen - Blickwinkel und Denkansätze, auch Haltungen, in den Diskurs (wieder) einzuführen, die im medial-politisch-kulturellen Mainstream zu unrecht keine Rolle (mehr) spielen. Dem liegt eine bescheidene Absicht zu Grunde: Die allfällige Haltung wenigstens bei ein paar Leuten ein bisschen zu erschüttern, wonach der große Gang der ökonomischen Dinge ein objektiver, unwandelbarer sei, dem der gesamte gesellschaftliche Überbau sich zwangsweise unterwerfen und anpassen müsse.

Diese gleichermaßen den Prinzipien des Humanismus und der Aufklärung wie auch dem sozialistischen, ja sogar Teilen des christlichen Selbstverständnis' widersprechende Denkart ist heute im öffentlichen Bewusstsein unerträglich tief eingegraben. Ich möchte anstinken gegen diese menschenunwürdige Pawlowsche Mentalität, möchte hie und da Zweifel in ein paar Hirne pflanzen, oder Anregungen, mal einen anderen Blick als den allgemeinen zu riskieren. Nicht, weil ich es besser wüsste oder gar könnte; das ist nicht der Fall.  Sondern nur, weil ich sicher bin, dass ohne permanente Zweifel am jetzigen Gang der Dinge, ohne ständiges kritisches Hinterfragen scheinbar pragmatischer Handlungs- oder Politikansätze, das ureigentlich Menschliche - das Streben nach einer besseren Welt in Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit - auf der Strecke bleibt. Nicht mehr, nicht weniger.              

29.10.

Mehr als 2000 Besucher in nur zwei Tagen, das gab es seit Einrichtung des Zählwerkes 2006 auf dieser Website m.W. noch nie. Woher kommt's? Die Besucherauswertung ergibt für Dienstag (27.10.) eine überproportionale Zahl von Zugriffen aus dem gesamten Bundesgebiet für das am Montag eingestellte Essay "Die Sozialdemokratie im Elend". Anders das Bild am Mittwoch (28.10.): Da häufen sich überdurchschnittlich viele Zugriffe aus dem Großraum Koblenz und aus Mainz auf das erst am Dienstagnachmittag eingestellte Feature "Gespräch mit dem Tandem Hofmann-Göttig und Knopp über Koblenzer Kulturperspektiven". Die Zugriffzahlen für beide Artikel halten sich in etwa die Waage; dritter im Bunde der aktuellen "Renner" ist die neue Ausgabe der Monatskolumne "Quergedanken" mit ihrer wie gewohnt ziemlich hohen Einschaltquote vor allem aus dem Westen und Südwesten Deutschlands.


28.10.

Wann hast du zuletzt etwas erstmals erlebt? (Die Frage ist einem Werbespruch - ich glaube für ein Auto - entlehnt, weil gar nicht mal unoriginell). Antwort: heute.  What's new? Die Ministerpräsidenten der Bundesländer versammeln sich eben in Mainz, um erstmals zuzulassen, was seit Existenz der öffentlich-rechtlichen Medien unzulässig war: Schleichwerbung in den Sendungen derselben.  Es wird munter weitergedreht an der Ökonomisierung des Lebens - auf allen Ebenen, und sei's mit staatlichem Segen die Werbschleicherei im gebührenfinanzierten "Kulturprogramm".

Erstmals erleben dürfen wir in Rheinland-Pfalz eine politische Konstellation, die es m.W. in der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben hat: Ein amtierender Kulturstaatssekretär des Landes lässt sich zum Oberbürgermeister einer Kommune wählen. Dort, in Koblenz, trifft Joachim Hofmann-Göttig auf den Grünen Kulturbeigeordneten Detlef Knopp. Beide zusammen wollen künftig hinsichtlich der städtischen Kulturgeschicke an einem Strang ziehen. Darüber habe ich mit beiden in einem Sechsaugen-Gespräch geredet, wovon hier zu lesen ist.

Bei der üblichen Beckmesserei bleibt hingegen die Monatskolumne "Quergedanken", diesmal vorrangig dem Salat gewidmet, den die Bundestagswahl angerichtet hat, respektive der Suppe, die wir uns da selbst eingebrockt haben.   

 

26.10.

Alles beäugt derzeit das Drama der schwarz-gelben Regierungsbildung und Politikfindung. Für die todkranke alte Tante SPD  bleibt da naturgemäß wenig Aufmerksamkeit. Doch es geht ziemlich unruhig zu im Krankenzimmer: Nicht nur, dass die Tante noch zuckt; sie macht sogar Anstalten, mit ihren bisherigen Ärzten wegen falscher Behandlung ins Gericht zu gehen. Mag sein, dass Sigmar Gabriels Brief an die "besorgten Genossen" bei etlichen gestandenen Sozis längst verflüchtigt geglaubte Energien mobilisiert, der Tante zwecks gesunden Neuanfangs mit Verve beizustehen. Wünschbar wäre es, weshalb ich ein kleines Essay über die "Sozialdemokratie im Elend" geschrieben habe, das - in sehr moderatem Gestus - Krankheitsursachen anspricht und ein bisschen über Therapiemöglichkeiten nachdenkt.       

24.10.

Von dieser Stelle mal eine Anregung an die Automobilindustrie für eine Werbekampagne unter dem Slogan: "Zusatzeinkommen durch Autofahren".

Wie das geht? Über die vergangenen Wochen musste ich gehäuft Wegstrecken (einfache Fahrt) so zwischen 80 und 150 Kilometer zurücklegen; nach Köln/Düsseldorf, Mainz/Wiesbaden,  mal etwas weiter nach Ludwigshafen/Speyer, dann nicht ganz so weit zB nach Bonn. Dabei habe ich nebenher einige Messreihen vorgenommen, mit folgendem Ergebnis.

Wenn ich die Autobahnstrecken mit vorausschauender, möglichst gleichmäßig dahinschwimmender Reisegeschwindkeit um 110 km/h bewältige (was auch bei mittlerer Verkehrsdichte noch ganz gut möglich ist), verbraucht mein Auto rund zwei Liter Benzin weniger als bei der Schnellfahrweise. Die geht so: Fahre mit  höchstmöglicher Geschwindigkeit (max 180km/h), egal wie oft du abbremsen und wieder beschleunigen musst. Der Zeitunterschied macht in meinem Praxistest unter realen Bedingungen auf 100 Kilometer im günstigsten Fall (= niedriges Verkehrsaufkommen) 10 Minuten aus. Will sagen: Auf der ziemlich genau 100 Kilometer langen Strecke (via A3) von Autobahnauffahrt Mogendorf bis Ausbauende in Mainz-Kastell beispielsweise verliere ich mit dem langsameren Fahrstil allerhöchstens 10 Minuten. 

Macht bei sechs Fahrten 1 Stunde Zeitverlust, aber 12 Liter weniger verbrauchtes Benzin. Summa summarum ergibt sich beim derzeitigen  Durchschnitts-Benzinpreis also: 1 Stunde mehr Fahrtzeit spart bei meinem Auto 15,60 Euro. Das ist zwar nicht die Welt, kann sich als Netto-Stundenlohn aber doch sehen lassen.
 

22.10.

Nachtrag am Nachmittag:
Da fällt einem nun bald gar nix mehr ein. Für wie blöd halten uns große Teile der politischen Klasse eigentlich? Man möchte zu allerhand Kraftausdrücken greifen, um dem Unmut und dem Zorn über das jüngste gottserbärmliche Schelmenstück der Länderfinanzminister  angemessen Ausdruck zu verleihen. Wenn nochmal jemand fragt, woher bloß die Politikverdrossenheit, ja die allgemein verbreitete Geringschätzung bis Verachtung für Politiker kommt, dann kann ich nur sagen: Nicht wenige dieser Herrschaften geben sich halt ein ums andere Mal die denkbar größte Mühe, möglichst viel Verachtung zu provozieren. Wie man in den Wald hinein ruft, so schallt es zurück.  (Es liegt mir wirklich fern, eine prinzipiell niedere Meinung über unsere  Politiker mit aller Gewalt pflegen zu wollen. Womöglich streben manche auch  wirklich nur zum Beste. Aber allzu oft sind allzu viele von jedem guten Geist verlassen, wenn es ihnen darum geht, trotz größter Schwierigkeiten was herzumachen.)

In diesem Fall: Die Länderfinanzminister rechnen sich mit primitivster Trickserei ein Erfolgsszenario zurecht, wonach die Mehrausgaben für die - angeblich politisch allseits gewollte - Bildungsoffensive bereits weitgehend aufgebracht seien. Und das geht so: Es werden einfach allerhand Finanzposten, die bislang (und im internationalen Usus) NIE den Bildungsausgaben zugeschlagen waren, jetzt plötzlich eben dort verbucht. Die Burschen heften sich alles an die Brust, das sich irgend in Nachbarschaft zu Bildung quetschen lässt (∇ siehe Spiegel-online, weblink). Könnte man ja machen, wenn Neudefinition des Begriffs "Bildungsausgaben" tatsächlich  Not täte. Tut's aber nicht. Bei diesem buchungstechnischen Manöver  geht es einzig darum, die über den status quo hinaus notwendigen Mehraufwendungen für eine Bildungsoffensive kleinzurechnen - wohl um sie nachher nicht aufbringen zu müssen und trotzdem den (getürkten) Zahlen nach als glänzende Bildungsförderer dazustehen. Das ist Verarsche, Täuschung, Betrug und eine Beleidigung der Publikumsintelligenz (= gleiche Chuzpe wie beim Schattenhaushalt der schwarz-gelben Bundeskoalitionäre. s.u.). 

                                               ***   

Was wir derzeit bei den Verhandlungen zur schwarz-gelben Regierungsbildung beobachten, ist im Grunde bloß die ermüdende Wiederkehr jener immer gleichen blamablen Politgewohnheit, nach der Wahl gegenüber der breiten Bevölkerung nicht einlösen zu können/wollen, womit zuvor Stimmen geangelt wurden.

Zugegeben, diese Aussage klingt banal, irgendwie nach Stammtischgepolter. Aber es ist das, was ich beobachte, seit ich  mit gewissem politischen Interesse auf die Welt schaue - und das sind immerhin rund vier Jahrzehnte. Jetzt einmal mehr (und vielleicht noch unverfrorener als bislang) Politik verkommen zur Taschenspielertrickserei: Steuererleichterung auf Basis eines Schattenhaushalts; Hartz-IV-Erleichterung für gerade mal 0,5 Prozent der Betroffenen; Gesetz wider sittenwidrige Niedriglöhne, um ja keine flächendeckenden Mindestlöhne denken zu müssen; Pflege-Reform via Erhöhung der Lasten für die Versicherten bei Entlassung der Unternehmen aus der Solidarpflicht ....

Hat aber irgendjemand irgendetwas gehört von irgendwie auch nur halbwegs durchgreifenden Plänen zur Regulierung des Finanzmarktes und Bankenunwesens? Gar von "systemischen" Eingriffen? Das Gemeinwesen schultert die Krise des Finanzkapitalismus. Der politische Rest ist ein bischen Kosmetik, und weiter geht's im alten Sauseschritt dem nächsten Crash entgegen. Man muss es wohl in den kommenden Jahren immer und immer wieder ins Gedächtnis rufen: 20 Jahre nach dem Zusammenbruch des kruden Ostblock-"Sozialismus" wurde unübersehbar, dass auch der Wall-Street-Kapitalismus aus sich selbst heraus nicht überlebensfähig ist. Dass er nur überlebt hat, weil er mit Mitteln der Allgemeinheit künstlich am Leben erhalten wird. Was lernen wir daraus? Leider, gar nichts!

Die Staaten sind nun finanziell erschöpft, was Konsequenzen haben wird, etwa für den Klimaschutzprozess, die Sozialpolitik, die Bildungspolitik (s.o.). Ein Problem allerdings haben Politik- und Ökonomie"eliten" künftig: Ihr Agieren in der Finanzkrise hat deutlich gemacht, dass sie unglaubliche Geldmittel mobilisieren können, wenn ihnen der Zweck nur wichtig genug ist. Man wird also demnächst die Zwecke und das Verhältnis der "Eliten" dazu genauer betrachten, und vielleicht öfter mal zu dem Ergebnis kommen: Um die Banken zu retten, war euch jedes Mittel recht, jetzt aber ....

Dies ruft die Gegenrede der Polit-Pragmatiker auf den Plan: "Wir mussten doch! Was hätten wir denn in jener Situation anderes tun sollen? Etwa das gesamte Wirtschaftsgefüge zusammenbrechen lassen?" Es ist das ewiggleiche Argument, stets ins Feld geführt, sobald das Kind in den Brunnen gefallen. Da bleibt dann in der Tat jedesmal nichts anderes, als es herauszuziehen. Der entscheidende Punkt aber ist, dass eben diese Pragmatiker zuvor die Bedingungen dafür geschaffen oder zugelassen haben, die dann zwangsläufig zum Brunnenunfall führen mussten. Die neoliberale Entgrenzung der Märkte, ja der ganzen Gesellschaft  fiel schließlich nicht vom Himmel, sondern war gewollte Politik zuerst unter Thatcher, dann unter Blair. Die Regierung Schröder machte es ein paar Jahre später nach.

Die Herrschaften hätten die Möglichkeit und die Pflicht gehabt, den Brunnen einzuhegen. Aber sie waren besessen vom geraden Gegenteil und rissen auch noch das letzte Umrandungsmäuerchen vom gefährlichen Loch weg. Jetzt ziehen wir den Verunfallten mit größten Mühen und Kosten heraus - und wieder denken die Pragmatiker nicht im Traum daran, einen effektiven Schutzwall zu errichten. Wenn es aber demnächst einen noch ärgeren Unfall gibt, werden sie uns erneut, nur ungleich brutaler zur Rettungsaktion in Dienst zwingen mit dem Argument: "In dieser Situation können wir gar nicht anders handeln."  Eine perfide Form von Pragmatismus.

Was die Bankenkrise angeht: Eines ihrer wirkmächtigsten Ergebnisse ist die noch stärkere Konzentration von Finanzmacht in den Händen von noch weniger Giga-Instituten.  Wolfgang Kaden bezeichnet sie in einem lesenswerten Kommentar auf Spiegel-online als "Zombie-Banken" (weblink hier).  Er verfolgt einen hochinteressanten Ansatz, indem er eine Regulierungspolitik fordert, die Verkleinerung der Geldinstitute erzwingen soll - damit die Banken nicht länger über eine aus schierer Größe resultierende Macht verfügen, selbst Staaten ihren Interessen und Zwängen zu unterwerfen.
           

18.10.

Wegen allerhand Kulturpflichten in den den letzten Tagen vom politischen Geschäft nur beläufig mitgekriegt, dass die schwarz-gelben Koalitionsverhandler ein ziemliches Geschick an den Tag legen in Sachen Augenwischerei hinsichtlich Hartz IV, Niedriglöhnen und Atomaustiegaustieg. Viel Getue um de facto Null-Verbesserungen für die allermeisten Betroffenen bei den ersten beiden Punkten. Rolle rückwärts beim Thema Energie, schön versteckt unter Brückentechnik- und Strompreissenkungs-Geschwätz. 

Da war das Premierenwochenende am Theater interessanter, wenngleich der Güte nach zwiegespalten.
Der Ex-Mainzer Ballettmaestro Martin Schläpfer hatte in der Oper Düsseldorf seine erste Premiere als neuer Ballettchef. Überraschend war: Das dortige Publikum - obwohl seit Jahren an die in klassischer Tradition stehenden abendfüllenden Handlungsballette von Youri Vamos gewöhnt - nahm den ganz anderen Schläpfer-Stil aufgeschlossen, neugierig bis begeistert auf (Bericht hier). Anderntags in Mainz am Staatstheater Schauspiel: Da ging die Uraufführung einer Theateradaption von Tolstois "Anna Karenina" gehörig in die Hose. (Kritik hier)

15.10.

Schön und wohltuend, gelegentlich noch jemandem zu begegnen, der wider alle wohlfeilen Moden unnachgiebig an seinem Ideal von Glück und Trost menschlichen Miteinanders festhält. Siegfried Lenz tut das einmal mehr in meisterlicher Schlichtheit mit "Landesbühne". (Buchkritik hier)

14.10.

Heute vorgestellt: der aktuelle "Welthungerbericht" der UNO. Erwartungsgemäß hat die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise die ohnehin unerfreuliche Gesamtsituation noch verschärft, ebenfalls erwartungsgemäß wirken anhaltendes Bevölkerungswachstum und inzwischen deutlich verstärkt der Klimawandel verschärfend: 1,02 Milliarden hungernde und unterernährte Menschen gibt es derzeit auf der Welt.  Dazu ein kleiner Kommentar für die Tagespresse, der in seiner Knappheit die Komplexität des Problems nur anreißen und bei weitem nicht umfassend behandeln kann.

11.10.

Nach dem Start der neuen Intendanz am Koblenzer Stadttheater nun am Mainzer Staatstheater der Einstand des neuen Ballettchefs Pascal Touzeau mit neuer Compagnie als ballettmainz. Dreiteiliger Abend, zwei Teile davon richtig stark: "Quintett", ein hinreißender Neoklassiker von William Forsythe aus dem Jahr 1993 (von Touzeau ins Programm genommen als Hommage an seinen einstigen Lehrer); und die Uraufführung von "AURA", einer überzeugenden Arbeit in Anlehnung an Forsythe vom neuen zweiten Choreografen beim ballettmainz, Jacopo Godani. Letzterer ebenfalls einst Tänzer bei Forsythe. Ausgerechnet Touzeaus eigene erste Mainzer Arbeit "Puzzle" konnte mich am wenigsten überzeugen, ließ gar die Befürchtung aufklingen, der Mann könnte stilistisch eine Rolle rückwärts machen wollen . Mal abwarten. Klar ist nach der ersten Premiere immerhin: Touzeau hat da eine Tänzermannschaft zusammengestellt, in der allerhand Potenzial steckt.
(
∇ Kritik hier)

So ist nach dem Ballettstart in Mainz sowie nach der "Jeff Koons"-Inszenierung in Koblenz (∇ Kritik hier) die Lage an der rheinland-pfälzischen Theaterfront noch etwas unübersichtlich: In beiden Fällen haben die Chefs im ersten Anlauf mit ihrer eigenen künstlerischen Arbeit weniger begeistert als ihre jeweiligen Mannschaften. Schaun wir mal, was weiter kommt.   

10.10.

Friedensnobelpreis für Obama - und reihum erhebt sich vielstimmig Skepsis und Geknurre: Wofür? Für edle Visionen und hehre Worte? Faktisch habe der Mann noch gar nichts erreicht, vielmehr sei sein Scheitern an der Wirklichkeit wahrscheinlicher als die Umsetzung auch nur einer der Visionen. Der Preis für ihn also eine Fehlentscheidung, zumindest aber viel zu früh? Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Der Nobelpreisentscheid für Obama ist gerade deshalb richtig und wahrscheinlich einer klügsten der letzten Jahre, weil die Gefahr so groß, dass der US-Präsident scheitert.  Nicht an der Wirklichkeit (die veränderbar wäre), sondern an den auf der alten Weltordnung beharrenden Personen, Cliquen, Klassen, Anschauungen.

Die Stockholmer Akademie versucht, das Prinzip Hoffnung zu stärken. Und das zu einem frühen Zeitpunkt, wo noch nicht letztgültig entschieden ist, dass der Richtungswechsel mal wieder ausbleibt, sondern wo noch einige Optionen bestehen, vielleicht doch in den schnöden bisherigen Gang der Dinge einzugreifen. Die Obama-Wahl ist richtig, weil der womöglich einflussreichste Staatschef der Welt hat erkennen lassen, dass er Willens ist, aus der diktatorischen Horizontverengung vermeintlich pragmatischer und realistischer Staatspolitik auszubrechen, wenigstens partiell herauszutreten.

"Eine andere Politik, eine andere Welt ist möglich (und notwendig)", solche Haltung lässt sich aus Obamas Reden ableiten. Die Haltung sowie den Einsatz für die sich daraus ergebenden Weichenstellungen und Ziele hat die Akademie gewürdigt und mit unterstützenden Ausrufezeichen versehen. Womit sie übrigens einer Linie treu bleibt, die schon zur Nobelpreis-Auszeichnung etwa für Brandt, Sacharow, Tutu, Mandela, Schwester Teresa etc. führte. Mit dem Unterschied, dass in den meisten Fällen Haltungen und das Streiten dafür - gegen festgefahrene Fronten  und die hart planierten Zwangswege scheinbar unausweichlicher  oder ewiger Realitäten - vor allem rückblickend gewürdigt wurden. Diesmal soll der Friedensnobelpreis einen Aufbruch befeuern: Unsere Epoche steht an einem Umbruchspunkt; das nicht wegen Obama, aber der Mann personifiziert zum rechten Zeitpunkt nun mal die Möglichkeit eines gangbaren Weges in eine andere, bessere, vernünftigere, humanere Zukunft. (Siehe auch Analyse zu Obamas Amtsantritt)

Weshalb es sehr gut ist, dass die Nobelpreisakademie in dieser epochalen Umbruchphase beizeiten Position bezogen hat - bevor Reichsbedenkenträger, Lobbyisten, Profiteure, Reaktionäre und die Mühlsteine des blindwütigen "Weiter so" den Aufbruch und seine Galionsfigur auflaufen lassen, verwässern, stutzten, zerschnippeln und womöglich unter dem Müll ihrer "Wirklichkeit" begraben. "In drei Jahren könnte es für den Preis zu spät sein", hielt der Akademiepräsident Kritikern entgegen. Die haben die virulente Tragweite dieser Aussage nicht begriffen und deshalb erst recht nicht, dass der Friedensnobelpreis Obama genau JETZT zugesprochen werden musste. 

8.10.

Man soll sowas nicht sagen, aber ich werde dennoch den Verdacht nicht los, dass die Herrschaften von der schwedischen Nobelpreis-Akademie hinsichtlich Philip Roth befangen sind. Mag sein, dass Roth' Behandlung des Menschlichen bei ihnen dann doch allzumenschlich ankommt und der literarische Wert in hochnotpeinlich erröteten Köpfen nicht mehr begriffen wird. Wie dem auch sei: Der 56-jährigen Herta Müller den Literaturnobelpreis zuzusprechen, ist ehrenwert, aber dem 76-jährigen Roth hätte nunmal die Ehre zuerst - und längst - gebührt.  (∇ Artikel Literaturnobelpreis 2009)  


5.10.

Leseempfehlung! Lange nicht mehr eine so gescheit zugespitzte Analyse über das zentrale Problem unserer Demokratie (Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft) gelesen wie den Aufmacher des "Zeit"-Feuilletons in dieser Woche: ∇ http://www.zeit.de/2009/41/Wahl

Autor Thomas Assheuer rekuriert darin auf das Buch "Postdemokratie" des Politologen Colin Crouch, wo es heiße: Im Kern verfolgen alle große Parteien nur noch ein Programm, nämlich die "Anpassung" an den Sachzwang der Wirtschaft.  Crouchs Formel laufe darauf hinaus: Regierungen gleichen zunehmend einer Reparaturanstalt. Sie betreiben Finanzkrisenpolitik, Bankenrettungspolitik oder Umweltschädenminimierungspolitik. Regierungen beschränken sich auf Gefahrenabwehr (bestenfalls; ape) und regieren dabei notgedrungen technokratisch. Es gibt immer ein Feuer mehr, als sie löschen können, und was sie gestern privatisiert haben, darauf haben sie heute keinen Einfluss mehr. Und da alle großen Parteien eine Politik nach technokratischem Muster betreiben, müssen sie ihre politischen Unterschiede durch Rhetorik herbeizaubern - sie müssen sie simulieren.

                                               ***

Der DGB wird 60 Jahre alt. Und so sehr ich mich 40 davon auch meist über den Gewerkschaftsbund - seine Schwerfälligkeit und bürgerliche Behäbigkeit, seine SPD-Hörigkeit, seine wachsweiche Verpenntheit gegenüber Neoliberalismus und Globalisierung - gerägert habe: Zum Glück gibt es ihn noch, und Gott sei Dank scheint der Mitgliederschwund verlangsamt. Ohne Gewerkschaften sähe es noch übler aus, als es aussieht. Dazu ein kleiner Kommentar (∇ hier)  
 

3.10.

Warum die FAZ sich ausgerechnet die Ballettpremiere aussuchte, um mal einen Blick auf die Startphase der neuen Intendanz am Koblenzer Stadttheater zu werfen, bleibt rätselhaft. Denn der Tanz ist just die einzige Sparte, in der sich personell gar nichts verändert hat. Welche Maßstäbe hätte die FAZ-Kollegin anlegen sollen? Die Auswirkung der neuen Intendanz auf die alte Ballettkompagnie erschließt sich doch nur aus dem Vergleich des Koblenzer Balletts mit sich selbst. Dessen Entwicklung aber ist der Frankfurterin nicht geläufig. Weshalb sie die Leistung der Koblenzer Kompagnie irgendwo/irgendwie wohl in der ihr vertrauten großen Ballettszene verortet - und sie deshalb nicht wirklich zu greifen kriegt. Dass das Koblenzer Ballett trotz seines eben erlebten gewaltigen Niveausprungs mit Mainz und Wiesbaden, gar Stuttgart oder Berlin nicht vergleichbar ist, liegt auf der Hand. Das hat wohl auch die Kollegin gemerkt. Weil ihr aber Maßstäbe für die ballettöse Regionalliga wahrscheinlich fehlen, flüchtet sie mit ihrer Koblenz-Kritik ins Ungefähre. So erfreulich es ist, dass die FAZ auch mal in die Provinz schnuppert: In diesem Fall war der falsche Mitarbeiter womöglich mit irrigen Erwartungen auf der falschen Veranstaltung.

Die Frankfurter hätten sich "Wozzeck" oder "Jeff Koons" (Kritik hier) zur Brust nehmen sollen. Oper und Schauspiel nämlich stehen auf ganz neuen Beinen, denen man mit Fug und Recht auch hätte einen  neuen Platz in der allgemeinen Theaterlandschaft zuweisen können.         


1.10.

Zuerst einmal sei Freude vermeldet: Über die vielen positiven Reaktionen zum Milchbauern-Artikel  in der vergangenen Woche (zum Artikel). Per E-Mail, Telefon, ja selbst Postkarte kamen Zustimmung und Dank herein - vor allem von ums wirtschaftliche Überleben kämpfenden Bauern und solchen, die ihren Kampf unlängst oder vor Jahren bereits verloren haben.  

In der Minderzahl waren Stimmen, die sich kritisch zum Artikel äußerten (für die ich mich aber ebenfalls bedanke). Da gab es den Einwand, dass wegen der Strangulierung durch Banken die Lage der großen Höfe oft noch ernster sei als die der kleinen. Die kleinen könnten immerhin aufhören bevor sie vollends bankrott seien. Die großen müssten wegen ihrer Schuldenlast immer  weitermachen bis zum regulären Zusammenbruch. Aus meiner Sicht eine zwar etwas eigentümliche Betrachtung, die aber  sachlich interessant und ernsthaft ist, auch wenn sie für den kleinen Hofbesitzer gewiss keinen Trost darstellt.

Nicht ernst nehmen lässt sich allerdings der Vorwurf aus einer gewissen Ecke der Landwirtschaftsszene, mein Artikel sei, erstens, einseitig und habe, zweitens  die Milchbauern zur Gewalt angestachelt, gar zur Gewalt aufgerufen. Der Gewaltvorwurf ist völlig absurd. Dazu kann man nur sagen: Wäre gut, den Text mal richtig zu lesen! Was die "Einseitigkeit" angeht: Ja der Artikel ist einseitig, und zwar in dem Sinn, dass er nicht aus Sicht gängiger Agrarpolitik auf das Problem blickt, sondern konsequent "von unten". Dass er sich nicht darauf beschränkt, beim Tanz ums goldene Kalb "Markt" Schrittchen hierin und Schrittchen dahin gegeneinander abzuwägen, sondern den Tanz selbst und das goldene Kalb gleich mit in Frage stellt.

Dies wäre eigentlich schon vor Jahrzehnten Aufgabe des Bauernverbandes und diverser Politiker gewesen. Aber man tanzt halt lieber - und schäumt jetzt, weil mal ein Journalist sich nicht ans gewohnte Tanz-Reglement hält.

                                                    ***

Zur Bundestagswahl nur dies: Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün liegen trotz des historischen SPD-Tiefs und zahlloser SPD-Wähler, die einfach daheim blieben, nur rund drei Prozent auseinander. Von einer satten Bevölkerungsmehrheit für Merkel/Westerwelle kann keine Rede sein. Eher trifft - hinsichtlich des Parteienproporz - anhaltend das Bild vom hälftig gespaltenen Volk zu. Für die parlamentarischen Mehrheiten mag das unerheblich sein, fürs politische Leben der kommenden Jahre ist es das gewiss nicht.

Dass es in der SPD jetzt zugeht wie in einem aufgescheuchten Bienenstock, sollte eigentlich niemanden verwundern. Jahrelang    würgten ein paar hunderttausend Sozialdemokraten am Widerspruch zwischen ihrem Selbstverständnis von der Kleine-Leute-Partei und dem neoliberalen Kurs des Schröderschen Partei-Establishments, der mit Steinmeier zum Nichts-Kurs der Großen Koalition wurde.  Jahrelang kauten die aufrechten Sozialdemokraten deshalb an den Tischkanten herum - viele gaben entnervt auf, viele andere warteten auf die Gelegenheit, das Ruder herumzuwerfen. Die Gelegenheit ist jetzt da; kein Wunder, dass nun die Fetzen fliegen. Gut so.

Wobei es übrigens nicht um die Frage geht, ob die SPD wieder Arbeiterpartei werden will/soll. Diese von einem Kommentator heute aufgewärmte Frage von vor 30 Jahren, wäre bloß eine Gespensterdiskussion. "Kleine Leute" ist eine völlig korrekte Bezeichnung für die Klientel, der sich die SPD heute verpflichtet fühlen müsste. Aber bis dahin hat sie noch ein ziemliches Stück Weg vor sich. Ob die deutsche Sozialdemokratie diesen Weg aber überhaupt gehen will, ist völlig offen. Absehbar bleibt ihr erstmal der ewige immanente Widerspruch, dass die Kleinen Leute kaum wirksam vertreten kann, wer sich als der bessere Sachwalter des Kapitalismus begreift.

Leseempfehlung (externer Artikel) zum Thema: Wie es mit der SPD so weit kommen konnte.   

 
Wünsche Erhellung und Anregung
bei der Lektüre nebenstehender neuer Texte
Andreas Pecht

2009-09 Guten Tag allerseits
vom Monat September


2009-07/08 Guten Tag allerseits
von Juli/August



 

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