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Geschrieben im  November 2009:
Guten Tag allerseits
 

29.11.

Mit Gogols "Revisor" kam an diesem Wochenende in Koblenz der erste Schauspielklassiker der neuen Intendanz Dietze auf die Bühne. Die Aufnahme beim Premierenpublikum war durchwachsen: Begeisterung hier,  Achselzucken da. Und der Kritiker hat sich bald ziemlich gelangweilt - nachdem binnen 15 Minuten die schauspielerische Manier der Inszenierung klar geworden war, die Figuren sich nachfolgend kaum weiter entwickelten und auch inhaltsinterpretatorisch nichts Interessantes mehr in Aussicht stand. Schade drum, man hätte viel lieber von einem spannenden Abend erzählt. Es scheint so, als tue sich beim Koblemzer Neuanfang die Schauspielsparte im Augenblick am schwersten, Tritt zu fassen. Da ist, von den Spielstilen der Schauspieler bis zu den Regieansätzen, noch viel zu viel vordergründig demonstrative Künstelkunst am Werk.  Die Ästhetik ist moderner, aber vor allem die Art der Menschendarstellung hängt noch arg am eindimensionalen Vorführungstil des konventionellen Stadttheaters.
(zur "Revisor"-Kritik hier)   

28.11.

Ein paar Bemerkungen die Frühlektüre am heutigen Samstagmorgen betreffend.

MP Koch lässt, wie von ihm selbst lange angekündigt,  ZDF-Chefred. Brender über die Klinge springen: Die Berlusconisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland marschiert. Erstens, weil Koch und Co. es so wollen. Zweitens, weil die politische Klasse zu großen Teilen entweder nichts dagegen hat, oder dem Prozess gleichgültig gegenübersteht, oder (aus welchen Interessen und Beweggründen?) zwar zetert, aber das Mögliche einfach nicht dagegen tut. Die mediale Gesamtlage könnte demnach alsbald so  aussehen: Öffentlich-rechtliche Sender fest im Griff vorherrschender Politparteien, Privatsender und die Mehrzahl der Printmedien fest im Griff wirtschaftlicher Interessen.  Unabhängiger Qualitäts-Journalismus als Fünfte Gewalt perdu, Pressefreiheit im Sinne informationeller Gegengewalt nur mehr ein Papiertiger.
 
Lektüreempfehlungen zum Thema:
Deutschland = Berlusconi-Land (Spiegel)
Mit dem Zweiten sieht man schwärzer (Telepolis)
Meins bleibt meins (Zeit)
Protest von 35 Staatsrechtlern (FAZ)

                                                    ****   

Affäre Billen. Zur Info all jener Leser, die mit den chronisch virulenten Spezialitäten der rheinland-pfälzischen Landespolitik nicht so vertraut sind: Im Fall "modernistischer Erlebnispark am altehrwürdigen Nürburgring" hat sich die SPD-Landesregierung leichtgläubig bis dämlich (weil von ihrer Ring-Idee und dem Konzept einer privaten Finanzierung hingerissen geblendet) von halbseidenen Beratern, Subventions-Fledderern und Finanzmafiosi in Nadelstreifen hinters Licht führen lassen. Einen Minister kostete das inzwischen den Job. Und die seit langem ziemlich marode Landes-CDU sah ihre große Chance gekommen, sich an der causa Nürburgring endlich gesundzustoßen.

Doch im giergeifrigen Eifer des Gefechts um die künftige Macht im Land verloren zwei CDU-Granden alle Hemmungen: Der Abgeordnete Billen aus der Eifel ließ sich von seiner in Polizeidiensten stehenden Tochter illegal mit Nürburgring-Ermittlungsdaten aus dem Polizeicomputer versorgen.  Der pfälzische Abgeordnete Dincher missbrauchte seine Stellung als Kripobeamter, um sich gleich selbst auf illegalem Weg mit Infos aus dem Polizeinetz politisch zu munitionieren. Von der schieren Dummheit des Vorgehens mal abgesehen: Die Sucht nach der Macht war wohl so stark, dass im Billen-Fall ein Vater sehenden Auges die berufliche Karriere und womöglich Lebensplanung seine Tochter über die Klinge springen ließ wegen eines vermeintlichen politischen Vorteils. Das ist widerlich. Dincher brachte, wie es im Moment aussieht, durch seine Blödheit wenigstens nur sich selbst beruflich zu Fall.

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Pflichtvergessenheit, Selbstherrlichkeit und Machtversessenheit gepaart mit Naivität bis hin zu Blindheit und Dummheit kennzeichnen auch die "Affäre Jung". Noch in seiner Rücktrittserklärung spielt der Ex-Verteidungs- und Ex-Arbeitsminister die beleidigt nöhlende Leberwurst: Mit seinem Rücktritt übernehme er die Verantwortung dafür, dass sein Ministerium ihn nicht richtig informiert habe. Nicht er, sondern die Bürokraten seines Ministeriums sollen also schuld daran sein, dass er Parlament und Volk hinters Licht geführt hat. Werter (?) Herr Jung, mal kein politisches Kalkül bei ihrem objektiv Unwahrheiten verbreitenden Informationsgebaren im September 2008 ff unterstellt: Ich bezahl doch nicht jede Menge Steuern, damit Sie selbstzufrieden einen nach Ihrer eigenen Darstellung offenbar völlig unfähigen, dafür vollends verantwortungslosen Dilettantenapparat von Verteidigungsministerium vorstehen. Mein Herr, das Land steht im Krieg, es geht für viele unserer jungen Leute und noch mehr Menschen  in Afghanistan auf Leben und Tod, Sie aber wollen  nicht mal wissen, was die Ihnen untergebenen Beamten diesbezüglich in den Nachbarbüros treiben - und geben dennoch weiter stur den Pontius Pilatus.

                                                  ****

Warum eigentlich wundert sich noch immer jemand über wachsende Parteien- und Politikverdrossenheit?  Wo doch die Frühstückslektüre schon eines einzigen Samstagmorgens geeignet ist, einem das Vetrauen in die (so viele) Akteure rigoros auszutreiben. 


27.11.

Weil gestern einige Zeitgenossen, darunter auch alte Freunde, so ungläubig geguckt haben, wiederhole ich die These gerne noch einmal und bestätigte, dass sie ernst gemeint war/ist: Der Bologna-Prozess ist die bildungspolitische Brechstange der neoliberalen Wirtschaftswende!

                                             ***

Also doch: Minister Jung tritt zurück. Ein anderer Ausgang dieser Affäre hätte Eugene Ionescos Edikt über sein eigenes Empfinden womöglich zur Beschreibung einer allgemeinen Stimmung gemacht: "Die Welt entspricht mir nicht, und sie ist sinnlos", schrieb der Dramatiker einmal, der gestern 100 Jahre alt geworden wäre, hätte er nicht 1994 das Zeitliche gesegnet. (Hallo, verehrte Theatermacher: Warum spielt eigentlich kein Mensch mehr seine Stücke, obwohl sie prima passen täten zu unserer Zeit? Jetzt die "Nashörner", das wäre fein.)

Hingewiesen die verehrte Leserschaft ohne weitere Umstände auf zwei eben neu eingestellte Artikel:
1. "Quergedanken" - die Monatskolumne diesmal als besinnlich sinnende Einstimmung auf den Festmonat. (∇ zum Artikel)
2. Eine Betrachtung über Werden und Wandel der Volkshochschulbewegung (∇ zum Artikel)

26.11.

Begleitend zu den aktuellen Ereignissen in Berlin ein schneller Kommentar zur Sache "Affäre Jung". Basis Nachrichtenstand 16.04 Uhr  (weiter...)

                                                  ***

Das SWR-Fernsehen zeigt Bilder von den jetzt auch an Uni und FH in Koblenz "ausgebrochenen" Studentenprotesten, insbesondere von den studentischen "Störungen" des gestrigen Offizialaktes zur Einweihung einer neuen FH-Aula.  Und ein Schmunzeln kann man sich dabei kaum verkneifen: Über die Jahre zu ministeriellen und/oder akademischen Würden und Hoch-Ämtern gekommene einstige 68er-Kämpen oder -Symphatisanten respektive Mittuern bei der Schüler- und Studentenbewegung in den 1970ern schauen ziemlich betröppelt bis pikiert aus der Wäsche. Den respektlosen Hader der "eigenen" Studenten livehaftig zu erleben/erleiden ist halt doch ein recht spezielles Erlebnis, gelle?!  Und bei allem entweder zur Schau gestellten oder klammheimlichen Verständnis für die jungen Leute: So viel unbotmäßiger Sand im Getriebe (noch dazu im festlichen Einweihungsgetriebe) kratzt die lieb gewordenen Gewohnheiten eben doch arg.

Ach, Herr- und Damenschaften: Erinnert Euch an den Zorn von damals, kombiniert diese Erinnerung mit den Bologna-, Bildungsoffensive- und Gerechtigkeits-Versprechungen, nehmt das von diesen Studenten real zu erlebende (nicht offiziell gezeichnete) Ergebnis hinzu - dann dürftet Ihr eigentlich nur noch eines: Euch wundern, dass die Proteste noch immer so gemäßigt ausfallen.

Dazu (wiederholt) dies: Das Kernproblem ist nicht mangelhafte oder überschießende Umsetzung des Bologna-Prozesses an dieser oder jener Ecke. Das Kernproblem rührt von der Verlogenheit der Bologna-Ideologie selbst. Kein Mensch hätte etwas gegen eine Europäisierung von Studiengängen und Abschlüssen gehabt. Aber unter diesem Deckmäntelchen mutierte Bologna in Wahrheit allüberall zum Hebel, Hochschulen und Hochschulbildung einer Zwecksetzung durch die Ökonomie zu unterwerfen - Entwürdigung des Lernens/Studierens durch Loslösung von seinen individual-humanistischen, emanzipatorischen Zwecken inklusive.  Bologna ist die bildungspolitische Brechstange der neoliberalen Wirtschaftswende seit 1989! Wie diese große Wende nun in einer Sackgasse endet, so auch ihr Bildungsbrüderchen.

Ja, ja, ich weiß, derart pauschal dürfe man das nicht sehen, meint Ihr. Doch, man darf. Man muss sogar! Denn irgendjemand muss sich schließlich mal einen Kopf darüber machen, wohin dieser Zug eigentlich fährt - statt nur allweil an der Lokomotive herumzubasteln oder sich um die Sitzbezüge in den Waggons zu sorgen. Könnte nämlich sein, dass die Insassen nicht nur von der Überfüllung des Zuges und miesem Fahrkomfort genervt sind, sondern vor allem darüber beunruhigt, wohin dieses Gefährt sie am Ende bringt.

Mehr zum Thema Studentenproteste:
2009-11-18 Review:
Anlässlich zweiter Welle im "Bildungsstreik 2009" - frühere Analysen, die noch immer gelten 


                                                  ***

Eingestellt heute auch zwei Texte, die etwas aus dem üblichen Rahmen fallen. Ein kleiner Gastbeitrag, in dem Reinhard Bender von seiner Faszination beim Hören einer Rezitations-CD erzählt
 (hier) sowie die per Presseerklärung übermittelte Forderung einer Anti-AKW-Gruppe innerhalb der CDU nach voller Versicherungspflicht für AKW-Betreiber (hier).      


23.11.

In der rheinland-pfälzischen Theaterlandschaft richtet sich die Aufmerksamkeit seit Beginn der Spielzeit 2009/10 vor allem auf zwei Neulinge: In Mainz hat Pascal Touzeau in der Ballettsparte  Martin Schläpfer abgelöst, in Koblenz Markus Dietze die Intendanz von Annegret Ritzel. Beiderorts offenbarten die ersten Premieren deutlich andere Handschriften als von den Vorgängern über die letzten zehn Jahre gewohnt. Beiderorts stießen neue Ästhetiken und Konzepte auf großes Interesse, aber nicht nur auf Begeisterung. Eine Kleine Bilanz der beiden Neuanfänge...

                                                   ***

Das digitale Zeitalter macht auch vor den guten alten Archiven nicht halt. Gewaltige, nach  Akten-Kilometern bemessene Bestände sollen elektronisch erfasst werden. Sollen auf ewig sicher und zugleich für jeden zugänglich sein. Der Traum vom Internet-Zugriff aufs gesamte Gedächtnis der Menschheit geht um. Im rheinland-pfälzischen Landeshauptarchiv Koblenz bin ich einigen Aspekten der derzeit in Fachkreisen international heftig diskutierten Frage nach Chancen und Grenzen der Archiv-Digitalisierung nachgegangen.  Zum Artikel...

21.11.

Heute mal ein spezielles Willkommen den Besuchern aus Rumänien. Laut der Statistik meines Providers, von welchen nationalen Domains aus auf diese Website zugegriffen wird, liegen bei den Usern aus dem Ausland seit einigen Wochen diejenigen aus Rumänien nach Österreich, Schweiz, Niederlanden und USA an fünfter Stelle. Insgesamt machen die nach Staaten lokalisierbaren Besucher aus dem Ausland (oder Inländer mit Auslands-Domain) knapp 10 Prozent des Verkehrs auf www.pecht.info aus. Und weil wir gerade bei der Besucherstatistik sind: Im bisherigen Verlauf von 2009 stammen die lokalisierbaren Besucher zu etwa 65 Prozent aus dem Raum Köln/Bonn, Rheinland-Pfalz, Frankfurt/Wiesbaden und Karlsruhe/Freiburg, zu 25 Prozent aus dem übrigen Deutschland und zu 10 Prozent wie gesagt aus dem Ausland.

Mal wieder hingewiesen sei auf meinen Leserservice eMail-Benachrichtigung über neue Artikel/Texte auf pecht.info, für den Sie sich hier anmelden können

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Anlässlich der Vorstellung jüngster Google-Entwicklungen in Sachen Betriebssystem, Handy, Externrechner, Wave etc. hat  Spiegel-online jetzt ein Szenario entworfen (hier) für die neue Art, sich durchs Leben zu bewegen. Nein, "bewegen" ist der falsche Ausdruck: Durchs Leben zu e-kommunizieren oder zu googeln wäre wohl richtiger für diese nächste Entwicklungsstufe der elektronischen Durchseuchung und Entfremdung des Daseins. Interessant im Hinblick auf Befindlichkeit und Orientierung der Gesellschaft ist, dass viele Leute angesichts solcher Szenarien mit glänzende Augen jauchzen, während viele andere das schiere Kotzen kriegen. Mein Eindruck: Die vermeintlichen E-Helferlein werden immer mehr zur normativen Kraft für das, was wir mal menschliche Selbstbestimmung nannten. Ist das Technikfeindlichkeit? Wenn die besorgte Frage, ab wann welche Technik sich vom dienstbaren Geist per se zum Herrscher über die Lebenskultur aufschwingt, schon technikfeindlich ist, dann sei es halt so. 


20.11.

Die rheinland-pfälzischen Kulturszene wird das Jahr 2009 als ziemlich lebhafte Fahrt auf dem Personalkarussell in Erinnerung behalten. Für viele Leitungsfunktionen sind Wechsel beschlossen oder bereits vollzogen. Hier eine Übersicht...
  

18.11.

Zweite Welle im "Bildungsstreik 2009": Den verantwortlichen Herrschaften in Politik und Hochschulen sei Aufwachen, Nachdenken und Richtungswechsel anempfohlen sowie dringend davon abgeraten, auf Zeit zu spielen. Dass gerade mal fünf Monate nach den letzten bundesweiten Protesten erneut eine Aktionswelle etliche zehntausend Studenten auf die Beine bringt, zeigt, dass erheblicher Druck im Kessel ist - der durch Aussitzen, wechselseitige Schuldzuweisungen oder politbürokratische Tricksereien im Dschungel des Bildungsföderalismus eben nicht kleiner wird. Genaues Hineinhören und Hineinschauen in die Gedankenwelt der Protestierer würde auch einigen Kommentatoren klar machen, dass es nicht bloß um überfüllte Hörsäle, ein paar überdrehte Unstimmigkeiten beim Bolognaprozess und ein paar hundert Millionen Euro mehr für die Bildung geht. Es geht vielmehr um Zweck, Richtung, Selbstverständnis und strukturelles So-Sein des Bildungssystems selbst. Oder anders ausgedrückt: Die jungen Leute stellen die gesamte neoliberale Zurichtung der Bildung (damit auch Determinierung ihrer Lebensart) über die vergangenen eineinhalb Jahrzehnte auf den Prüfstand - und watschen sie, mit bemerkenswerter Beharrlichkeit, ab.

Es setzt sich nun fort, was in den letzten Jahren an Unwille herangewachsen ist. Und weil die Politik nicht daran denkt, an der grundsätzlichen Richtung des Bildungskurses etwas zu ändern, gelten auch meine kommentierenden Überlegungen vom Juni und aus den Vorjahren einfach weiter. Weshalb einige davon noch einmal in Erinnerung gebracht seien (∇  weiter zu den betreffenden Artikeln)

13.11.

Mit einigem Stolz und durchaus berechtigtem Pathos wurde dieser Tage der friedliche Aufstand des DDR-Volkes vor 20 Jahren gegen die realsozialistische Diktatur gefeiert. Zeitgleich kursierte fast unbeachtet diese kleine Nachricht: Eine repräsentative BBC-Umfrage in 27 Ländern weltweit habe ergeben, dass zwar 54 Prozent der Befragten den Zusammenbruch des Sowjetsozialismus positiv sehen, aber zugleich drei Viertel mit dem Kapitalismus in seiner jetzigen Form nicht einverstanden sind. Was sagt dieser Befund über die globale Stimmungslage?
(weiter zum vollständigen Analyseartikel)

                                          ***

Sibylle Dudek ist offenkundig eine sehr gescheite junge Frau. Seit Beginn der Spielzeit Hausautorin am Theater Koblenz, hat sie ihrer Wirkungsstätte nun das erste Stück geschrieben. „Klytaimnestra“ ist ein bemerkenswerter Text – über eine jener vielen Figuren, die im gewaltigen antiken Sagengewebe vom Trojanischen Krieg ihr tragisches Schicksal erfüllen. Das im Programmheft abgedruckte Skript lässt sich mit großem Gewinn lesen, mit noch größerem Gewinn analysieren. Aber eignet es sich auch für die Bühne?  (∇ weiter zur Kritik)


09.11./Ergänzung 10.11.

Das Theater kann derzeit schön Bezug nehmen auf von Geldgier verworrene Realverhältnisse. Davon macht es auch einigen Gebrauch. Am Wochenende spielte das Thema bei der Uraufführung eines Stückes mit dem Titel  "Der heilige Paulus" in Mainz und bei der Premiere von "Volpone" in Wiesbaden eine Rolle.

Um es noch einmal ausdrücklich zu unterstreichen: Es bestehen meinerseits keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine ordentliche Portion Politisiererei am Theater, selbst wenn die sich aktuelle Entwicklungen vorknöpft.  So allerdings wie das jetzt  Robert Borgmann in Mainz gemacht hat, kann daraus nix Gescheites werden. Der gerechte Zorn des jungen Mannes auf die Weltverhältnisse reicht allein nicht für ein gutes Stück, selbst wenn es sich um ein umgeschriebenes  Pasolini-Skript handelt. Das Bühnenergebnis ist thematisch völlig überladen, es ist inhaltlich verquast, dramaturgisch ein Chaos und inszenatorisch, wie soll man sagen: "bemüht".  Zur Kritik "Der heilige Paulus"...

(10.11.) Nachgereicht nun auch die Besprechung der zwar sehr schrillen, aber als Commedia-Burleske auch sehr gut gemachten "Volpone"-Inszenierung in Wiesbaden .    


08.11.

Es mutet eigentümlich an, wenn man sich vor dem Hintergrund all der derzeitigen Aufarbeitungen, Deutungen und Umdeutungen des ostdeutschen Volksaufstandes von 1989 zum 20. Jahrestag des Mauerfalls dies vor Augen führt: Für die jetzt lebenden Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind die Ereignisse, die uns Älteren wie "neulich erst erlebt" vorkommen, nur mehr  Erzählung aus ferner Geschichte. Die gesamte deutsche Jugend besteht aus "Nachgeborenen". Und wer erahnen will, wie deren emotionale Beziehung zu den damaligen Ereignissen und den vielfachen Reflexen darauf in diesen Tagen ausschauen oder sich anfühlen könnten, der versetze sich in die eigene Kindheit oder Jugend zurück: Wie war dein Verhältnis als 1945 bis 1955 Geborener zu den Welterschütterungen des Dritten Reiches, Zweiten Weltkrieges und den öffentlichen oder privaten Reflexen darauf. Natürlich sind die beiden Epochen objektiv kaum vergleichbar, aber die subjektive Distanz der Nachgeborenen und vor allem das immer wieder Erstaunliche einer gleichzeitigen Existenz völlig verschiedener Epochenerfahrungen und -wahrnehmungen innerhalb einer Lebendbevölkerung wird an diesem Erinnerungsvergleich deutlich.

Umso mehr interessiert, was die Heutigen zusammenrühren, das morgen im kollektiven Geschichtsgedächtnis der Nachgeborenen und Nachnachgeborenen stecken wird.  Die Zusammensetzung des künftigen Erinnerungsbestandes entscheidet sich zu großen Teilen im derzeitigen Diskurs. Und nichts wäre trauriger, als würde dabei einmal mehr die historische Rolle des einfachen Volkes hintan gesetzt. Deshalb sei auch an dieser eher unbedeutenden Stelle festgehalten: Befreiung von der SED-Diktatur und Mauerfall waren kein Geschenk von Gorbatschow, kein Verdienst der damaligen westdeutschen Kohl-Genscher-Regierung und auch keine Nachwirkung der Ostpolitik von Willy Brandt. Das Ende der Diktatur und die Öffnung der Grenzen hat ein zu Selbstbewusstsein gelangtes Volk, dasjenige der DDR, in mutiger Solidarität selbst erstritten.  Und: Es war dies in ihrem Ursprung und Kern keine Revolution zum Zwecke der nationalen Widervereinigung. Der Aufstand galt zuerst und in erster Linie der Beendigung von Bedrückung, Tristesse und Eingesperrtsein.

"Wir sind DAS Volk" lautete die Losung, unter der sich die Ostdeutschen versammelten, weil sie die Verhältnisse in ihrem Land  nicht länger dulden mochten. Kaum einer dachte in diesen Momenten des Herbstes 1989 an das, was danach kommen sollte oder könnte: dritter Weg einer ganz anderen DDR, Anschluss an die BRD oder Vereinigung beider deutscher Staaten auf gleicher Augenhöhe - alles war möglich, aber die nachherige Ausdifferenzierung der Wunschvorstellungen und die schließlich wuchtige Überhandnahme des Drangs zur Vereinigung mit er BRD um jeden Preis unter der Parole "Wir sind EIN Volk" spielte zum Zeitpunkt der Revolution keine Rolle.

Wie immer in großen historischen Umbruchmomenten, folgten auch in dieser deutschen Revolution die diversen Phasen in unglaublicher Schnelle aufeinander. Wie in Frankreich auf den Freiheitsrausch 1789 sogleich der Terreur, in Russland 1917 nur ein halbes Jahr nach der Februar- die Oktoberrevolution, so in Deutschland auf die faktische Befreiung von der SED-Dikatur ein Halsüberkopf-Run in die nächstliegende, am realistischsten, praktischten und sichersten erscheinende Perspektive der nationalen (Wieder)Vereinigung. Das Volk der DDR hatte sich selbst befreit,  stand nun allerdings inmitten der Trümmer eines zerrütteten, womöglich nicht mehr lebensfähigen Staates - und statt sich der Gefahr eines Gesellschaftsexperimentes mit ungewissem Ausgang auszusetzen, wählte es den Weg zur dauerhaft Freiheit und Wohlstand versprechenden Vereinigung. Wer wollte es den  Menschen verdenken?! Es folgte der Anschluss, aber das ist ein anderes Kapitel, mit bald vielen, vielen unerfreulichen Abschnitten darin.  

Was unbedingt in Erinnerung bleiben muss, ist: Die Geburt des neuen, des vereinigten Deutschland, der gewissermaßen dritten deutschen Republik nach Weimar und Bonn, verdankt sich ureigentlich der Renitenz und dem Aufbegehren eines Volkes gegen seine Obrigkeit, verdankt sich - wie schon die Geburt der ersten, der Weimarer Republik - dem "Aufstand der Straße".  (Diese Straße lag im Osten und den Aufstand haben die Ossis ganz allein hingekriegt; ohne Kohl oder Bush sen. Der Westen hat zugeschaut, hat applaudiert, hat sich gefreut - und nachher den Asphalt spendiert, auf dass seine Autos dort wohlfeil verkauft werden und nach seinen Regeln Land und Leute überrollen. Aber das ist, wie gesagt, eine andere respektive die Kehrseite der Geschichte.)          

Leseempfehlung zum Thema:
http://www.zeit.de/2009/46/Verpasste-Freiheit
         

05.11.

Drei Äußerungen über Deutschland und den Zeitgeist, die bei der heutigen Frühlektüre ins Auge sprangen,  die behalten und bedacht sein wollen.

"Ich weiß manchmal nicht mehr, was sind meine Erinnerungen, und was wird einem von außen aufgestülpt. (...) Mich kotzt das alles an, weil durch diesen ganzen Rummel der eigene Blick verloren geht."   Corinna Harfouch zur derzeit überschießenden medialen Aufbereitung des Mauerfalls; gefunden im "Zeit-Magazin".

"Aufgewachsen in den 90er-Jahren, sehen die Jugendlichen Wettbewerb als einzig denkbare gestaltende Kraft." Buchautorin Lara Fritzsche über heutige Abiturienten; gefunden in "Rhein-Zeitung".

"Wie könnte ich auch, hin- und hergerissen zwischen Schock und Dankbarkeit, Seligkeit und Enttäuschung, Bestürzung und Verwunderung, mit diesem Land je zu Rande kommen." Hans Magnus Enzensberger über Deutschland; Zitat gefunden in "Zeit".

                                               ***

Die Mainzer Chefdirigentin Catherine Rückwardt hat jetzt eine Vertragsverlängerung abgelehnt. Sie wird nach rund zehn Jahren das dortige Staatsorchester verlassen, um sich anderen Aufgaben zuzuwenden. Ihr "Wunsch nach einer Veränderung" sei "lange gewachsen" erklärt die 49-Jährige gegenüber der Presse. Das trifft gewiss zu, klammert allerdings den Umstand aus, dass die zuletzt nicht mehr recht stimmige persönliche Chemie zwischen dem Orchester und ihr diesen Entschluss wohl befördert hat.

Wie dem auch sei, ich habe in Catherine Rückwardt eine Frau kennengelernt, die nicht nur musikalisch wiederholt beeindruckte. Vielmehr nötigte mir ihr stetes Eintreten für ein Verständnis klassischer Musik als essentielles Element der Entwicklung einer humaneren Gesellschaft bei mancherlei Gelegenheit Respekt ab. Ich durfte in ihr die ganz uneitle, der Sache verschriebene Musikerin, Zeitgenossin, Mitbürgerin erleben. Etwa nach einem langen Jury-Tag in dunklem Abend gemeinsam frierend vor dem  Montabaurer Musikgymnasiums ewig auf den Abholer wartend. Oder sie selbstlos im Straßeneinsatz gegen die absurde rheinland-pfälzische Orchesterreform tätig, durchaus die eigene Stellung gefährdend. Da war die Mainzer Chefdirigentin, beispielsweise, mit Teilen ihres Orchesters nach Koblenz gekommen, um mit den dortigen Orchestermusikern gemeinsam auf der Straße Protestkonzerte gegen die Politik des damaligen Kulturministers zu geben. Dort überließ sie umstandslos  den Dirigentenstab einem Koblenzer, trat bescheiden ins Glied zurück, kümmerte sich um Notenverteilung und schlug die Triangel.

Deshalb: Respekt - und die besten Wünsche für eine gute Restzeit in Mainz, vorallem für interessante Herausforderungen nachher anderswo.    

03.11.

Was die Argumentation der Befürworter einer Verlängerung von AKW-Laufzeiten angeht, so begegnet uns darin dieser Tage (heute wieder in meiner Frühstückszeitung) eine eigentümliche Unlogik: Da wird mit größtem Ernst unverdrossen die BSS-Behauptung wiederholt (BSS = billig, sauber, sicher), gleichzeitig aber mit Verve am schlussendlichen, wenn auch weit nach hinten verschobenen Atomausstieg festgehalten. Was nun? Entweder Atomkraft ist bss, dann wäre der Ausstieg überhaupt Unfug. Oder an bss ist was faul, dann wäre die Hinausschiebung des Ausstiegs unverantwortlich. ....

(Dies ist der erste Absatz eines längeren Aufsatzes, den Sie
∇ hier vollständig lesen können) 

     
 
Wünsche Erhellung und Anregung
bei der Lektüre nebenstehender neuer Texte
Andreas Pecht

2009-10 Guten Tag allerseits
vom Monat Oktober


2009-09 Guten Tag allerseits
vom Monat September


 

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