Kritiken Theater | |||
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2010-02-14 Ballettkritik: | |
Wiesbadener Ballett „Es war einmal...“ zwischen kunstvoller Volkskunde und hintergründiger Kalauerei Wo die Märchen ihren Ursprung haben |
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ape. Wiesbaden. Es
ist riskant, wenn populäre Titel Erwartungen auf Erzählballett für die
ganze Familie wecken, die betreffende Produktion sich aber großteils in
anspruchsvollen Kunstsphären bewegt. „Es war einmal … Grimms Märchen
für Eilige“ heißt der neue Ballettabend am Staatstheater Wiesbaden.
Doch es dauert, bis dem Zuseher eine Szene mit Beziehung zu seinem
Märchengedächtnis begegnet: Gegen Ende der zweiten von drei
Choreografien küsst ein fescher Junge eine tote Maid ins Leben zurück.
Hernach gibt’s zwar vom Ballettchef Stephan Thoss hergerichteten
Märchenstoff satt. Bis dahin aber herrscht von zwei Korpsmitgliedern
choreografiertes Kunstballett vor: Schön geformte, stark getanzte
Hingucker – die sich bei einigem Nachdenken auch als getanztes
Philosophieren über das Phänomen Märchen deuten lassen. |
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Wie
entstehen Märchen? Das scheint Yuki Mori eingangs zu fragen. Dunkle
Gestalten eilen als geschäftige Schatten vor einem schmalen Lichtband
über die Bühne. Dann klumpen sich die Schatten zum Volkshaufen, gebären
aus ihrer Mitte eine hellhäutige Nackte. Kihako Narisawa ist der
personifizierte Keim eines Märchens, jedes Märchens: Fantasieprodukt,
resultierend aus dem gewöhnlichen Leben. Vom Volksmund weitergereicht,
entwickelt es Eigenleben, vereint sich geisterhaft mit
anderen Sagengestalten. Was Narisawa und zwei mit ihr korrespondiernde
Paare zeigen, ist eine Art literaturgeschichtliche Betrachtung.
Freilich zurückgeführt auf das sinnlich-vitale Entstehen von Märchen
aus dem Volke heraus. Diesen Gedanken entwickelt Mirko Guido in seiner nachfolgenden Choreografie weiter. Da mag eine deftige Großmutter dem Quengeln ihrer Enkelgöre nach Vorlesen der ewiggleichen Standardmärchen nicht nachgeben. Sie schmeißt das Märchenbuch weg, nimmt stattdessen das Mädchen mit auf eine Reise durch die eigene Fantasie. Daraus wird eine durch drei schwarze Rollwände mit allerlei Überraschungen flott geschnittene Szenenfolge. Darin führen sieben Tänzer Aktionen zwischen Schabernack, juvenilem Liebeslustgeturtel und ausgelassenem Schwof vor. Bis besagte entschlafene Maid wachgeküsst wird, sind Sinndeutungen im einzelnen nur hypothetisch. Das Zusehen ist allerdings ein ästhetischer Genuss per se, häufiges Schmunzeln inklusive. Thoss bietet dann im Schlussteil zu Musik vor allem von Jacques Offenbach das gesamte Personal der Grimm'schen Märchen auf. In opulenter Kulisse aus schiefen Schlössern, von der Decke hängenden Türmchen, überdimensionierten Fröschen und Kronen trifft jeder auf jeden: Knutschwillige Prinzen zuhauf bekommen es mit Schneewittchen, Dornröschen, Frau Holle, Hexe zu tun. Ein (auf)reizendes Rotkäppchen scharwänzelt um dickbäuchige Könige, Jägersleut’ oder den Koch herum, derweil böser Wolf und böse Königin zärtlich miteinander schmusen. Das ist ein spritzig ertanztes, humoriges Tohuwabohu. Als telegene Show gerahmt, nimmt es mit giftigem Grinsen zugleich die wohlfeile Ausschlachtung des Märchenkanons durch heutige Werbe- und Kurzweilindustrie auf die Schippe. Andreas Pecht Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de (Erstabdruck 15. Februar 2010) |
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