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2010-03-06 Schauspielkritik:

"Durch die Wüste": Uraufführung  von André Rößlers Karl-May-Projekt am Staatstheater Mainz


Wenn der Nemsi mit dem Hadschi
den Taliban tanzt


 
ape. Mainz. Man wühle in populärer Abenteuerliteratur von einst. Ziehe ein Werk heraus, das über Generationen das landläufige Orientbild beeinflusste: Karl Mays Romanreihe mit den Taten des Deutschen Kara Ben Nemsi zwischen Arabien und Balkan. Den Stoff versetze man vom 19. ins frühe 21. Jahrhundert, verrühre ihn mit unseren Annahmen über Land, Leute, Kultur vom Bosporus bis zum Hindukusch. Ergebnis im Mainzer Staatstheater: Uraufführung von André Rößlers „Durch die Wüste. Ein Karl-May-Projekt“.
 

Die Bühne (Tine Becker) beherrscht eine Sanddüne. Links davor ein Döner-Imbisswagen, wo bei ewig laufendem Fernseher auch Tee, Bier, Wasserpfeifen ausgegeben werden. Rechts neben dieser „Wüste“ lässt sich unterm heimeligen Leselämpchen Andrea Quirbach im Tropenanzug nieder. Sie ist: Karl May, der aus jenen tausenden Seiten vorliest, die er von Sachsen aus mit Orient-Abenteuern vollschrieb, ohne einen Fuß in die Ferne gesetzt zu haben.

Der Schreiber tat, was auch die meisten von uns tun: Infos aus zweiter und dritter Hand zum vermeintlich authentischen Bild vom Orientalen verkleben. Was gleich ins Auge fällt an diesem Abend, ist die simpel überzeichnende, an eine krachledern-humorige  Amateur-Revue erinnernde Spielweise des acht-köpfigen Ensembles. Gewollte Naivität, dem Weltbild Karl Mays angemessen; alle Akteure können bekanntermaßen ganz anders.

Kara Ben Nemsi (Greogor Trakis), Superheld der coolen Art. Sein Diener Hadschi Halef (Stefan Graf), „Mann ey“, ein der Türk-Comedy entsprungener Typ. Mit Knallerbsen-MP im Anschlag verfolgt das christlich-muslimische Duo orientalisches Mordgesindel, das in der Wüste die Sendboten westlichen Kulturglücks abknallt. Opfer ist stets Thomas Prazak, der im Geschäftsanzug mal Kaugummi als Tabakersatz anpreist, mal mit 'nem Malboro-Musterkoffer aufkreuzt, mal sich als hipper Personality-Trainer abzappelt.

Zlatko Maltar schlüpft in die Mörderrollen: Er ist Karl Mays Bösewicht Hamd el Amasad und schießwütiger Taliban. Nachher sieht er Saddam Hussein gleich, wird wie jener in Unterhosen vom überlegenen Abendländer auf den Verhörstuhl verfrachtet. Versatzstücke von Romanhandlung fließen nebst deren Figuren ins Aktuelle oder umgekehrt. Die Revue-Konstruktion zielt mitsamt schnuckeliger Tanzeinlage auf satirische Pointen. Der ernste Gedanke hinter dem nach allen Seiten austeilenden Spiel geht vielleicht so: Schaut her, aus was für blödsinnigen Vorurteilen heraus wir aufeinander einschlagen.

Problem bei der ganzen Sache: Die an und für sich interessante Idee bleibt bald im Übermass gewollter Naivität bei der Umsetzung stecken. Das um Komik bemühte  – sogar über Parkettreihen und aufs Hochtrapez ausgreifende – Chargenspiel kalauert oft behäbig und grobschlächtig vor sich hin. Für eine gescheite Farce mangelt es dem 100-minütigen Abend an Spritzigkeit und jenem inszenatorischen wie darstellerischen Esprit, mit dem Rößlers „Reigen“ 2007 in Mainz begeisterte.

Mag sein, der Regisseur misstraute selbst der erhellenden Wirkung seiner Satire: Er lässt den Mann auf dem Verhörstuhl einen bitterernsten Belehr-Epilog sprechen über die Kluft zwischen den Kulturen und zweifelhafte Hoffnung darauf, dass Menschsein sie eines Tages überwinden möchte.
                                                                                       Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck 8. März 2010)


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