Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2010-03-29 Ballettkritik:

Theater in Koblenz und Trier bieten zeitgleich opulentes Passions-Ballett


Viel gute Musik mit etwas Tanz


 
ape. Koblenz/Trier.  Dem vorösterlichen Stand des Kirchenjahres angemessen, brachten die Stadttheater Koblenz und Trier unabhängig voneinander jetzt je ein Passions-Ballett heraus. Beide Häuser leisteten sich dafür den Einsatz großer Apparate aus Tanzcompagnie, Chor, Gesangssolisten und Orchester. Beiderorts schlossen die Premieren mit Ovationen des Publikums. Hier wie dort wurde der Tanz als erzählerisches Instrument benutzt. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten.

 

Während Compagniechef Anthony Taylor in Koblenz Bachs Johannes-Passion mit den klassischen Mitteln des Balletts choreographierte, inszenierte Sven Grützmacher in Trier ein Tanztheaterstück zur Collage aus diversen (Passions-)Musiken von Bach und Händel bis Schnittke und Steve Reich. Während Taylor wesentlich auf die Bebilderung der biblischen Geschichte vom Leiden Christi abhob, versuchte Grützmacher eine moderne Deutung derselben.

Die Theater in Koblenz und Trier sind Dreisparten-Häuser, ihre Ballettensembles klein: Koblenz hat nur 14 Tänzer, Trier gerade 10. Dennoch gilt die Tanzsparte als angesehene und feste Säule im  Kulturbetrieb der Städte. Dass die beiden Choreographen sehr unterschiedlich an das Thema herangehen würden, war absehbar. Sie gehören verschiedenen Generationen an und pflegen ganz eigene Stile. Taylor, Jahrgang 1944,  ist der Senior und mit 28 Jahren an der Spitze des Koblenzer Balletts nicht nur eine lokale Institution, sondern einer der dienstältesten Chefchoreographen Deutschlands. Grützmacher wechselte erst in den 1990ern am Saarlädischen Staatstheater vom Tänzer- ins Choreogaphiefach und arbeitet seit 2005 als Tanzchef in Trier.

Die divergierenden Stilprägungen der beiden werden auch bei ihren jetzigen Passions-Arbeiten sofort augenfällig. Taylor wählte als Raum für sein Ballett zur „Johannes-Passion“ quasi eine traditionelle Konzertaufstellung: die Rheinische Philharmonie vorne unten (im Graben), der Theaterchor hinten oben auf einem hohen Podest in breiter Front aufgestellt (musikalisch Leitung:  Bernhard Ott). Die neutrale Bühne dazwischen bleibt den ballettösen Aktionen und dezenten Auftritten der vier Gesangssolisten vorbehalten.

Farblich markant, zeitlos und körperbetont eingekleidet (Bühne/Kostüme: Martina von Holn), führt die Koblenzer Compagnie das klassische und neoklassische Bewegungsrepertoire ihres Chefs auf. Um was damit zu tun? Meist, um die musikalisch erzählte Passionsgeschichte mit den Mitteln des Balletts zu illustrieren oder nachzuerzählen. Genau das erweist sich als Krux dieser tanztechnisch für einige Akteure fast zu anspruchsvollen Choreographie: Das Ballett trägt nur selten eigene Gedanken, Gefühle, Deutungen bei, die über das hinausgehen, was schon Musik und Gesang ausdrücken. Damit ist Taylor wieder bei jenem traditionellen Handlungsballett gelandet, von dem er sich in den letzten Jahren mit einigen bemerkenswerten Produktionen gelöst hatte.

Dass er ganz anders kann, belegen hier zwei tief bewegende Passagen: Das Ringen des Pilatus (Rory Stead) um die Zuwendung, ja die Liebe von Jesus (Michael Jeske); mehr noch ein intensives neoklassisches Grande Pas de deux des Schmerzes der überragenden Irina Golovatskaja mit Alexey Lukashevich. Da werden Gedanken und Emotionen der Bach'schen Vorlage aufgegriffen und auf dem Wege des Tanzes in neue Dimensionen versetzt.

In Trier hingegen sind wir szenisch im Heute, ist die Bühne (Dirk Immich) eine Baustelle. Gerüste ringsum. Altes, Marodes soll wohl erneuert werden. Was? Stadt, Bahnhof, Kirche – womöglich das Leben selbst? Am hinteren Gerüstt hängt anfangs und am Schluss wieder ein geschundener Leib: der Gekreuzigte. Eine Tragödie für die Mutter (Erin Kavanagh), belanglos für eilige Zeitgenossen mit ihren Einkaufstüten. Anders als in Koblenz werden die Choristen (nebst Statisten) hier zu szenischen Akteuren, sind düster gewandtetes, gesichtsloses Volk in großer Zahl.

Es herrscht Gedränge auf der Bühne. Mal wuseln die Massen durcheinander, mal werden sie in wuchtigen Blöcken hin und her geschoben. Problem: Das kleine Trierer Tanzensemble verliert sich dazwischen beinahe, zumal ebenfalls dunkel gekleidet. Weiteres Problem: Kostümbildnerin Gera Graf hat auch die Tänzer vielfach in weite Mäntel gehüllt. Eine seltsame Idee, wo das Wesen des Tanzes doch im Ausdruck der Körper steckt, deren Sichtbarkeit geradezu Bedingung für diese Kunst ist.

Grützmachers „neue Passion“ spricht vom Volk, das eines Sinnstifters bedarf. Der  wird dann mit Fähnchen und Fan-Plakaten umjubelt: Der Messias als Popstar. Oder der Popstar als Messias? Da der Erwählte sich dem Zirkus verweigert, zischt die Meute ihn bald hasserfüllt aus, wirft ihn der Politik zum Fraß vor. Es wiederholt sich das biblische Martyrium – hinterlassend den getöteten Messias, ein erleuchtetes Mächen, ein tausendjähriges Chronistengespenst und jede Menge orientierungsloses Volk.

David Scherzer tanzt im freien Stil sehr ordentlich den bald zornigen, bald in sein Schicksal ergebenen Messias.  Grützmachers Versuche, seiner Compagnie wechselnd die Rolle einer Straßengang oder von Glaubenskriegern zuzuweisen, bringen einige schöne Formations-Momente hervor: Akkurat und spritzig die Männer, die Frauen oft dem Ausdruckstanz nach Palucca-Art verschrieben. Beide  allerdings immer wieder hinübergleitend in die dick auftragenden Manierismen des Musical-Stils.

Doch der Trierer Abend lebt leider nicht wirklich vom Tanz. Zu wenig ist davon zu sehen, zu wenig trägt er als eigenständige Kunstform zum großformatigen Musikdrama unter dem Dirigat von Valtteri Rauhalammi bei. Philharmonisches Orchester, bewegte Chöre und ansprechende Gesangssolisten dominieren, was ein „Tanzstück“ hätte werden sollen. Weshalb die so unterschiedlichen Passionen in Koblenz und Trier am Ende doch eine weitere Gemeinsamkeit aufweisen: Ballet hier und Tanztheater dort sind für diesmal bloß Anhägsel beiderorts überwiegend formidabel realisierter der Musik. Andreas Pecht


Infos: www.theater-trier.de
          www.theater-koblenz.de    


(Erstabdruck: Teil 30. März, gesamt Ende April 2010)


Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken