Kritiken Theater
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2010-05-14 Ballettkritik:

Balé da Cidade de São Paulo zu Gast in Wiesbaden


Gemeinsamkeiten zwischen Ballett in Südamerika und Europa


 
ape. Wiesbaden.  Der erste Gast in der Tanz-Sparte bei den Wiesbadener Maifestspielen war jetzt die brasilianische Compagnie „Balé da Cidade de São Paulo“. Bis Ende Mai werden sich im Hessischen Staatstheater noch Tanzensembles aus China, Russland und Frankreich vorstellen. Das Interesse der hiesigen Ballettfreunde galt der Frage: Was geht ab im zeitgenössischen Ballett Südamerikas?

 
Antwort nach drei der vier Choreografien an diesem Abend: Zumindest bei der gut 30-köpfigen (!) Truppe des Stadttheaters São Paulo sind die Unterschiede zu Europa so arg groß nicht. Die klassisch geschulte Grundlage der Tänzer ist deutlich, ebenfalls die neoklassische Ausrichtung nebst Öffnung für freien Ausdruck auf Seiten der Choreografen. Der Wechsel vom Erzähl- zum Anmutungsballett scheint auch in São Paulo längst vollzogen.

Wer etwa bei Cayetano Sotos großem Ensemble-Stück „Canela Fina“ meint, Verwandtschaften mit dem Stil des früheren Mainzer Ballettchefs Martin Schläpfer zu erkennen, liegt nicht falsch. Bei den Brasilianern ist die Figurenfolge zwar nicht so dicht, aber die Arbeit der Tänzer/innen doch ähnlich stark auf die assoziative Kraft des reinen Körperausdrucks bis hinunter zur kleinsten Muskelspannung konzentriert.

Auch lassen sich Berührungspunkte zwischen den Gästen und dem Wiesbadener Tanzchef Stephan Thoss ausmachen. Die Choreografie „La Valse“ von Luiz Arrieta zur gleichnamigen Musik von Maurice Ravel geht ähnlich augenzwinkernd mit dem Gehabe um den Walzer um, wie Thoss 2007 in seiner Arbeit „No Cha-Cha-Cha“ mit südamerikanischen Standards: Frauen als schöne, heftig bewegte Puppe in den Armen mannhafter Galane – und wie betröppelt die Kerle ausschauen, wenn die Ladies erschlaffend oder renitent dies Spiel sabotieren.

Die zwei übrigen Nummern des Abends wurden von Itzik Galili für São Paulo kreiert. Der israelische Choreograf hat auch schon fürs Nederlands Dans Theater oder das Ballett Stuttgart gearbeitet. „Fragile“ ist ein modernes Grande pas de deux, bei dem in sehr zarten, intimen Bewegungen die Frau den Mann ermuntert, sich von seiner Ängstlichkeit als Tänzer zu befreien. Dies Stück kann verstanden werden als berührendes Plädoyer, Ballett von der Fixierung auf  Formalismen zu lösen und es als Möglichkeit echten Seelenausdruck zu begreifen.

Die Schlussnummer „A Linha Curva“ von Galili holt dann das Wiesbadener Publikum zu Ovationen von den Stühlen. Südamerika und Afrika vereinen sich, quirlige Samba und stampfende Stammesrhythmen fließen ineinander. Die französische Musikgruppe Percossa formt die Basis für ein Tanzfest, bei dem brasilianische Tänzer entfesselte Lebenslust in kunstvoll abgezirkelte, große Tempoformationen gießen. Es war ein gutes Gefühl, zu erleben, dass das Leben auch derzeit noch anderes bietet als bloß Angst ums Geld.                            Andreas Pecht        

(Erstabdruck 18/19. Woche 2010)


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