Kritiken Theater
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2010-05-21 Schauspielkritik:

Martin Crimps „Weniger Notfälle“ in Koblenz als kulinarisches Kammerspiel inmitten des Publikums


Bürger-Krieg an der Festtafel


 
ape. Koblenz.  Einer der großen Wirkmechanismen des Theaters ist: Indem es fremde Welten zeigt, führt es den Zuseher in die Auseinandersetzung mit der eigenen. Eine andere Methode geht so: Das Publikum wird mit vertrautem Umfeld konfrontiert und darin Gewöhnliches auf die Spitze getrieben. Auch daraus ergibt sich Fremdheit, die Nachdenken über das Vertraute provoziert. In  Koblenz wählte Eva-Maria Baumeister für ihre eigenwillige Inszenierung von „Weniger Notfälle“ jetzt den zweiten Weg.

 

Eine lange Festtafel für die 50-köpfige Gesellschaft einer Konfirmantenfeier. Das ist in den Kammerspielen des Stadttheaters die Bühne – und der Zuschauerraum zugleich (Ausstattung: Dirk Steffen Göpfert). Dort schmausen wir traulich Seit' an Seit' mit vier Schauspielern. An jedem Platz liegt ein Programmheft, aufgemacht als Menükarte, die drei Gänge avisiert: die drei Teile des 2006 uraufgeführten Stückes von Martin Crimp nebst Gemüse an Filet im Blätterteig, Lammbällchen an Feigen-Senf-Soße und abschließend Erdbeermousse an Brüsseler Vanille.

Ähnliche Festbankette hat privatim jeder schon erlebt; in einer Theater-Vorstellung indes wohl noch nie. Das fühlt sich befremdlich an, aber nicht peinlich. Zumal kein Besucher zum Mitspielen animiert wird: Die Festkonversation bestreiten die vier Mimen allein. Und deren Reden von vier Seiten der Tafel her kommt einem zumindest formal ebenfalls bekannt vor. Sie sprechen miteinander übereinander aneinander vorbei – dabei von Lächeln oder Interessiertheit überdeckt Gift und Galle versprühend.

Die kleine, leise, zarte Frau (Jana Gwosdek) nimmt in stoischer Resignation die miesen Schläge des  redegewandten Zynikers (Jona Mues) entgegen. Zwischen Schwermut, hektischer Fressgier und Cholerik verfangen ist der zweite Mann (Klaus Philipp), ein Mitmacher. Die andere Frau im Quartett (Raphaela Crossey) geriert sich als reifere Dame, die das Geschehen meist aus scheinbar nur interessierter Distanz befeuert. Die Vier agieren – schauspielerisch dezent, doch sehr intensiv – stellvertretend für uns Viele am Tisch.

Worum geht es in ihren Gesprächen, die teils so bruchstückhaft verlaufen wie Konversation über große Bankett-Tafeln hinweg eben verläuft? Um eine Unglückliche, die es nicht schafft aus ihrer missratenen Ehe auszubrechen. Um eines gutbürgerlichen Mannes Amoklauf an einer Schule, der an dieser Tafel zum  zynischen Gesellschaftsspiel wird. Um das Kind jener missratenen Ehe, das die Eltern wegsperren, derweil draußen auf den Straßen Steine fliegen, Autos brennen, der Aufstand kocht.

Das wohlsituierte Bürgertum tafelt festlich. Doch hinter der schönen Fassade verbirgt sich ein morsches Gebäude. Die Herrschaften sind einander die ärgsten Feinde und in ihren Idyllen tobt eine Schlacht der Verachtung – gegeneinander, erst recht gegen die Welt da draußen. Nur ein Stunde dauert dies Bankett. Dass darüber weder Blut fließt noch die Festtafel in Trümmer geht, verhindert nur die große Selbstlüge: „Die Lage bessert sich, es gibt weniger Notfälle“. Erlebenswert.                             Andreas Pecht

Infos: www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck 822. Mai 2010)


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