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2010-05-25 Bericht:

"Schmuck-Denken 6": Idar-Obersteiner Symposium thematisierte in diesem Jahr die Globalisierung 


Wege der Schmuckkunst
rund um die Welt

 
ape. Idar-Oberstein. Seit 2005 treffen sie sich jährlich im Mai in der Idar-Obersteiner Fachhochschule für Edelstein- und Schmuckdesign zum Symposium „Schmuck-Denken. Unterwegs zu einer Theorie des Schmucks“: Künstler, Lehrende und Studierende der europäischen Schmuckkunst-Szene sowie Vertreter diverser Kulturwissenschaften. Beim jetzigen sechsten Jahrgang stand die Bedeutung der „Globalisierung“ für Kultur und Schmuckkunst im Zentrum. Besondere Aufmerksamkeit galt dabei der Kunst in der islamischen Welt.


Rasch wurde beim zweitägigen Kolloquium deutlich, dass internationale, Kulturräume übergreifende Wechselbeziehungen gerade im Bereich Schmuck kein wirklich neues Phänomen sind. Wegen ihrer Kleinteiligkeit leicht handhabbare Frachtstücke, wurden die wertvollen Preziosen bereits über die Handelswege des 9. Jahrhunderts zwischen den Kulturen Asiens, Arabiens und Europas ausgetauscht. Obendrein bezeugen Schmuckfunde mit griechisch-antiken Symbolen in Keltengräbern etwa der Moselregion kontinentweite Wechselwirkungen für noch frühere Epochen.

Der Bayreuther Enthnologe Gerd Spittler referierte beim Symposium über die bis heute auffällige Verbreitung von Achat-Schmuck unter den afrikanischen Tuareg. Im 17. und 18. Jahrhundert brachten Muskatkaufleute den Achat von Indien nach Afrika. Im 19. Jahrhundert verdrängte die Entwicklung industrieller Schmuckfertigung den indischen Achat; Ersatz für die Tuareg kam nun vor allem aus Idar-Oberstein. 100 bis 200 Millionen Stücke sollen es gewesen sein. Eine Menge, die die natürlichen Vorkommen an der Nahe nicht hergaben. Wo also lag ihr Ursprung? In Brasilien – dort entdeckt von Emigranten aus Idar-Oberstein, in die alte Heimat geschickt und von da nach Bearbeitung in die Stammesgebiete der Tuareg geliefert.

Auch in der Ästhetik gab es schon historisch mannigfache Wechselwirkungen und Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturen. Stefan Weber, Direktor des Berliner Museums für islamische Kunst, erhellte für den christlichen wie den islamischen Raum gleichartige Rückgriffe etwa auf Architektur und Ornamentik der griechisch-römischen Antike. Der Enthnologe Wolf-Dieter Seiwert demonstrierte anhand von Schmuck und Ornamenten aus mehreren Volkskulturen weltweit eine Art gemeinsame ästhetische „Ursprache“, basierend auf universellen Natureindrücken von Sonne, Mond, Mutterschaft, Wachsen und Vergehen....

Die Tagung an der Nahe räumte zugleich mit der Fehleinschätzung auf, es handle sich bei der überbordenden, Gebäude, Mobiliar, Alltagsgegenstände und Menschen schmückenden Ornamentik im islamisch geprägten Kulturkreis um eine religiös motivierte Ästhetik. Nicht Religion, sondern das Streben nach purer Schönheit im kunsthandwerklichen Sinne ist die eigentliche Triebfeder dafür, vertrat auch die Genfer Kunsthistorikern Silvia Naef in Idar-Oberstein. Wobei das im Westen in der Renaissance aufgekommene Konzept eines Unterschiedes zwischen Kunsthandwerk und echter Kunst bis ins 20. Jahrhundert dort kaum eine Rolle spielte.

Das ändert sich nun. Einerseits ringen neue Künstlergenerationen der Dritten Welt und randständiger Ethnien verstärkt um Wiedergewinnung eigener, unter kolonialen und marktimperialen Einflüssen verschütteter Identität. Andererseits entwickeln sich gerade in der neuzeitlichen Kunstavantgarde zusehends Netzwerke intensiven transkulturellen Austausches und Zusammenwirkens. Schmuckkünstler wie Iris Eichenberg,  Estela Saez Vilanova, Dana Hakim, Marieke van Diepen erzählten im Rahmen des Symposiums von ihren Wanderschaften zwischen den Kulturen, von transatlantischen Workshops oder gemeinsamen, Internet-vermittelten und zumeist auch sozialkulturell ambitionierten Schmuckkunst-Projekten junger Kreativer über mehrere Kontinente hinweg.   

„Unterwegs zu einer Theorie des Schmucks“ hat das Idar-Obersteiner Symposium heuer den Blick geschärft für die Ambivalenzen früherer und gegenwärtiger Globalisierung: Kulturelle Verluste und Bereicherung lagen und liegen da gefährlich nahe beieinander – selbst wenn es „nur“ um Schmuck geht.                                                                             Andreas Pecht

(Erstabdruck 21. Woche im Mai 2010)

Und hier geht's zu den Artikeln über alle Symposien "Schmuck-Denken" seit 2005



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