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2010-06-02 Kommentar:

Anlässlich Verhandlungsbeginn vor BGH
in Sachen Sterbehilfe
 

Recht auf selbstbestimmtes Sterben

 
ape. Es ist gut, wenn jemand aufpasst, dass hilflose Patienten nicht gegen ihren Willen vorfristig zu Tode gebracht werden. Es ist schlecht, wenn hilflose Patienten gegen ihren Willen am Sterben gehindert werden. Es ist erlaubt, lebensverlängernde medizinische Maßnahmen einzustellen oder zu unterlassen, wenn dies dem unmissverständlichen Willen der betroffenen Todkranken entspricht. Aber es ist generell verboten, des Lebens müden Menschen aktive Sterbehilfe zu leisten, selbst wenn diese das noch so sehr wünschen.

Zwei Grundsätze und zwei Gesetze scheinen vier kristallklare Eckpunkte für den deutschen Umgang mit Sterbehilfe abzugeben. Doch das wirkliche Leben ist komplizierter, verheddert sich allzu oft in den Zonen dazwischen. Wie bei dem Fall, der seit Mittwoch vor dem Bundesgerichtshof verhandelt wird. Eine Tochter greift in letzter Verzweiflung zur Selbsthilfe und sabotiert die künstliche Ernährung ihrer seit Jahren im Wachkoma liegenden Mutter,  um deren Willen Geltung zu verschaffen – gegen eine unmenschlich sture, aber auch tief verunsicherte Pflegeverwaltung.

Einmal mehr richten sich nun große Hoffnungen auf höchstrichterliche Klarstellungen von  Bedeutung über den konkreten Fall hinaus. Denn die Praxis zeigt: Die Grenzziehungen zwischen Unterlassung künstlich lebensverlängernder Maßnahmen und aktiver Sterbehilfe sind ebenso verwaschen, wie noch immer nicht hinlänglich geklärt ist, was als unmissverständliche Äußerung des Patientenwillens verstanden werden darf. Das Humanrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben gerät nach wie vor allzu oft zwischen die Mühlsteine aus Selbstherrlichkeit oder ängstlicher Absicherung auf Seiten der Medizin- und Pflegeverantwortlichen.

Eines der Grundprobleme des deutschen Umgangs mit Sterbehilfe rührt daher, dass es in dieser Frage sowieso nur einen mühseligen Minimalkonsens gibt. Denn aktive Sterbehilfe wird generell  ausgeschlossen. Warum eigentlich tut sich das Land so unglaublich schwer mit dem selbstbestimmten Tod?  Angst vor der „Ausmerzung unwerten Lebens“ wäre vor historischem Hintergrund noch verständlich. Aber darum geht es nicht wirklich. Hauptproblem sind zwei kulturhistorisch tief im kollektiven Gedächtnis verwurzelte Dogmen. Das eine kommt aus dem christlichen Denkgefüge und heißt: Gott allein bestimmt über Leben und Tod; in dieser letzten Frage hat der Mensch keinen freien Willen zu haben. Nicht umsonst gilt im Christentum Selbsttötung als eine der allerschwersten Sünden.

Das zweite Dogma lautet: Lebensmüdigkeit ist ein pathologisches Phänomen und wer sich selbst töten will, kann per se nicht bei Verstande sein. Woraus folgt, dass jeder Suizid-Gefährdete zwangsweise unter Obhut, Beobachtung, Schutz etc. zu stellen ist. Selbsttötung ist ihm möglichst zu verwehren. Weil das aber praktisch kaum durchsetzbar ist, wird zumindest jede Form aktiver Beihilfe zur Selbsttötung strikt verboten. Mit dem Ergebnis, dass die nicht zu verhindernden Suizide zumeist als brachiale Gewaltakte oder entsetzliche Leidensprozeduren vollzogen werden. Von der Brücke springen, sich aufhängen oder das Hirn aus dem Kopf schießen; Adern aufschneiden, Tabletten nehmen, Pflanzenschutzmittel trinken, sich mit Abgasen vergiften...

Das Verbot aktiver Sterbehilfe ist einerseits bigott, andererseits eine unglaubliche Anmaßung gegenüber dem Individuum. Warum, zur Hölle, darf der Arzt meines Vertrauens (sofern er es mit seinem persönlichen Gewissen vereinbaren kann) auf meinen Wunsch hin mir kein würdiges, schmerzfreies, friedliches Entschlafen ermöglichen? Warum zwingt man Menschen, die des Lebens überdrüssig sind, zu verrecken? Wer gibt euch das Recht zu dieser tyrannischen Unmenschlichkeit? 
              Andreas Pecht

   



 
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