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2010-06-19 Schauspielkritik:

Simon Stephens' „Marine Parade“ in Mainz (DSE): Die ganze Zärtlichkeit des Unglücks


Vergebliche Paarungen im Hotel


 
ape. Mainz.  Einen Tag nach dem Wiesbadener ist auch das Mainzer Staatstheater in die gemeinsame Biennale  „Neue Stücke aus Europa“ eingestiegen. Matthias Fontheim steuerte in eigener Inszenierung die deutschsprachige Erstaufführung „Marine Parade“ aus der Feder des britischen Gegenwartsdramatikers Simon Stephens bei. Die beiden hatten schon mehrfach miteinaner zu tun: 2006 etwa legte Fontheim mit Stephens' „Motortown“ seine erste eigene Regiearbeit als Mainzer Intendant vor.

 
Damals ging es um die gewalttätige Hoffnungslosigkeit einer im Kriegseinsatz zerstörten Mannesseele. Diesmal geht es um Menschen, Paare vor allem, die in einem abgetakelten Hotel an der Marine Parade des Seebades Brighton Lebensglück in der Liebe suchen, aber nur auf die Unwägbarkeiten des Lebens stoßen. Stephens ist ein Menschenbeschauer, einer der hineinschaut in uns Heutige – und dort Gesehenes in Szenen beleuchtet, wie sie jeden Tag passieren.

„Marine Parade“ ist ein Stück mit Musik von Mark Eitzel. Kein romantikseliges Musical, sondern ein Schauspiel, durchsetzt mit melancholisch-jazzigen Songs. Die sind gut, für Schauspieler teils  schwer zu singen, aber das Stück braucht sie nicht unbedingt. Eine fünfköpfige Combo macht im Bühnen-Hintergrund unter der roten Leuchtschrift „Hotel“ Stimmung zu dem, was sich davor auf einem Bretter-Steg abspielt (Ausstattung: Marc Thurow): Begegnungen im Hotel. Die haben vom ersten Moment an den Blues, weil sofort klar ist, dass ihnen Glück allenfalls als flüchtiger Augenblick innewohnt.

Claire und Christopher waren einst ein Paar. Vertrautheit, Erinnerungen, vernarbte Verletzungen, Misstrauen lassen die Mimen Pascal Pfeuti und Felix Mühlen durch die jetzige Wiederbegegnung wabern. Nichts wird gekittet, Claire braucht nur Geld. Michael (Marcus Mislin) und Alison (Nicole Kersten) sind seit 20 Jahren ein Paar. Beim Wochenende im Hotel ringt er sich zum Geständnis durch, dass er seine erste Frau lieber nicht verlassen hätte. Da stehen nun beide ob der falschen Jahrzehnte ratlos auf dem Steg –  während gleichzeitig frischverliebte Jugend sich ein Zimmer für die erste gemeinsame Nacht erschleicht. Eine von beiläufigem Schwermut schöne Metapher.

Geniertheit und Begehren der Unschuld liegen bei Katharina Knap und Lukas Piloty in guten, weil leise, verhalten und emotional beseelt agierenden Händen. Überhaupt ist unaufgeregte, dezente, aber bis in den kleinen Gestus umso intensivere, man möchte sagen: wahrhaftigere Spielweise ein Kennzeichen dieser Inszenierung. Wunderbar die Zartheit, wie Lorenz Klee als schüchterner, verarmter Hoteldirektor und Lisa Mies als burschikose Putzfrau auf Absprung zum Studium einander in hilfloser Vergeblichkeit umwerben. Das Glück zum Greifen nahe, doch den Schritt heraus aus dem selbst geschaffenen Gefängnis der Umständen kriegen sie nicht hin. So wenig wie letztlich die anderen Paarungen.

Einen gibt es im Spiel, der Bescheid weiß über das Leben: der Arbeitslose, der die Tage an der  Promenade herumbringt und daheim vortäuscht, er ginge zur Arbeit. Stefan Walz balanciert die Figur zwischen politischer Geschwätzigkeit, psychologischer Besserwisserei und Endzeit-Philosophie aus. Heraus kommt ein Menschenfreund, der in gelassener Erkenntnis wahr spricht: „Die Menschheit ist ein großer Quatsch.“                          Andreas Pecht


Info: Wiederaufnahme im September
Infos: www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck 21. Juni 2010)

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Theater, Kritik, Mainz, Deutschsprachige Erstaufführung, Simon Stephens, "Marine Parade"


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