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2010-07-06 Ballett:

Das "neue" ballettmainz unter Pascal Touzeau


Suche nach der eigenen Handschrift geht weiter


 
ape. Mainz.  Das „neue“ ballettmainz und sein Chef Pascal Touzeau haben ihre erste Spielzeit hinter sich. Zeit  zu bilanzieren, was die Nachfolger von Martin Schläpfer und Compagnie am Staatstheater Mainz im Startjahr geleistet haben. Vier Produktionen brachten sie seit Oktober 2009 auf die Bühne. Was da gezeigt wurde, unterscheidet sich völlig von dem Ballett, das hier über zehn Jahren zu sehen war.

 
„Touzeau hat eine Compagnie mit großem Potenzial zusammengestellt. Wohin er damit will, ist indes noch nicht erkennbar.“ Mit diesem Satz schloss unsere Kritik der Einstands-Premiere des neuen ballettmainz im Oktober. Den Satz könnte man auch fürs jetzige Saison-Resümee benutzen. Nicht, dass es im ersten Jahr bei Tänzern und beim Choreografen keine Entwicklung gegeben hätte. Welche Richtung das Ganze allerdings nehmen kann oder soll, dazu gibt es anhaltend vor allem Rätselraten.

Klar war, dass die Nachfolge von Schläpfer eine schwere Aufgabe sein würde. Immerhin hatte  Mainz dessen Entwicklung vom hoffnungsvollen Talent zu einem der besten Choreografen Deutschlands ebenso miterleben dürfen wie den Aufstieg seiner Compagnie in die nationale Spitzengruppe. Das waren zehn beglückende Jahre – geprägt überwiegend von Arbeiten, die sich auf die reine Ästhetik des Tanzes konzentrierten oder mit dessen Mitteln das Beziehungsgeflecht zwischen Seele, Mensch und Welt ausleuchteten. Ballett, und nichts als Ballett im weiten Feld der Neoklassik:  Das vor allem war Tanz in Mainz zur Schläpfer-Zeit.

Mit Pascal Touzeau kam ein Paradigmenwechsel. Der besteht weniger in der Rätselhaftigkeit, von der seine Choreografien durchdrungen sind. Rätselhaft war auch bei Schläpfer vieles. Und gerade in den Mainzer Anfangsjahren des Schweizers fragte man sich oft vergebens: Was will der Künstler mir sagen? Wenn keine Antwort zu finden war, blieben immerhin Genuss und Anmutung purer  Tanzkunst.

Das ist bei Touzeau anders. Seine Arbeiten gehen weit über das Ballett hinaus, tendieren zu multimedialen Inszenierungen mit intellektuell-philosophischen Konzepten. Das war beim Start-Abend („Related“) mit seiner Choreografie „Puzzle“ so. Das führte bei der zweiten Produktion („Rebound“) mit der Uraufführung von „Direct/or cuts“ zu einer ansehnlichen, aber schier unbegreiflichen Performance aus splittrigen Tanzteilen, Akustik-Phänomenen und opulentem Wasserspiel. Ganz im Bereich der Konzept-Performance war die jüngste Choreografie „The Irin“ angesiedelt. Dort wurde Tanz zu einem fast randständigen Element zwischen Rauminszenierung, Klang, Licht, Video, Sprache und Philosophie.

Nicht ohne Sorge fühlt man sich bei dieser Entwicklung an das fortschreitende Verschwinden des vormaligen Weltklassetanzes aus den Produktionen des gealterten William Forsythe erinnert. In dessen einstigem ballettfrankfurt hatte Touzeau mehrere Jahre mitgetanzt, davon sind ihm wesentliche Stilprägungen geblieben. Etwa das Forsythe'sche Bewegungsrepertoire, das dem Ballett das Spektrum des „hässlichen“ Körperaudrucks jenseits der ebenmäßigen Klassik-Grazie öffnet. Geblieben ist Touzeau offenbar auch die Neigung zur Performance mit reduzierten Tanzanteilen. Indes: Was bei Forsythe als – strittiges – Alterswerk gelten darf, kann beim 40-jährigen Touzeau nicht als frühe Reifung durchgehen, allenfalls als Element der Suche nach eigenem Stil.
 
In diesem Sinne lässt sich auch der Rückgriff Touzeaus auf einen Stoff des klassischen Handlungsballetts verstehen: „Raymonda“ kam im März als dritte Produktion heraus. Da wurden Klassik- und Forsythe-Elemente verquirlt, aus der alten Story etwas vage Zeitgenössisches geformt und eifrig  große Bühnenmaschinen bewegt. Nicht nur die Kritikerin der Frankfurter Rundschau fand den Abend „verstaubt, verklemmt, konfus“.

Zum Ende der Saison ist die Lage der Mainzer Tanzsparte unübersichtlich. Die Publikumsreaktionen pendeln zwischen euphorisch und verständnislos, die Kritiken zwischen sehr wohlwollend, verhalten und ablehnend. Übereinstimmung gibt es hinsichtlich der hohen Qualität der Tänzer. Diese Unübersichtlichkeit spiegelt den Stand der Dinge: Das ballettmainz, insbesondere sein Direktor, befindet sich erst am Anfang der Suche nach einem künstlerischen Weg. Bleibt fürs zweite Jahr der Wunsch: Nicht jeder Holzweg muss probiert werden.                                                                        Andreas Pecht    

Infos: www.staatstheater-mainz.com


(Erstabdruck 7. Juli 2010)

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Staatstheater Mainz, ballettmainz, Pascal Touzeau, erste Saison, kritische Bilanz 

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