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2010-07-10 Analyse:

Jogi Löws WM-Mannschaft macht bewusst: Internationalisierung ist eine unaufhaltsame Tendenz

 

Die Zukunft ist multikulturell
 
 
ape. Die deutsche Mannschaft hat Endspiel und Titel verpasst. Dennoch war sie das weltweit am meisten beachtete Team des Turniers in Südafrika. WM vorbei. Aber es bleibt Nachdenklichkeit über das Phänomen, dass Deutschland mit einem starken Kader entzückte – der fast zur Hälfte aus Fußballern mit Migrationshintergrund besteht.


Staunend wurde im In- und Ausland registriert, dass in der deutschen WM-Mannschaft 11 von 23 Spielern Einwanderer oder Kinder von Einwanderern sind. Noch erstaunlicher: Jogi Löws Personaltableau löste keinen Sturm der Entrüstung aus, sondern wurde vom Gros der Deutschen mit Gelassenheit oder gar Sympathie aufgenommen. Das Interesse galt vorrangig der Frage, ob die junge Mannschaft erfolgreich sein könne. Sie konnte.

Gemeinsam ist den 23 Nationalspielern: Sie sind Spitzen-Kicker, haben alle die deutsche Staatsangehörigkeit, und jeder wollte sein Bestes geben, um die Mannschaft dem Titel möglichst nahe zu bringen. Reicht das als Grundlage für eine Nationalmannschaft? Auch wenn der höchste Triumph diesmal ausblieb: offenbar ja. Das Übrige ist fußballerisches Handwerk, Trainergeschick und harte Arbeit.

Patriotischer Enthusiasmus bei den Spielern ist für die gemeinsame Kernaufgabe sekundär. Es geht um einen Wettkampf zwischen Sportlerteams verschiedener Länder, nicht um einen Wettstreit der Nationen in der Disziplin Vaterlandsliebe. Dass Massenbegeisterung als schwarz-rot-goldenes Wir-Gefühl schäumt, steht dazu in keinem Widerspruch: Emotionale Parteilichkeit des Publikums ist seit jeher ein Wesenszug beim Mannschaftssport. Für die Bundesliga zerfällt die Fan-Front nachher wieder in  kunterbunte „gegnerische“ Vereins-Fraktionen.

Der Bundestrainer ließ sich bei der Personalwahl vom Sach-Ziel leiten: Die bestmögliche Mannschaft zu bilden, indem er die besten jener Kicker versammelt, die nach dem Reglement von Fifa und DFB im Nationalaufgebot eingesetzt werden dürfen – deutsche Staatsbürger. Welch anderes Kriterium sollte man auch anlegen? Blond und blauäugig etwa, oder sauberes Hochdeutsch sprechend und mindestens in der vierten Generation hier beheimatet? Die Auswahl wäre sehr mager. Woher die Akteure kommen, was ihre Hautfarbe oder Religion ist, welchem Kulturkreis sie entstammen...: All das spielt keine Rolle, solange sie Deutsche im völkerrechtlichen Sinne sind.

Das ist nicht neu, Migranten kamen seit Jahrzehnten in vielen Nationalmannschaften zum Einsatz. Allerdings war ihr Anteil nie so hoch wie jetzt in Löws Crew. Mit knapp der Hälfte liegt er sogar über dem Anteil, den in Deutschland derzeit Einwohner mit Migrationshintergrund ausmachen: Gut 15 Millionen sind es, etwa ein Viertel – lange Eingebürgerte, ihre Kinder sowie hier lebende Ausländer zusammengerechnet.

Kann Löws Mannschaft als Erfolgsmodell für die gesellschaftliche Zukunft gelten? Das wird nun nicht bloß in Deutschland eifrig diskutiert. Die Frage verkennt jedoch, dass die Multikulturalität des Nationalteams nur die konsequente Ausnutzung einer objektiven Entwicklung darstellt, die längst stattfindet: Internationalisierung der Gesellschaft, wovon Migration ein Teil ist.

Beispiel Kultur: Orchester, Ballett- und Opernensembles bestehen allesamt aus multinationalen Belegschaften; die Programme von Fernsehen, Kino, Theater sind multinational, auch wenn dort überwiegend (noch) deutsch gesprochen wird. Beispiel Universitäten: Nie war der Anteil ausländischer Studenten hier und deutscher Studenten im Ausland so hoch wie heute; immer größere Teile des Lehrbetriebs werden internationalisiert und auf Englisch abgehalten, gut 700 englischsprachige Studiengänge gibt es bereits an deutschen Unis.

Beispiel Wirtschaft: Bei den im DAX notierten deutschen Unternehmen sind jetzt 26 Prozent der Vorstandsposten mit Nichtdeutschen besetzt. Das seien zwar noch viel zu wenige, kritisieren Experten mit Blick auf die starke Exportorientierung unserer Wirtschaft. Aber die Lage ändert sich rasch: Innerhalb der letzten zehn Jahre hat sich der Ausländeranteil in den Vorständen verdoppelt. Und Daimler-Chef Dieter Zetsche findet es angesichts des expansiven China-Engagements seines Konzerns gar „nicht optimal“, dass im Vorstand nur deutsche Männer sitzen, aber keines der „Talente aus China“.

Es mag einem gefallen oder nicht, und die damit verbundenen Probleme sind gewiss gewaltig: Der Zug der Zeit rast unaufhaltsam in Richtung Internationalisierung. Auch Migration ist keineswegs nur eine Einbahnstraße, wie die jüngste Wanderbilanz für Deutschland zeigt. Danach sind 2009 rund 721 000 Menschen eingewandert, aber 734 000 ausgewandert. Und nie seit Bestehen der Bundesrepublik war der Anteil Deutscher unter den Auswanderern und den Gastarbeitern auswärts so hoch wie in den letzten Jahren.

Trotz mannigfacher Verwerfungen und Gegenströmungen ist die Welt dabei, sich neu zu organisieren. Ob in Wirtschaft oder Wissenschaft, Kultur oder Sport: Es bilden sich ungeachtet nationaler wie kultureller Unterschiede jene Teams oder Netzwerke heraus, die zur Erreichung sachlicher Gemeinschaftsziele am besten geeignet erscheinen – von der hohen Kunst bis zur banalen Profitmaximierung. Dass das funktionieren kann, hat das multikulturelle Nationalfußballteam Deutschlands zwar nicht als erster bewiesen, aber eindrücklich unterstrichen.

Im Zuge der Internationalisierung wird sich der traditionelle Nationalbegriff wandeln, das ist unvermeidlich. Der Wandel läuft längst: Schon der Party-Patriotismus während der beiden jüngsten Fußball-WMs hatte mit dem Nationalgefühl zu Fritz Walters Zeit nicht mehr viel gemein.                                                Andreas Pecht

Erstabdruck: 28. Woche im Juli 2010

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Fußball-WM, Jogi Löw, Multikulti-Mannschaft, Bedeutung für Zukunft, Analyse

 
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