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2010-07-28a Analyse/Kommentar:

Der Abstieg von CDU/CSU zur 30-Prozent-Partei begann schon vor 16 Jahren
 

Die Identitätskrise der Konservativen

 
ape.  Die laut Forsa-Umfrage jetzt eingetretene Angleichung der Zustimmungswerte für Union (29 %) und Sozialdemokratie (28%) war seit einiger Zeit absehbar. Dass die SPD etwas zulegt, die CDU weiter abrutscht, ist ein Resultat des Erscheinungsbildes der schwarz-gelben Regierung. Dass  beide „großen“ Parteien sich aber tief im Keller treffen, ist längerfristig wirkenden Entwicklungen geschuldet.


Wie kann das zugehen? Von 1953 bis 1994 erreichten CDU/CSU bei sämtlichen Bundestagswahlen  locker 40 plus X Prozent. Dann ging es auf die Rutsche. Binnen 16 Jahren und über vier Bundestagswahlen wurde die Union auf 33,8 Prozent 2009 nach unten durchgereicht. Dass wir trotz dieses mickrigen Ergebnisses eine Regierung Merkel haben, verstellt etwas den Blick auf die seit Jahren anhaltende, grundlegend krisenhafte Entwicklung im konservativen Lager. Das  beunruhigende Erscheinungsbild der schwarz-gelben Mehrheitsfraktion in Berlin macht es auch nicht leichter, die längerfristigen Tendenzen im Auge zu behalten.

Wer bei den Christdemokraten demnächst wieder Wahlziele von 40 plus ausgibt, wird sich der Traumtänzerei bezichtigen lassen müssen. Der jetzige Forsa-Wert von nur noch 29 Prozent Zustimmung für die Union signalisiert: Die 33,8 Prozent von 2009 waren womöglich noch nicht das Ende der Rutschpartie, auf jeden Fall aber sind Wahlergebnisse im 40-Prozent-Bereich auf Bundesebene für die Union Geschichte.

Schwarz-gelb in der Minderheit

Schwarz-gelb hat, vorerst bloß nach Umfragen, die Mehrheit verloren. Nur noch 34 Prozent Zustimmung bekommen die Koalitionsparteien, gegenüber 58 Prozent für die Opposition. Wobei davon 30 Prozent auf die „kleinen“ Parteien Grüne und Linke entfallen, nur 28 Prozent auf die SPD. Die FDP wiederum ist auf ihr quasi angestammtes Normalmaß im einstelligen Bereich zurückgestutzt. Die Freidemokraten haben mit ihrer Art des Nicht-Regierens im Amte die Funktion als Sammelbecken unzufriedener Marktliberaler bis auf weiteres verspielt.

Die sagenhaften 15 Prozent für die FDP konnten bei der Bundestagswahlen 2009 die strukturelle Krise des konservativen Lagers noch einmal überdecken. Damit ist es jetzt vorbei. Ohne den liberalen Höhenflug steht die Union nackt als das da, was sie tatsächlich geworden ist: eine 30-Prozent-Partei; wenn's gut geht. Bleibt die Frage, woher die Demontage der Konservativen   eigentlich kommt. Zur Beantwortung ist ein Blick auf die Sozialdemokratie hilfreich, deren Identitätskrise schon etliche Jahre vorher begann.

Zehn Jahre nach der SPD rutscht auch CDU ins Jammertal

Parteigeschichtlich betrachtet, wurde die SPD in zwei Wellen gebeutelt. Der erste Aderlass kam mit der  Friedens- und Antiatombewegung, die in die Gründung der Grünen einmündete. Der zweite mit dem bundesweiten Heranwachsen der Linkspartei. Beide neuen Parteien zogen zuerst Kräfte aus der  SPD-Klientel ab. Gesellschaftspolitisch gesehen, hat die Sozialdemokratie beidesmal den rechtzeitigen Anschluss an neue Strömungen verpasst. Im Falle der Grünen wurde sie zu lange ihr Selbstverständnis als industrielle Wachstumspartei nicht los. Im Falle  der Linken beförderte die SPD selbst durch den marktliberalen Schröder-Kurs die Erstarkung der neuen Konkurrenz.

Die Identitätskrise der Sozialdemokraten resultierte aus Problemen im Umgang mit neuen gesellschaftlichen Strömungen. Und der daraus erwachsene Druck schaffte sich auch in Form der Abwanderung zu anderen Parteien ein Ventil. Dieses Ventil gibt es bei der Union (noch) nicht. Neue Gesellschaftsentwicklungen und Traditionalismus prallen innerhalb der Partei und ihrer sich immer weiter differenzierenden Anhängerschaft aufeinander. Die Volkspartei CDU ist heute eine weltanschauliche Vielvölkerpartei. Sie will schier unvereinbare Haltungen, Überzeugungen, Lebensentwürfe unter einem Dach miteinander aussöhnen. Sie will marktliberal und sozial sein,  will an traditionellen Familienwerten festhalten und doch die Familie revolutionieren, sie will ökologisch sein und setzt dennoch auf Laufzeitverlängerung der Atommeiler....

Union bietet keine weltanschauliche Heimat mehr

Es ist kein Zufall, dass gerade in der jetzigen Phase der Verschleiß des Führungspersonals bei der Union sich so sehr beschleunigt hat. Jeder Rücktrittsfall liegt anders, und doch haben sie gemein: Ob Köhler, Koch, von Beust, ihnen ist die Freude an der Politik als das Leben erfüllende Aufgabe abhanden gekommen. Das mag auch am „System Merkel“ liegen, in dem starken Persönlichkeiten die Entfaltungsräume beschnitten werden. Aber das „System Merkel“ bedeutet in den politisch-inhaltlichen Grundzügen doch vor allem eines: Den Versuch, inmitten einer ursprünglich traditionalistisch geprägten Partei diversen Moderne-Tendenzen Geltung zu verschaffen.

Was bei diesem Versuch herauskommt, ist den einen noch zu konservativ, den anderen schon viel zu links und wiederum anderen entschieden zu wirtschaftsfreundlich. Die Union steckt in der Zwickmühle und verliert ihre Kontur: Sie hört als Partei auf, politische und weltanschauliche Heimat für Funktionäre, Mitglieder, Anhänger zu sein. In diesem Sinne vollziehen CDU/CSU seit Mitte der 90er-Jahre jene Identitätskrise nach, die für die SPD schon in den 80ern begann. Bei unter 30 Prozent Zustimmung  ist es eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis sich auch im konservativen Lager ein Ventil für den Überdruck auftut – in Form eines Rechtsablegers neben der Union.        Andreas Pecht

(Erstabdruck am 29. Juli 2010)

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Politik, Parteien 2010, Forsa-Umfrage, Zehnjahrestief CDU, Identitätskrise der Konservativen

 
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