Kritiken Theater
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2010-08-29 Schauspielkritik:

Koblenz startet mit engagiertem Dokumenationstheater die neue Spielzeit



Es zieht uns alle "nach Arkadien"



 
ape. Koblenz

Lasst nun die Spielzeit 2010/2011 beginnen! Koblenz gab in seinen kleinen Kammerspielen einen zeitgenössischen Prolog – bevor in den nächsten Wochen die Theater in der Großregion  zwischen Kaiserslautern und Köln allesamt mit einer ungewöhnlichen Flut von Klassikern loslegen. „Nach Arkadien!“ heißt das Stück, das die letztjährige Hausautorin des Stadttheaters, Sibylle Dudek, mit Regisseur Julius Jensen und vier Schauspielern am Wochenende zur Uraufführung brachte.


 

Arkadien einst: Sehnsuchtsland, in dem Natur und Menschen freundlich sind, wo es sich glücklich leben lässt. Die Gegenwart träumt kleiner. Arkadien 2010: Ein paar Urlaubswochen mit Sonne, Strand und All inklusiv. Arkadien hier im Theater: Vier Leute räkeln sich auf Liegestühlen oder im Sand unter bunten Girlanden und Lichterketten (Ausstattung: Annette Haunschild). Ihnen ausgerechnet spült das Meer einen halbtoten jungen Mann aus Kamerun vor die Füße.


Diese Konfrontation ist der Angelpunkt der einstündigen Aufführung. Die will gar kein Stück zeigen, sondern eine „theatralische Recherche zum Thema Tourismus und Migration“. Was recherchiert wurde, ist tragischer Stoff. Doch es wird hier nicht Tragödie gespielt. Vielmehr benutzen Raphaela Crossey, Marcel Hoffmann, Katja Thile und Daniel Wagner ihr Schauspieler-Handwerk, um von diesem Stoff zu erzählen, ihn zu analysieren, um Klage und Anklage zu erheben, Urteile anzubieten.


Formal handelt es sich um einen Rückgriff auf die 60er/70er-Jahre, als das Theater mit Agitprop, Kabarett, Dokumentarik, Enthüllung und Belehrung in aktuelle Gesellschaftsentwicklungen eingreifen wollte. Aus dem allgemeinen Theaterbetrieb nachher weitgehend verschwunden, hat diese Strömung im Jugendtheater überdauert, kehrt in letzter Zeit aber verstärkt an die Hauptbühnen zurück. Spricht etwas dagegen? Ach was. Man muss diese Art nicht lieben, um ihre Berechtigung im Spektrum der Bühnenkünste zu erkennen.


„Nach Arkadien!“ ist keineswegs bloßes Kopftheater. Wie da in wechselnden Rollen aus wechselnden Perspektiven erzählt wird von der Wanderung des Afrikaners durch Wüsten und Schlepperhände, auf rostigem Seelenverkäufer übers Meer, das packt, macht betroffen. Was will der Mann hier? Auskommen finden für seine Familie daheim, eine Zukunft. In Europa, das ihm aus der Ferne als sein Arkadien erschien – wie den vier Touris aus Koblenz der Strand Tunesiens oder Spaniens als das Ihre.


Migranten sind wir alle, machen die Schauspieler anfangs bei ihrer Selbstvorstellung deutlich. Eltern, Vorfahren sind von da nach hier geflohen, vertrieben worden, ein- oder ausgewandert. Reiner Zufall, wo man geboren ist. Deshalb umso unerträglicher, wie mit dem Afrikaner umgegangen wird: Von den Medien in heuchlerischem Mitleidspathos vorgeführt, ausgequetscht; von Behörden mit dümmlich-perfiden Fragen auf Integrationsfähigkeit examiniert.


Vier Politiker tragen einen Showdisput aus über die Notwendigkeit, junge Zuwanderer ins überalternde Land zu holen, zugleich aber Migrantenströme zurückzuschlagen. Dann drapieren sie des Afrikaners Kleidung zum Totempfahl, den sie mit schwarz-rot-goldenen Devotionalien behängen. Aus dem Nationalwimpel quäkt die Nationalhymne. Integration geglückt, die Vier wenden sich ab. Derart eingedeutscht wird er schon zurechtkommen, der Mann aus Kamerun; jetzt mit dem Straßenbesen in der Hand.                                          Andreas Pecht




Infos: www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck 30. August 2010)


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