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2010-09-09 Analyse:
 
Wie entscheiden im Fall Sarrazin?


Die SPD darf den vermeintlichen Volkstribun rauswerfen, der Bundespräsident sollte es besser lassen


 
ape. Der Fall Thilo Sarrazin stellt die SPD als Partei und den Bundespräsidenten von Amts wegen vor erhebliche Probleme. Die lassen sich nicht unter der unsinnigen Parole vereinen, da solle ein mutiger Mann mundtot gemacht werden. Sozialdemokraten und Staatsoberhaupt stehen im Gegenteil vor grundverschiedenen Fragestellungen.


Geht man davon aus, dass zumindest die biologistisch begründeten und deshalb rassistisch anmutenden Teile von Sarrazins Buch den Grundwerten der Sozialdemokratischen Partei zuwider laufen, spricht formal wenig gegen einen Parteiausschluss. Parteien sind freie Vereinigungen auf Basis eines Rahmens aus ihnen eigenen Grundüberzeugungen. Auch Volksparteien sind somit ihrem Wesen nach Richtungsorganisationen. Dass sie meist aus verschiedenen Flügeln bestehen und in Deutschland allesamt auch innerparteilich auf demokratische Spielregeln verpflichtet sind, ändert daran nichts.

Warum sollte eine Partei sich ein Mitglied zumuten, zumal ein prominentes, das ständig ihren Grundwerten widerspricht? Thilo Sarrazins abstruses Edikt von den dummen Muslimen beispielsweise steht in diametralem Gegensatz zum traditionellen Menschenbild der deutschen Sozialdemokratie. Und es ist nicht seine erste These, die das tut. Keine Partei muss ein quasi „gegnerisches“ Mitglied in ihren Reihen dulden. Das sieht weder die Verfassung noch das Parteiengesetz vor.

Der Feind in der eigenen Partei

Jürgen Möllemann wäre wegen seiner antisemitischen Thesen aus der FDP ausgeschlossen worden, hätte er nicht vorher seinen Abschied genommen. Die CDU hat aus ähnlichen Gründen ihren Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann rausgeworfen. Kein Mensch würde von der CSU verlangen, jemanden zu behalten, der in jedes Mikrofon ruft „Gott ist tot und Familie ein Irrtum der Geschichte“. Niemand würde von den Grünen erwarten, dass sie ein Mitglied ertragen, das allweil den Abriss sämtlicher Windkraftanlagen und den Ausbau der Atomenergie fordert.

Wenn die SPD-Gremien zu der Ansicht gelangen, dass wesentliche Teile von Sarrazins Einlassungen dem Selbstverständnis der Sozialdemokratie fundamental widersprechen, dann darf  sie dem Mann ruhigen Gewissens den Stuhl vor die Parteitür setzen. Sarrazins Recht auf freie Meinungsäußerung würde dadurch nicht im geringsten eingeschränkt. Er kann weiter reden und publizieren, was immer er will –  solange er sich nicht in juristischem Sinne der Volksverhetzung schuldig macht.

Warum tut die SPD sich dennoch so schwer mit diesem Ausschluss? Weil Sarrazin in seinem Buch  auf geschickte Art AUCH reale Sorgen, Nöte, Ängste sowie damit einhergehende politische Versäumnisse anspricht. Zwar ist seit Jahren völlig unstrittig, dass Deutschland Probleme bei der Integration von Einwanderern und Flüchtlingen hat. Wie jeder andere EU-Staat auch. Wie überhaupt sehr viele Länder auf Erden sich nicht leicht tun, größere Zahlen von Migranten zu verkraften. Andernorts führt das zu ethnischen Unruhen, gar Bürgerkriegen, etwa in Eurasien oder Afrika. Hierzulande kommt es vor allem zu zivilen Problemen im schulischen und sozialen Bereich sowie in Teilen der Bevölkerung zum Gefühl der Überfremdung.

Neues Spiel mit altem Konflikt

Sarrazins Buch stößt in eine altbekannte Konfliktlinie des Diskurses über Migration und Integration. Eine Konfliktlinie, die auch die SPD-Mitgliedschaft durchzieht. Auf der einen Seite  diejenigen, die Deutschland seit jeher als Einwanderungsland begreifen und die damit verbundenen Integrationsprobleme mittels ordentlicher Bildungs- und Sozialpolitik für lösbar halten. Sie nehmen dabei in Kauf oder begrüßen sogar als Bereicherung, dass einige Aspekte der von den Migranten mitgebrachten Kultur in die heimische übernommen werden – sofern sie nicht im Widerspruch zu den humanen Grundlagen der deutschen Gesellschaft stehen. Auf der anderen Seite besagter Konfliktlinie stehen diejenigen, die Deutschland nicht als Einwanderungsland sehen möchten. Sei es, weil sie die mit vielen Zuwanderern verbundenen Probleme für unlösbar halten, sei es aus genereller Abneigung gegen das Fremde.

Sarrazin spielt mit diesem Konflikt. Dabei bedient er sich der altbewährten Agitationsmethode,  durchaus berechtigte Kritik an tatsächlichen Schwächen bisheriger Integrationspolitik zu vermengen mit xenophoben Ängsten und Ressentiments. Ob er das aus innerer Überzeugung tut oder weil er sich in der (lukrativen) Rolle des provokanten Volkstribuns gefällt, sei dahingestellt. In Sachen Problemlösung hilfreich ist das Buch jedenfalls nicht. Dennoch verfängt seine Masche in einem Ausmaß, dass die SPD mit der eigenen Klientel Schwierigkeiten bekommt, wenn sie Sarrazin ausschließt. Diese Auseinandersetzung ist allerdings eine innerparteiliche Angelegenheit der Sozialdemokraten, keine staatspolitische Frage.

Meinungsfreiheit vs. Berufsverbot

Mit einer solchen aber hat es Christian Wulff zu tun. Entlässt der Bundespräsident Sarrazin wegen privater politischer Meinungsäußerungen aus dem Bundesbank-Vorstand? Denn nichts anderes ist das Buch: die schriftlich und öffentlich vorgetragene Privatmeinung des Bürgers Sarrazin. Kann man ihn deshalb  von seinem Arbeitsplatz entfernen und ihm so de facto für den gehobenen Öffentlichen Dienst mit Berufsverbot belegen? Das dürfte schon arbeitsrechtlich problematisch werden.

Noch ärgere Bauchschmerzen verursacht die Vorstellung eines solchen Vorgehens im Hinblick auf die demokratische Kultur im Land – egal ob man dem Buch nun Beifall klatscht oder ob man es für ein  überspanntes, polemisches, abwegiges, Ängste schürendes Machwerk hält. Am Ende müsste sich die Entlassungsbegründung des Bundespräsidenten darauf stützen, Sarrazin habe es an der für seine  Stellung gebotenen persönlichen Zurückhaltung mangeln lassen. Ein ärmlicher Tatbestand, schwach wiegend gegenüber dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Das müssen alle Bürger ausüben können, ohne Gefahr beruflicher Nachteile, ob sie nun Gescheites reden oder Unsinn. Die Republik kann das aushalten.       Andreas Pecht          


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Fall Sarrazin, SPD-Rauswurf, Bundesbank-Entlassung, Analyse
 
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