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2010-12-10a Feature:

Warum ein kleines Gebiet im  Westerwald seit Jahrhunderten ein europäisches Keramikzentrum ist



Im Land der „Kannebäcker“


ape. Westerwald. Von Koblenz nur wenige Kilometer die Höhe hinauf, liegt im Westerwald ein Landstrich, seit dem 18. Jahrhundert genannt „Kannebäckerland“. Zwei Dutzend Dörfer, einige Kleinststädte wie Wirges, Ransbach-Baumbach, Höhr-Grenzhausen. Eine überschaubare, ländliche  Region, wie so viele in Rheinland-Pfalz. Doch gibt es hier einen Schatz, der sie zum Unikum in Europa macht: eines der größten Vorkommen hochwertigster Tone in der alten Welt. Diesem Umstand verdankt das Kannebäckerland eine 800-jährige Geschichte gewerblichen Tonabbaus und ebenso lange seine Stellung als bedeutendes Zentrum der Keramikherstellung.


Der grau-blaue Äppelwoi-Bembel, der in Sachsenhausen noch immer auf den Schanktisch kommt. Die reich geschmückten, oft eigenwillig geformten tönernen Maßkrüge, mit denen königlich-bayerische Honoratioren einst anstießen. Sie sind vielfach entstanden auf den Drehscheiben und in den Brennöfen Westerwälder „Kannebäcker“, wie Töpfer ortsüblich bezeichnet wurden/werden. Ebenso die einfachen braunen Tonflaschen und Kannen, in denen mitteleuropäisches Volk bis ins 17. Jahrhundert Getränke und Essenzen aufbewahrte, bevor es zur Glasflasche griff. Oder: Keramisches Geschirr, sei es bäuerlich schlicht, sei es geformt und dekoriert nach den Ästhetiken von Renaissance und Barock oder von Jugendstil und Werkbund. Nachher: Moderne Schmuck- und Kunstkeramiken inklusive avantgardistischer Figurinen und Skulpturen „ohne Gebrauchswert“.

Die Entwicklung der europäischen Gebrauchs- und Kunstkeramik wurde vom Kannerbäckerland her mitgeprägt – kontinuierlich seit dem 14., nach jüngsten Funden wohl seit dem 12. Jahrhundert.
Vorbei? Monika Gass wehrt ab. Die Leiterin des Keramikmuseums Westerwald in Höhr-Grenzhausen kann die auch am Ort verbreitete Ansicht von der schieren Marginalisierung des Westerwälder Ton- und Keramikgewerbes über die letzten 30 Jahre nicht teilen. Ja, die Beschäftigtenzahl ist zurückgegangen. Und ja, mancher namhafte Keramikproduzent musste aufgeben. Die Region steckt seit geraumer Zeit in einem Strukturwandel.

Aber da sind eben auch die aktuellen Zahlen: Mit 3,5 Millionen Tonnen pro Jahr kommen 83 Prozent der deutschen Spezialtonförderung aus dem Westerwald; 54 der 69 rheinland-pfälzischen Tongruben liegen hier; gut 25 000 Arbeitsplätze stellen Keramik-Industrie und -Handwerk in diesem kleinen Gebiet. Und da sind mannigfache zukunftsträchtige Neuansätze, ablesbar beispielsweise an der in Höhr-Grenzhausen konzentrierten Initiative „Bildungs- und Forschungszentrum Keramik“ (BFZK). Sie vereint sieben ortsansässige Institutionen zum innovativen Netzwerk. Vier keramische Fachschulen und Hochschulabteilungen für Gestaltung oder Werkstofftechnik sind dabei, ein Forschungsinstitut für Werkstoff- und Verfahrenstechnologien, ein Gründerzentrum für keramische Unternehmen. Und natürlich das Museum.

Das Keramikmuseum Westerwald ist ein Impulsgeber und zugleich selbst ein gutes Beispiel für neue Aufbrüche im Kannebäckerland. 1982 gegründet, hat es 2007 nicht nur seine Ausstellungsfläche auf 2000 Quadratmeter verdoppelt. Entgegen der auch in der Umgebung  unausrottbaren Missdeutung, es handele sich bloß um ein keramisches Heimatmuseum, hat sich die Einrichtung zu einem in der Szene weltweit angesehenen und in Deutschland führenden Zentrum  für internationale zeitgenössische Keramikkunst gemausert.

Der Westerwald-Preises für Keramik führt alle fünf Jahre Künstler und Werke aus dem gesamten europäischen Raum zur Ausstellung nach Höhr-Grenzhausen. Der in dreijährigem Turnus ausgeschriebene Naspa-Förderpreis versammelt jüngste keramkünstlerische Tendenzen aus aller Welt; die Ausstellung zum 2010er-Jahrgang läuft gerade (bis Ende Januar 2011). Dazu kommen jedes Jahr Werkpräsentationen der wechselnden internationalen Gastdozenten am FH-Institut für künstlerische Keramik und eine Reihe weiterer Einzel-, Gruppen- oder Themenausstellungen. Die Dauerpräsentation des Hauses gibt einen Überblick über Machart und Stilentwicklung des Steinzeugs vom Neolithikum bis zur Gegenwart. Einen Schwerpunkt bilden Kreationen aus der Geschichte des Kannebäckerlandes selbst.           

Dort erlebte die Keramik zwischen 1583 und 1600 einen spektakulären Aufschwung: War zuvor  vornehmlich einfaches Gebrauchsgeschirr hergestellt worden, so verließ von nun an zusehends künstlerisch ausgestaltetes, hochwertiges Steinzeug die Westerwälder Werkstätten. Grund: Zu jener Zeit ließen sich auch Töpfer aus der Wallonie, dem Elsass und der Siegburger Gegend in Höhr-Grenzhausen nieder. Fertigkeiten und Kompetenzen des Töpferhandwerks ballten sich  in enger Nachbarschaft, nutzten die besonderen Eigenarten der hier abgebauten Tone zur Entwicklung neuer Verarbeitungsweisen und Produkte: Der hohe Quarzanteil des Westerwälder Tons erlaubt sehr hohe Brenntemperaturen, die Tone sind in der Regel feuer- und säurefest.

Aus diesem Umstand erwuchs dem örtlichen Töpfergewerbe eine führende Rolle bei der Entwicklung neuartiger Brennöfen und seit dem 17. Jahrhundert bei der Herstellung von Keramiken im Salzbrand-Verfahren, das um 1280 Grad Celsius bei offenen Flammen braucht. Salzbrand war in historischer Zeit eine außerordentliche Innovation: Das bedeutete Gefäße mit absolut luft- und wasserdichten Wandungen, ideal zur längerfristigen Einlagerung von Lebensmitteln. Das hieß auch: Schön glänzende, giftfreie und kratzfeste Oberflächen, in denen Decors aller Art Bestand haben.

Das Industriezeitalter brachte die Massenproduktion von pittoresken Humpen, billigen Blumentöpfen oder konfektionierten Fließen für Küche und Bad in den Westerwald. Die hohe Zeit dieser Sparte ist allerdings vorbei – Asien macht's preiswerter. Doch hat die besondere Feuer- und Säurefestigkeit der Tone im späteren 20. Jahrhunderts dort auch eine spezielle keramische Industrie  entstehen lassen, die sich noch lange nicht überlebt haben dürfte: Ausstattung von Stahl- und Chemiewerken oder anderen Industriezweigen etwa mit widerständigen Bewandungsmaterialien.
 
Die Zukunft des keramischen Gewerbes in dieser Region liegt auf zwei Schienen. Auf der einen geht es um die Erschließung der enormen Potenziale von Ton und Keramik für moderne Anwendungen in Technik und Produktion. Auf der anderen um die Entfaltung der keramischen Künste im Dienste geschmackvoller, material- und formbewusster Lebensart heutiger Menschen.  Ob schönes Gebrauchsdesign oder Herz und Hirn bewegende Skulpturenkunst – nicht wenige Kunsthandwerker und auch junge Keramikkünstler beschreiten im Kannebäckerland diesen Weg inzwischen (wieder).                                 Andreas Pecht

Info: www.keramikmuseum,de


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