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2011-01-30a Analyse/Kommentar:

Zu den Entwicklungen in Nordafrika und Arabien

 

Revolution auch in Ägypten:
"Die Straße" schreibt Weltgeschichte


 

APE. Ob das schlussendliche Ergebnis der Aufstände und Protestbewegungen dem Westen mehr, weniger oder gar nicht gefallen wird: In Nordafrika und Arabien schreibt derzeit „die Straße“ Weltgeschichte. In Tunesien wurde das Regime vom Volk auseinandergejagt. Das Land ist im jetzigen Übergangsstadium labil, die Reste des alten Machtapparates zucken noch, die Konturen der neuen Ordnung sind noch nicht erkennbar. Derweil steckt Ägypten hoffend und bangend mittendrin im revolutionären Prozess. Ob dessen Kraft reicht, die Herrschaft des Mubarak-Systems zu beenden und das Chaos der Umsturzphase zu beseitigen, bleibt zur Stunde ebenso ungewiss wie die weitere Entwicklung in den Nachbarländern. Gewiss ist nur dies: Der maghrebinisch-arabische Raum erweist sich als reif für einen grundstürzenden Wandel – weil seine Bevölkerung die überkommenen Verhältnisse nicht länger erduldet. Das wird früher oder etwas später auch die weltpolitischen Karten ganz neu mischen.

Wohin tendiert der Wandel am Ort? Zu mehr Demokratie und Modernität oder zu archaischem Islamismus? In den aktuellen Bewegungen spielt Religion bisher offenbar keine entscheidende Rolle. Es handelt sich dem Wesen nach nicht um islamische Revolutionen. Islamistische Kräfte mischen mit, in Tunesien weniger als in Ägypten, aber auch am Nil sind sie im Augenblick bloß  eine Kraft unter anderen. Niemand kann sagen, ob das so bleibt. Denn Denkweise und Dynamik dieses neuen afrikanisch/arabischen Aufbruchs sind uns nicht vertraut. Wer hatte in Europa bis vor ein paar Wochen schon einen tunesischen oder ägyptischen Volksaufstand auf dem Radar? Wer eine Umbruchstimmung in jener gesamten Weltgegend?

Die Bevölkerungen dort sind demographisch sehr jung. Weshalb die Proteste maßgeblich auch und gerade von jungen Menschen getragen werden, deren Horizont vielfach durch heutige Telekommunikation und globale Netzwerke mitgeprägt ist. Sie vereinen politischen Protest gegen die Willkürsysteme reicher Potentaten mit sozialem Protest gegen  Armut und Chancenlosigkeit sowie mit bürgerlichem und nicht zuletzt jugendlichem Begehren nach mehr freiheitlicher Modernität. Die Fixierung vieler West-Beobachter bloß auf „Wunsch nach mehr Demokratie" greift zu kurz. Erinnert sei, dass den jetzigen Bewegungen eine erhebliche Beunruhigung der ärmeren Bevölkerung über massive Preiserhöhungen bei Grundnahrungsmitteln vorausging. Der ewige Wunsch nach "Brot UND Freiheit!" bringt Unterschicht und Mittelschicht gemeinsam auf die Straße.

Es ist anzunehmen, dass die Entwicklung in den jeweiligen Ländern sehr unterschiedlich verlaufen wird. Im Einzelfall kann eine islamistische Rolle rückwärts wohl nicht ausgeschlossen werden. Aber es spricht einiges dafür, dass das Gros dieser Bewegungen geistig eher mit dem freiheitlichen Aufstand von 2009 im Iran verwandt ist. Bliebe es in Nordafrika und Arabien beim politischen und sozialen Charakter des Aufbegehrens, könnte das vielleicht sogar als  Anzeichen gedeutet werden, dass die Renaissance des rückwärts gewandten, militanten Fundamental-Islamismus ihren Zenit überschritten hat.

Was für eine Art von Gesellschaft am Ende herauskommt, wenn die islamisch geprägten Kulturen im Maghreb und in Arabien in Richtung Freiheit und Modernität aufbrechen, wissen wir nicht. Allerdings sollte der Westen eine lupenreine Kopie seines Modells weder erwarten noch erhoffen.  Es wird wohl  –  wo nicht schon heute, dort demnächst – etwas eigenständig Neues entstehen. Und der Westen sollte endlich begreifen: Unterdrückte Völker brauchen unsere Solidarität, aber keine Militärinterventionen, die womöglich mehr Schaden anrichten als helfen; siehe Irak oder Afghanistan. Um ihre Befreiung kümmern sie sich letztendlich selbst, mag es auch die eine oder andere Generation länger dauern.
                                                                                      Andreas Pecht



(Erstabdruck am 31. Januar 2011)

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