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2010-02-13 Ballettkritik:

Neues Ballett von Stephan Thoss
am Staatstheater Wiesbaden

"Blaubarts Geheimnis" wird enthüllt


 
ape. Wiesbaden. Ballettpremiere im Wiesbadener Staatstheaters: Uraufführung von „Blaubarts Geheimnis“, der jüngsten Choreographie des Tanzchefs Stephan Thoss. Bevor der zweistündige Abend um die wohl düsterste Figur der Märchenwelt in den Bann schlägt: besorgte Gespräche im Foyer. Es herrscht Unruhe in der Rhein-Main-Kulturszene seit sowohl auf rheinland-pfälzischer wie auf hessischer Seite politische Ansätze zur Eindampfung der Theaterfinanzen für Mainz und Wiesbaden bekannt geworden sind - und danach die Ballettsparte zur Einsparmasse werden könnte. Noch handelt es sich nur um Gedankenspiele Einzelner. Doch wo Rauch ist, gibt‘s allemal Grund zur Sorge.

 
Blick auf die Wiesbadener Bühne, auf den mit schiefen Wänden und kopfstehenden Treppen perspektivisch verzerrten Spielraum des ersten "Blaubart"-Teils (Ausstattung: Thoss selbst). Der ist „Präludien“ überschrieben und entfaltet zu Musikstücken von Henry Górecki das ewige Orientierungsspiel junger Leute zwischen Selbstfindung und Streben nach Miteinander in der Gruppe, Liebe unter Zweien, Lust und Schmerz des Individuums. Wie stets bei Thoss hält sich die Choreographie kaum mit Erzählen auf. Darstellende Pantomime gibt es in Wiesbaden nicht. Symbolik herrscht vor, tiefenpsychologische Metaphorik, Andeutung, Anmutung.

Das alles befindet sich ständig im Fluss, ist gebunden an unaufhörliche, treibende Bewegung, zusammengesetzt aus einer Fülle interessanter Tanzfiguren. Man möchte „Stop!“ rufen, um diese Drehung, jenen Heber oder einen anderen der oft so intensiven Körperausdrücke genauer betrachten zu können. Doch Thoss scheint ein ungeduliger Mann zu sein. Ruhelos sind auch seine Tänzer.  Momente des Verharrens, des Besinnens, des vorsichtigen Ertastens werden nur selten gewährt. Weit greifen die Bewegungen in den Raum, allweil wirbelnd durchströmen sie Sehnsüchte und Abgründe.

Im ersten Teils findet sich jenes Paar, das im zweiten auf eine harte Probe gestellt wird: Blaubart und Judith.  Thoss‘ Choreographie erzählt natürlich nicht das alte Märchen von Charles Perrault nach. Blaubart ist hier kein Ungeheuer, das Frauen zuhauf meuchelt. Wir sehen einen Mann, der eine junge Frau liebt und sie ehrlich über sein Vorleben ins Bild setzt. Er führt Judith durch ein mit zwei Rollwänden angedeutetes Schloss, öffnet Türen. Dahinter zeigt sich je eine andere Szene:  Blaubarts Erinnerungen an sein Erleben mit früheren Frauen. Da werden nun keine Orgien gefeiert, Thoss bleibt bei Andeutungen. Aber er lässt tänzerisch feine Unterschiede von begehrlichen über wilde bis zu obszessiven Begegnungen anklingen.

Wunderbar ertanzen Giuseppe Spota und Valeria Lampadova die Ambivalenzen ihrer Figuren und deren Beziehung zueinander. Blaubart fällt die Offenbarung seiner Lüstlichkeiten nicht leicht. Er hat Angst, Judith könne sich entsetzt abwenden. Tut sie aber nicht. Im Gegenteil ist bald sie es, die ihn zur nächsten Tür drängt. Auch zur letzten, die Blaubart ihr erst partout nicht öffnen will. Denn dahinter verbirgt sich sein eigentliches dunkles Geheimnis. Das hat zu tun mit jener Frau in Schwarz, die schon die ganze Zeit bedeutungsschwanger das junge Paar begleitet: Blaubarts Mutter (Romy Liebig).

Was steckt hinter dieser Tür? Familiärer Horror, liebloses Elternpaar, Inzest zwischen Mutter und Sohn... Die Choreographie lässt hier de facto etliche Interpretationen zu, ist aber psychologisch eindeutig: Was immer da geschehen sein mag – und sich nun in Form vieler schwarzer Frauen und Männer albtraumhaft multipliziert: Ohne die Hilfe Judiths würde Blaubart daran zugrunde gehen. Und Judith hilft; sie ist zum starken Pol des Paares geworden.

„Blaubarts Geheimnis“, ein bemerkenswerter Ballettabend. Dessen aufwühlende Kraft rührt vor allem im zweiten Teil auch von der Musik: Das Orchester des Staatstheaters beweist unter Wolfgang Ott sehr gutes Gespür für die schier hypnotischen Potenziale der hier gewählten Kompositionen von Philip Glass.
                                                                                       Andreas Pecht


Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck 14. Februar 2011)

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