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2011-02-23 Feature/Vorbericht:

Höhr-Grenzhausen präsentiert „Keramische Welten“ des Kannebäckerlandes auf der Bundesgartenschau Koblenz


Ton-Schätze von Weltgeltung
gleich nebenan


ape. Höhr-Grenzhausen/Koblenz. Es ist manchmal so eine Sache mit dem Schönen oder Bedeutenden gleich vor der Haustür: Man übersieht es gern, achtet seiner gering, vergisst es einfach. Das „Kannebäckerland“ kann davon ein Lied singen. Der normale Mittelrheiner weiß zwar von diesem Landstrich gleich auf den vorderen Westerwaldhöhen überm Rheintal. Er weiß wohl auch, dass der Name von der dort seit Generationen tätigen keramischen Zunft rührt. Sonst noch was? Kaum. Das soll sich ändern –  und die Bundesgartenschau Koblenz soll helfen, dem Kannerbäckerland jene Aufmerksamkeit zu verschaffen, die seiner Bedeutung angemessen ist.

Kannebäckerland: Das sind zwei Dutzend Dörfer und ein paar Kleinststädte wie Siershahn, Wirges, Ransbach-Baumbach, Höhr-Grenzhausen. Letztere wird mit „Keramische Welten“ auf der BUGA vertreten sein. Die von Gemeinde, ortsansässigen Keramikern und keramischen Institutionen gemeinsam auf die Beine gestellte Präsentation im Ravellin der Festung Ehrenbreitstein zielt zwar eher auf Steigerung des Bekanntheitsgrades beim überregionalen Publikum. Aber es wird auch  einheimischen Besuchern gut tun, dort ein paar Eindrücke zu gewinnen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines der international wichtigsten Zentren für (keramische) Ton-Kultur in unmittelbarer Nachbarschaft.

Vorgreifend sei kurz ins Bewusstsein gerufen, was wir übers Kannebäckerland mal wussten oder  jetzt eben erfahren. Es gibt in dieser Gegend einen Schatz, der sie zum Unikum in Europa macht: eines der größten natürlichen Vorkommen hochwertigster Tone in der alten Welt. Diesem Umstand verdankt das Kannebäckerland eine 800-jährige Geschichte gewerblichen Tonabbaus und ebenso lange seine Stellung als bedeutendes Zentrum der Keramikherstellung.

Der Äppelwoi-Bembel, der in Sachsenhausen noch immer auf den Tisch kommt. Die reich geschmückten, oft eigenwillig geformten Maßkrüge, mit denen königlich-bayerische Honoratioren einst anstießen. Sie sind vielfach entstanden auf den Drehscheiben und in den Brennöfen Westerwälder Kannebäcker, wie Töpfer ortsüblich bezeichnet werden. Ebenso die braunen Tonflaschen und Kannen, in denen mitteleuropäisches Volk bis ins 17. Jahrhundert Getränke und Essenzen aufbewahrte, bevor es zur Glasflasche griff. Oder: Keramisches Geschirr, sei es bäuerlich schlicht, sei es geformt und dekoriert nach den Ästhetiken von Renaissance und Barock oder von Jugendstil und Werkbund. Nachher: Moderne Schmuck- und Kunstkeramiken inklusive avantgardistischer Figurinen und Skulpturen „ohne Gebrauchswert“.

Die Entwicklung der europäischen Gebrauchs- und Kunstkeramik wurde vom Westerwald her mitgeprägt – kontinuierlich seit dem 14., nach jüngsten Funden wohl seit dem 12. Jahrhundert.
Vorbei? Monika Gass wehrt ab. Die Leiterin des Keramikmuseums Westerwald in Höhr-Grenzhausen kann die am Mittelrhein verbreitete Ansicht von der schieren Marginalisierung des Westerwälder Ton- und Keramikgewerbes über die letzten 30 Jahre nicht teilen. Ja, die Beschäftigtenzahl ist zurückgegangen. Und ja, mancher namhafte Keramikproduzent knickte vor der Billigkonkurrenz aus Fernost ein. Die Region steckt seit geraumer Zeit im Strukturwandel.

Aber da sind auch die aktuellen Zahlen: Mit 3,5 Millionen Tonnen pro Jahr kommen 83 Prozent der deutschen Spezialtonförderung aus dem Westerwald; 54 der 69 rheinland-pfälzischen Tongruben liegen hier; gut 25 000 Arbeitsplätze stellen Keramik-Industrie und -Handwerk in diesem kleinen Gebiet. Und da sind mannigfache zukunftsträchtige Neuansätze, ablesbar beispielsweise an der in Höhr-Grenzhausen konzentrierten Initiative „Bildungs- und Forschungszentrum Keramik“ (BFZK). Sie vereint sieben ortsansässige Institutionen zum innovativen Netzwerk. Vier keramische Fachschulen und Hochschulabteilungen für Gestaltung oder Werkstofftechnik sind dabei, ein Forschungsinstitut für Werkstoff- und Verfahrenstechnologien, ein Gründerzentrum für keramische Unternehmen. Und natürlich das Museum.

Das Keramikmuseum Westerwald ist ein Impulsgeber und zugleich selbst ein gutes Beispiel für neue Aufbrüche im Kannebäckerland. 1982 gegründet, hat es 2007 nicht nur seine Ausstellungsfläche auf 2000 Quadratmeter verdoppelt. Entgegen der auch in der Umgebung  unausrottbaren Missdeutung, es handle sich bloß um ein keramisches Heimatmuseum, hat sich die Einrichtung zu einem in der Szene weltweit angesehenen und in Deutschland führenden Zentrum  für internationale zeitgenössische Keramikkunst gemausert.

Die Zukunft des keramischen Gewerbes im Kannebäckerland liegt auf zwei Schienen. Auf der einen geht es um die Erschließung der Potenziale von Ton und Keramik für moderne Anwendungen in Medizin, Technik, Produktion. Auf der anderen um die Entfaltung der keramischen Künste im Dienste geschmackvoller, material- und formbewusster Lebensart heutiger Menschen. Ob schönes Gebrauchsdesign oder Herz und Hirn bewegende Skulpturenkunst – nicht wenige Keramiker beschreiten im Kannebäckerland diesen Weg (wieder).

Die Präsentation „Keramische Welten“ auf der BUGA will das gesamte örtliche Spektrum tönerner Tradition und Innovation auffächern. Dazu wird vor dem Ravellin der Festung Ehrenbreitstein ein Aktionsfläche unter freiem Himmel eingerichtet, auf der beispielsweise Töpfer- und Brennverfahren vorgeführt werden, Besucher auch mal selbst Hand anlegen können. Im Innern des Ravellin entstehen sechs spezielle Themenräume. Im ersten stellt sich das „Bildungs- und Forschungszentrum Keramik“ vor. Im zweiten geht es um das Material Ton: Raum-Collagen aus rohem sowie bearbeitetem Ton können buchstäblich “begriffen“ werden. Der dritte Raum ist mit historischen Zeugnissen der Arbeit im traditionellen Keramikgewerbe gewidmet. Abteilung vier porträtiert die derzeit in Höhr-Grenzhausen wirkenden Keramiker; gut zwei Dutzend stellen dort im Wechsel eigene Arbeiten aus. Raum fünf enthält eine großformatige Kunstinstallation aus keramischen Formen. Die letzte Station ermöglicht die Begegnung mit technischen und ästhetischen Keramikanwendungen der jüngsten Vergangenheit und der nächsten Zukunft.

Es wäre gewiss nicht das Schlechteste, wenn so mancher BUGA-Besuch mit der Bemerkung endet: „Wieder was gelernt.“ In diesem Fall über die uralte und ganz neue keramische Welt gleich nebenan im Vorderwesterwald.                                   Andreas Pecht

Info: >>www.buga.hoehr-grenzhausen.de

Weitere Infos zur Bundesgartenschau Koblenz (15.4. - 16.10.)
>>www.buga2011.de
>>www.diefestungehrenbreitstein.de


(Erstabdruck 8. Woche im Februar 2011)

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