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2011-02-24 Analyse:

 

Das Phänomen Guttenberg

Trotz arger Verfehlungen als Doktorand ist der Politiker beliebter denn je

ape. Es ist für deutsche Verhältnisse ein sehr irritierendes Phänomen. Da verstößt ein Politiker aus der ersten Reihe durch maßlose Schludrigkeit oder großzügiges Plagiieren beim Abfassen seiner Doktorarbeit gegen Eckpunkte des bürgerlichen Wertesystems – seiner Beliebtheit bei einer übergroßen Mehrheit der Menschen im Land tut das aber keinen Abbruch. Im Gegenteil. Je eindeutiger die Beweise für Verfehlungen des Doktoranden Karl-Theodor zu Guttenberg, umso höher die Zustimmungswerte für den Bundesminister. Deutschlands politische Klasse ist über alle Maßen verblüfft. Die Oppositionsparteien verstehen die Welt nicht mehr. Die Regierungskoalition wohl auch nicht, aber sie will sich die „Unkaputtbarkeit“ der Guttenberg‘schen Beliebtheit zunutze machen und hält an ihrem Star fest.

Wie sonderbar dieses Phänomen ist, macht ein Gedankenspiel deutlich: Man stelle sich vor, irgendeinem anderen Politiker, gar Gregor Gysi oder Jürgen Trittin, würden ähnliche Verstöße gegen das allgemeine Verständnis von Sorgfalt und/oder Aufrichtigkeit nachgewiesen. Obendrein nicht begangen in ferner Jugendzeit, sondern im nahen Erwachsenenalter. Die Jagd wäre offen! Der Gegenwind für die Delinquenten vonseiten der Bevölkerung wäre so heftig wie jetzt die Zustimmung für Guttenberg groß ist. Und nur wenige würde es stören, wenn die Presse sich der Sache in aller Schärfe annähme.

Woher rührt im Fall Guttenberg solche Nachsicht, woher die im Augenblick anscheinend durch nichts zu trübende Sympathie, ja Verehrung für diesen Mann? Das hat wohl sehr viel mit Psychologie zu tun und der grassierenden Entfremdung zwischen Volk und politischer Klasse.  Guttenbergs bisherige politische Verdienste dürften dabei weniger ins Gewicht fallen: So furchtbar glücklich hat er weder in Afghanistan noch bei der Gorch-Fock-Krise agiert, und über seine Bundeswehrreform steht das Urteil noch aus.

Dennoch gilt der 39-Jährige weit über die eigene Partei hinaus als Sympathie- und Hoffnungsträger.  Warum? Weil viele in ihm einfach einen Politiker von anderem als dem gewohnten Schlag sehen.  Jung, dynamisch, herzlich, lebensfroh. Gescheit und zugleich ungekünstelt volksnah. Eine ehrliche Haut, auch und gerade wenn es um das Eingeständnis eigener Schwächen und Fehler geht. Einer, der weiß, was er will, und der den Eindruck macht, als könne und werde er sich durchsetzen. Einer, der die Balance gefunden hat zwischen gepflegtem Traditionalismus und weltläufiger Moderne.

Ein Minister, der in klarem, aber anständigem Deutsch Dinge beim Namen nennt, grade Sätze zur Sache spricht – und eben nicht die sattsam bekannten, beschönigenden oder billig den Gegner angiftenden Blubberblasen des gewöhnlichen Politsprechs wiederkäut. Zudem ist Guttenberg ein adretter Mann, die Bayern würden sagen: ein fesches Mannsbild. Das mag für die politische Beurteilung belanglos sein. Für die Sympathiewerte in der Mediendemokratie ist gutes Aussehen aber gewiss nicht schädlich. Man darf diesen Umstand bedauern, leugnen lässt er sich kaum.

Nimmt man die angenommenen, gemutmaßten, gefühlten, ersehnten, auf Guttenberg projezierten Eigenschaften zusammen, ergibt sich das Wunschbild eines modernen, zupackenden, charismatischen Politiker-Typus, für den im 21. Jahrhundert bislang nur ein einziges Vorbild existiert: Das ist – trotz aller politischen und geistigen Unterschiede – Barack Obama. Wunschbild, wohlbemerkt. Ähnlich wie in den USA bei Obama, resultiert die Heftigkeit des hiesigen Streits um Guttenberg nicht zuletzt daraus, dass zwischen Wunsch und Wirklichkeit eine tiefe Kluft aufzubrechen droht. Oder, je nach Sichtweise, aufgebrochen ist.

Die Obama-Anhänger in Amerika machen für die fortschreitende Demontage ihres Idols das Blockieren und Wüten der Konservativen verantwortlich. Was den Amerikanern die Konservativen, sind den Guttenberg-Freunden in Deutschland augenblicklich Presse und Führungspersonal der Oppositionsparteien: Verbiesterte Kräfte, die aus Neid, wahltaktischem Eigeninteresse oder Skandalsucht eine Schlammschlacht gegen den Hoffnungsträger inszenieren. Das wird als zugespitzte Form der üblichen politischen Machtspielchen verstanden – und gerade deshalb von großen Teilen der deutschen Bevölkerung  nicht goutiert.

Nur so lässt sich erklären, dass bei Umfragen zuletzt selbst Mehrheiten der Anhänger von Oppositionsparteien Guttenberg zur Seite standen. Wie überhaupt dessen Parteizugehörigkeit für die öffentliche Meinung in dieser Auseinandersetzung keine oder allenfalls eine sehr nachgeordnete Rolle spielt. Dies ist ein Faktum, das in sämtlichen Parteizentralen noch unterschätzt wird: Im Wunschbild vom Politiker, das sich derzeit an der Person Guttenberg festmacht, manifestiert sich der im Volk weit verbreitete Widerwille gegen den allgemeinen Politikstil in der Bundesrepublik. 

Es ist nicht Aufgabe dieses Artikels, festzustellen, ob etwa doch jene augenblickliche Minderheit Recht hat, die in Karl-Theodor zu Guttenberg bloß einen Blender, Gernegroß und eine gewiefte PR-Maschine seinerselbst sieht. Sollte es so sein, spielt der Freiherr im Ministeramt das Spiel um Sein und Schein jedenfalls wesentlich besser als jeder hiesige Politiker seit langem. Wie auch immer man den Fall aber sehen mag, bedauerlich ist zweierlei: Dass dem politischen Disput um die Verteidigungspolitik nur noch eine Nebenrolle zukommt, und dass den deutschen Studenten ein schlechtes Beispiel gegeben wird.                           Andreas Pecht               

(Erstabdruck 25. Februar 2011)

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