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2011-03-28 Konzerteinführung:

3. Orchesterkonzert im Görreshaus Koblenz mit Rheinischer Philharmonie und Dirigent/Solist Wolfram Christ (Viola). Werke u.a.: Lachrimae von Dowland und Britten, Trauermusik von Hindemith. Dazu Mozarts Cassation KV 63 und Haydns Sinfonie Nr. 46



Lachrimae - Tränen

(Unkorrigiertes Redemanuskript. Mündliche Ausführung teils abweichend)



ape. Meine sehr geehrten Damen und Herrn, liebe Musikfreunde,

willkommen zum dritten Orchesterkonzert der Saison im Görreshaus – an diesem bedeutsamen Sonntag. Ich hoffe, Sie haben alle gewählt und ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle gemacht.

Der heutige musikalische Nachmittag steht unter der Überschrift „Lachrimae“ – Tränen. Dieses Motto bezieht sich nicht auf das gesamte Konzertprogramm, sondern auf vier Stücke in dessen Zentrum. Zwei davon, zwei kleine, stammen von John Dowland, eines von Benjamin Britten und eines von Paul Hindemith. Flankiert wird dieser Block von zwei Werken, die nicht unter das Tränen-Thema fallen: Zum Konzertauftakt gibt es die G-Dur-Cassation aus der Feder des 13-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart; zum Abschluss des Nachmittags dann die Sinfonie Nr. 46 von Joseph Haydn.

Dazwischen also Lachrimae. Und gemeint sind keineswegs Lachtränen, sondern jene Tränen, wie sie Schwermut, seelischer Schmerz und Trauer hervorbringen.

Meine Damen und Herrn, als dieses Programm vor etwa Jahresfrist zusammengestellt wurde, konnte niemand ahnen, dass die Musik im März 2011 die Bedeutung eines aktuellen „Memento mori“ erhalten würde. Angesichts der Tragödien in Japan und Libyen dürfen und möchten wir Lachrimae  heute Nachmittag auch verstanden wissen als Zeichen der Trauer um die vielen Tausend Toten.

Es wird nachher als erstes Stück des Tränen-Blocks das Lied „Flow my tears“ erklingen, von John Dowland für seine Sammlung „Lachrymae“ als fünfstimmiger Satz für Laute und Violen bzw. Violinen eingerichtet. Lassen sie mich zwei Strophen des zugrunde liegende Liedes in deutscher Übersetzung rezitieren:
 
Fließt, meine Tränen, strömt aus euren Quellen,
Für immer verbannt: lasst mich trauern.
Wo der schwarze Vogel der Nacht sein
düsteres Lied singt, dort lasst mich einsam sein.

Vom höchsten Gipfel der Zufriedenheit
Wurde mein Glück hinabgestürzt
Und Angst und Gram und Schmerz in dieser Einsamkeit sind meine Hoffnungen, seit es keine Hoffnung mehr gibt

Wer war dieser John Dowland? Der wahrscheinlich bedeutendste Komponist für die Laute, den es je gab. Bis heute gilt sein Oeuvre als Kernstück der Lauten-Literatur schlechthin. Das Zupfinstrument mit dem ovalen, bauchig ausgewölbten Korpus und seinem geknickt angesetzten Zwirbelhals galt in der Renaissance als Königin unter den Instrumenten.

Dowland verstand seine Lauten-Musik vorrangig als kunstvolle Begleitung von gesungenen, mehrstrophigen Liedern. Dennoch war er im 16. Jahrhundert  zugleich Wegbereiter einer selbständigen europäischen Instrumentalmusik. Vor allem seine Kompositionen für Gamben-Ensemble mit Lauten-Begleitung dürfen als Vorläufer barocker Kammermusik für Streicher und Generalbass gesehen werden. Beide Dowland-Stücke im heutigen Konzert zählen zu dieser Kategorie: „Flow my tears“ sowie das das nachfolgende „If my complaints could passion move“ entstanden ursprünglich als Lieder für Singstimme und Laute. Sie wurden nachher von Dowland zu Instrumentalwerken für Gamben-Ensemble und Laute umgearbeitet.

Kurz zur Erklärung: Die Gamben-Familie besteht aus Streichinstrumenten.  Das sind nahe Verwandte der uns vertrauten Violinen-Familie, beide auch fast gleichzeitig entstanden. Augenfälligster Unterschied: die Viola da Gamba wird zwischen den Beinen (die größeren) gehalten oder auf den Schoß gestellt (die kleineren) und in senkrechter Stellung gespielt. Weshalb man die Mitglieder der Gambenfamilie auch Knie- oder Schoßgeigen nennt. Die Sprache gibt den entscheidenden Hinweis: das italienische Viola meint Geige, und Gamba bedeutet „Bein“. 
(Wenn ich richtig orientiert bin, kommt gleich im Konzert allerdings nicht die Gamben-, sondern die Violinenfamilie zum Einsatz).
 
Über die Lebensdaten Dowlands gehen die Angaben auseinander: 1562 oder 1563 kam er entweder in Irland oder in London zur Welt. Der Todeszeitpunkt ist ähnlich ungewiss: Verbürgt ist nur, dass er 1626 in London begraben wurde. Damit war Dowland ein direkter Zeitgenosse William Shakespeares (1564 bis 1616). Und wie Shakespeare DER überragende Dramatiker der elisabethanischen Epoche war, so Dowland ihr musikalischer Großmeister.

Die beiden Stücke von Dowland in unserem Programm finden rund 400 Jahre nach ihrer Entstehung ein bemerkenswertes Echo in Benjamin Brittens „Lachrimae“ für Viola und Orchester. „Reflections on a Song from John Dowland“ hat Britten sein Werk untertitelt und dessen zehn Teile „Variationen“ genannt. Britten greift jedoch Dowlands Song nicht direkt auf, er lässt sich von der Stimmung inspirieren, formt sie  dann als musikalisch-emotionale Gesten des 20. Jahrhunderts aus.

Dowlands „Flow my tears“ taucht in der sechsten Episode als Zitat auf. Die unmittelbare Wiederbegegnung mit „If my complaints could Passion move“ erfolgt erst gegen Ende von Brittens „Lachrimae“. Bis dahin  entfaltet das Werk höchste Empfindsamkeit – wechselnd zwischen verhaltenen und erregten Passagen, und das bisweilen an den Grenzen der Tonalität oder jenseits davon.

Entstanden ist das Stück 1950 als Komposition für Viola und Klavier, wurde von Britten in seinem Todesjahr 1976 für Streichorchester und Viola umgearbeitet. Das ist eine tiefgründige Musik in der Klangsprache des 20. Jahrhunderts. Die irritiert bisweilen noch immer etwas. In diesem Fall aber    verschwindet gelegentliches Befremden sofort hinter bewegender Beseeltheit. Einer Beseeltheit die schlussendlich ihren erschütternden, aber auch tröstenden Ausklang und Nachklang findet in einer choralartigen Verarbeitung von Dowlands Song.

Der Lachrimae-Block unseres heutigen Konzerts schließt mit einem weiteren Stück aus dem 20. Jahrhundert: der „Trauermusik für Viola und Orchester“ von Paul Hindemith. Der Bratschist, Dirigent und Komponist  kam 1895 in Rodenbach bei Hanau zur Welt; er starb 1963 in Frankfurt am Main. Unter den Nazis als „entartet“ abgestempelt, ging er 1938 mit seiner Frau ins schweizerische, 1940 dann ins amerikanische Exil. 1946 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft, kehrte aber 1953 wieder nach Europa zurück, nahm seinen Hauptwohnsitz in der Schweiz am Genfersee.

Hindemith war in seinen frühen Jahren ein musikalischer Revolutionär. Nach eigenen spätromantischen Anfängen, lehnte er den Klangbombast dieser Stilepoche jedoch bald sehr scharf ab. Er irritierte und provozierte auch bisweilen bewusst mit experimenteller Dissonanz-Harmonik, Geräuschelementen und kompromissloser Kontrapunktik. In den 1930er-Jahren wandte sich Hindemith wieder dem tonalen Stil zu, griff intensiv auf altmeisterliche Satztechniken zurück. Er sah sich nun in der Nachfolge von J.S. Bach und Anton Bruckner gleichermaßen.

Aus dieser „gemäßigten“, gemilderten Schaffensphase stammt auch die „Trauermusik  für Viola und Orchester“  in unserem heutigen Konzert. Und Sie werden nachher unschwer die Verbindung erkennen, die hier der aufgebrochene, erweiterte Tonraum des Erneuerers und der Rückgriff  auf alte Tonalität eingehen.     

Das kleine, gerade 9 Minuten dauernde Werk besteht aus vier miteinander verbundenen Abschnitten, deren formale Seite mein Kollege Hans-Klaus Jungheinrich von der Frankfurter Rundschau einmal folgendermaßen knapp und treffend beschrieb:

„Der erste Teil hebt an mit einem trauermarschähnlichen, punktiert rhythmisierten Thema im Streichorchester. Fast unmerklich löst sich der Gesang des Soloinstruments davon ab. Der anschließende zweite Teil wird von einem ruhig schwebenden Zwölfachtelrhythmus getragen.  Lebhafter, erregter im Dialogisieren ist der unmittelbar anknüpfende dritte Abschnitt, der im Solopart am Ende wieder zur Ruhe tendiert. Den Beschluß bildet, als vierter Teil, der Bach-Choral „Vor deinen Thron tret ich hiermit“, der von der Bratsche frei-rezitativisch paraphrasiert wird.“ So weit Jungheinrich.

Trauer, meine Damen und Herrn, begegnet uns in dieser Musik in zwei sehr verschiedenen Ausprägungen, die beide zutiefst menschlich sind. Einerseits im stillen, gemessenen, nach innen gewandten Gestus. Andererseits in der lauten, verzweifelten, auch mit dem ungerechten Schicksal hadernden Klage. Wie Benjamin Britten in seinem Lachrimae, so entlässt auch Hindemiths Trauermusik den Hörer nicht in bodenlose Hoffnungslosigkeit. Beide greifen abschließend auf traditionelle Choral-Motive zurück – nicht weil sie den Schmerz aufheben wollten, sondern um ihm ein Element des Trostes beizugesellen.

Hindemiths Trauermusik entstand unter unglaublich hektischen Bedingungen. Die merkt man dem Stück aber nicht an. Der Komponist hielt sich anno 1936 gerade in London auf, um die dortige Erstaufführung seines Schwanendreher-Konzerts vorzubereiten. Mitten in die Proben hinein platzte am 20. Januar die Nachricht vom Tod des englischen Königs Georg V. . Hindemith wurde noch am selben Tag gebeten, aus diesem Anlass eine Trauermusik zu schreiben. Was er am 21. Januar innerhalb weniger Stunden auch tat. Die Uraufführung erfolgte am 22. Januar im Rahmen des Gedächtniskonzertes der BBC für den verstorbenen König. Den Solopart spielte dabei Hindemith selbst.

Lassen Sie mich nun noch paar Sätze verlieren über die beiden Eckteile des Konzerts, die nicht unter das Lachrimae-, das Trauer-Thema fallen. Wie schon erwähnt, beginnen wir gleich mit der Cassation G-Dur von Mozart. Begrifflich bewegen wir uns mit Kassation in einer ziemlich diffusen Grauzone. Mit dem Kassationsgericht oder gar der archivarischen Kassation, also der Aktenvernichtung, hat der musikalische Begriff gar nichts zu tun.

Meine Kollegin Insa Bernds hat im Programmhaft ein paar Begriffstheorien zusammengestellt. Ich persönlich neige zur Herkunft vom Italienischen Cassatione, was wörtlich übersetzt Verabschiedung oder Entlassung meint.  Das würde zu den Anlässen passen, bei denen Kassationen vor allem gespielt wurden: Als Huldigung an Landesfürst und Professoren zum Abschluss des akademischen Jahres. Zu eben diesem Zweck hat Mozart wahrscheinlich im Sommer 1769 in Salzburg seine drei Cassationen KV 63, 99 und 100 geschrieben.

Als Gattungsbezeichnung ist Cassation keine große Orientierungshilfe: Die Format-Abgrenzung gegen Serenade und Divertimento ist kaum möglich. Weshalb alle drei Bezeichnungen oft synonym benutzt werden.
Für unsere Zwecke sollte genügen: Kassationen sind überwiegend heitere Werke von bis zu sieben selbständigen Sätzen ganz unterschiedlichen Charakters. Geschaffen vor allem zur leichten Abendunterhaltung unter freiem Himmel, meist im Stehen musiziert – deshalb teils auch stark mit Bläsern besetzt und zwecks Aufmarsch oder Einmarsch häufig mit einem Marsch beginnend.

Wer mag, kann das gut 20-minütige Werk auch als Begleitmusik für einen Umzug auffassen. Denn die intensiven rhythmischen Impulse hin zu tänzerischer oder schreitender Bewegung sind in allen sieben Teilen des munteren, vergnüglichen Stückes zwar ganz unterschiedlich, aber eindeutig ausgeprägt.

Beschlossen wird unser Konzert vom 24 Jahre älteren Mozart-Freund Joseph Haydn und dessen Sinfonie Nr. 46 in H-Dur.  Der Hinweis auf die Tonart sei unterstrichen, denn H-Dur wurde in historischer Zeit nur sehr selten benutzt. Grund: Da werden Töne verlangt, die auf vielen der damaligen Instrumente nur sehr schwer sauber hinzukriegen waren. Haydn vertraute offenbar auf die Fertigkeiten seiner Musiker am Hof der Esterhazy-Fürsten, wo er rund 30 Jahre als Hofmusikus in Diensten stand.

Dort komponierte er 1772 auch die Sinfonie Nr. 46, eine kraftvolle Arbeit, deren 1. Satz eine für jene Zeit bemerkenswerte Dramatik aufweist. Hinweisen möchte ich Sie auf eine Besonderheit im ohnehin ziemlich eigensinnigen Finale des Werkes. Diese Besonderheit dürfte Haydns Zeitgenossen noch erheblich mehr erstaunt haben als die seltsam abrupten Pausen im abschließenden vierten Satz der Sinfonie. Uns Heutigen aber würde sie ohne entsprechenden Fingerzeig wohl gar nicht auffallen: Haydn greift kurz vor Schluss noch einmal als Zitat das vorausgegangene Menuett auf. Dieses Verfahren verwendet erst 35 Jahre später wieder jemand: Nämlich Ludwig van Beethoven in seiner fünften Sinfonie.

Das war es von mir für diesmal. Zum Schluss der übliche Hinweis: Wer diesen Vortrag nochmal nachlesen möchte, kann das von Montagmittag an auf meiner Website im Internet tun. Geben Sie einfach meinen Namen in irgendeine Suchmaschine, man kennt mich da.

Nun wünsche ich viel Freude, aber auch Besinnung und Einkehr beim Konzert mit der Rheinischen Philharmonie sowie Wolfram Christ als Dirigent und Viola-Solist. Danke.          Andreas Pecht




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