Kritiken Theater
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2011-03-28b Schauspielkritik:

Brechts "Der gute Mensch von Sezuan" am Staatstheater Wiesbaden. Regie: Ricarda Beilharz

Shen Te im Siebenzwergeland


 
ape. Wiesbaden. Auf der Bühne Überreste irgendeiner weltvergessenen Örtlichkeit. Alte, rohe Bretter als desolates Rund um die fast leere Drehbühne. Eine Geisterstadt des Wilden Westens? Jedenfalls gab es da mal bessere Zeiten. Jetzt herrscht Verfall in der Kulisse, die sich Ricarda Beilharz für ihre Inszenierung von Bert Brechts Stück „Der gute Mensch von Sezuan“ im Kleinen Haus des Staatstheaters Wiesbaden hat bauen lassen.

 
Die Inszenierung entfernt sich weit vom ursprünglichen Ernst, mit dem die 1943 in Zürich herausgekommene Parabel ihr Thema einst beackerte: die Unmöglichkeit, unter den Bedingungen des Kapitalismus Barmherzigkeit zu leben. Nicht, dass die Regisseurin das Thema selbst ganz aufgeben würde. Aber der Abend schäumt denn doch nach heutiger Art so sehr von durchaus originellen Witz-Effekten bis hin zum Slapstick, dass die Auseinandersetzung mit dem Brecht‘schen Kerngedanken darüber deutlich ins Hintertreffen gerät.

Drei knuffige Götter strahlen als Zitat die morbide Dekadenz von 1920er-Saloniers aus. Wasserverkäufer Wang wird bei Michael von Burg zum famos verdrehten Entertainer. Der Flieger ist bei Jörg Zirnstein mehr Depp denn Lump, seine Mutter eine kreischige Knallcharge – und auch alle anderen scheinen geradewegs aus dem Siebenzwerge-Film von Otto und Co. oder aus dem „Schuh des Manitu“ entlaufen. Das ist handwerklich durchweg gut gemacht, schnell und sinnig geschnitten, knackig getimt und sauber auf Pointe gespielt. Kurzum: Unterhaltsame, vergnügliche zweieinhalb Theaterstunden.

Allerdings: Mit Brechts Absicht und Ästhetik hat das nicht mehr viel zu tun – auch wenn Ricarda Beilharz dessen Forderung nach Denaturalisierung des Bühnengeschehens und Unterhaltsamkeit des Theaters durchaus erfüllt; freilich auf eigensinnige Weise. Paul Dessaus Musik ist verschwunden, ersetzt durch Elektro-Pop. Das schmerzt richtig. Auch möchten eingefleischte Brechtianer Doreen Nixdorfs Ausformung der zentralen Doppelrolle womöglich entgegenhalten: „Glotz nicht so romantisch!“ Denn die Schauspielerin versucht hier – ganz unbrechtisch – eine stark emotionalisierte Rollenidentifikation.

Die von Nixdorf erspielte Zerrissenheit zwischen der barmherzig-guten Shen Te und ihrem kaltschnäuzig kapitalistischen Alter ego Shui Ta ist in ihrer menschlichen Intensität herzergreifend. So entstehen inmitten kurzweiliger Lachhaftigkeit dann doch immer wieder Momente berührender Tiefe. Weshalb die ganze Inszenierung schließlich auch ernsthaften Nachdenkens wert ist. Frage also: Bietet Ricarda Beilharz‘ Mixture aus Comedy und psychologisierendem Charakterdrama einen neuen, heutigen Zugang zu „Der gute Mensch von Sezuan“?

Der kräftige Premierenbeifall aus dem Parkett ist noch keine Antwort. Dafür bräuchte es eine klarere Entscheidung der Regisseurin, worauf sie eigentlich hinaus will und wie sie es letztlich mit der neuerlichen drängenden Notwendigkeit von Kapitalismuskritik hält. Bis dahin sehen wir mit dem Schlusswort von Wasserträger Wang „den Vorhang zu und alle Fragen offen“.
                                                                                       Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck 29. März 2011)

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