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2011-05-08 Schauspielkritik:

Theater Koblenz zeigt über einige Strecken feinsinnig inszenierten Horváth-Klassiker. Regie: Christian Schlüter

"Kasimir und Karoline"
verlieren sich an der Bar


 
ape. Koblenz. „Eine Ballade von stiller Trauer, gemildert durch Humor.“ So charakterisierte Ödön von Horváth sein Volksstück „Kasimir und Karoline“. 1932 uraufgeführt, spielt die Handlung im selben Jahr auf dem Münchner Oktoberfest. Am Theater Koblenz hat Regisseur Christian Schlüter das Geschehen jetzt in eine Bar sowie eine etwas unbestimmte Zeit zwischen damals und heute verlegt. Die Inszenierung bleibt der Charakterisierung durch den Autor treu – zumindest in der Hauptsache: Sehnsucht nach echter Lebenswärme inmitten falscher Unterhaltungsseligkeit.

 
Ausstatter Jürgen Höth hat ein Bartresen-Quadrat auf die Drehbühne gebaut. Mittendrin ein Maschinderl zum Bullenreiten und Runterfallen. An der Rampe markieren Sessel mit Sicherungsbügeln Kirmesumfeld. Die Musik von Dirk Raulf stützt dies atmosphärisch. Ein Ort des Vergnügens – wie auf der Wies‘n, so auch hier geprägt von der urdeutschen Leitkultur volksfestlichen Besaufens.

Nüchtern beginnt das Spiel. Nach und nach trudelt Volk in die Bar. Wieder ernüchtert endet es knapp zweieinhalb Stunden später: Karoline kriegt nach vergnügungssüchtigem Ausflug mit sozial höhergestellten Herren ihren arbeitslosen Verlobten Kasimir nicht wieder. Dazwischen spannt sich ein Bogen eskalierender Trunkenheit, fortschreitend die Verhärmung menschlicher Beziehungen offenlegend.

Im Vollrausch wird der Kommerzienrat (Reinhard Riecke) zum Schwein, das die abgefüllte Karoline abschleppt, der Gerichtspräsdent (Marcel Hoffmann) zur Sau, die zwei schickere Gören mit zehn Mark ins Eckchen lockt. Mit der Kontrolle über Hirn und Leib beim besoffenen Personal geht für eine Weile auch der Inszenierung die Balance verloren: Schwanken, Lallen, Kreischen, Brüllen ziehen sich hin. Das lässt sich durchaus als Realismus begründen, aber fürs Stück wäre etwas weniger vom Suff-Furioso mehr gewesen.

Doch es bleiben drei Viertel des Abends als berührender Hingucker. Der gescheiteste Kopf und das feinfühligste Herz werden hinter der dumpfen Schicksalsergebenheit des Kasimir deutlich. Daniel Wagner gibt in stoischer Schlichtheit den mit Sprache und Ausdruck ringenden Proleten. Der begreift traurig, dass seine Karoline sich nun anderen zuwendet, weil ein Mann „halt ohne Geld der letzte Hund“ sei.

Das empfindsamste Gemüt findet sich bei der Juanita von Raphaela Crossey. Auf dem Jahrmarkt wohlfeil als widernatürliche Monstrositäten-Sensation ausgestellt, stimmt die Frau leise Offenbachs Barkarole an – und im Parkett wie auf der Bühne wird es ganz still: Das melancholische Liebeslied aus dem Mund der Schwachsinnigen entfaltet eine Poesie, die alle für einen Moment die Leerstellen des eigenen Dasein fühlen lässt.

Man muss Kasimir und Juanita, der volkstümlichen Karoline (Katja Thiele), dem schüchternen Opportunisten Schürzinger (Jona Mues) und der von ihrem schreihalsigen Chauvi-Lover drangsalierten Erna (Dorothee Lochner) genau in die Gesichter sehen. Denn es ist das Wechselspiel der leisen Ausdrucksnuancen, das sich zum eigentlichen Wert der Inszenierung verdichtet. Der innerste Kern der Schauspielkunst spiegelt diesmal in Koblenz des gebotenen Stückes Fragestellung: Was machen soziale Verhältnisse aus Seelen? Ein Abend mit einigen großen, weil wunderbar kleinen Momenten.                                    Andreas Pecht

Infos: www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck 9. Januar 2011)

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