Kritiken Theater
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2011-05-12 Schauspielkritik:

Maxim Gorkis "Kinder der Sonne" in der Berliner Inszenierung von Stephan Kimmig

Mit so einer Elite
ist kein Staat zu machen
 
 
ape. Wiesbaden. Das Deutsche Theater Berlin war für zwei Abende bei den Maifestspielen Wiesbaden zu Gast. Im Koffer hatte es Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“ (1905), von Stephan Kimmig 2010 in konsequent heutiger Umarbeitung zur Premiere gebracht. Die Produktion wurde von der deutschen Kritik überwiegend als herausragendes Ereignis gefeiert. Enthusiastischer Beifall jetzt auch in Wiesbaden stützt dieses Urteil.

 
Es mag einem an der Kimmig-Version dies oder jenes nicht zusagen. So das Verschwinden von Gorkis Hintergrund einer kurz vor der sozial-politischen Explosion stehenden Gesellschaft. Damit geht jene Spannungsdimension fast verloren, die sich aus der davon ungerührten Selbstbespiegelung der großbürgerlichen Bagage im Hause Protassow ergibt. Aber steht Deutschland am Vorabend einer Revolution? Mitnichten, auch wenn manches in Bewegung sein mag.

Also konzentrieren sich die Berliner in ihrer Bearbeitung auf die Betrachtung eines heutigen Mittelschichtteils, wie er sich als quasi-intellektuelles Milieu etabliert hat. Diese Nahsicht – giftig, augenzwinkernd und ernst zugleich –  auf eine in eigenen Befindlichkeiten badende Lebensart verlangt nach filigraner Schauspielkunst, will sie nicht boulevardesk abstürzen. Und mit solcher Kunst wurde man hier reich beschenkt. Denn für „Kinder der Sonne“ sind Mimen der  Meisterklasse zusammengekommen, darunter Nina Hoss (Jelena), Katharina Schüttler (Lisa), Ulrich Matthes (Protassow), Alexander Khuon (Tschepurnoj), Sven Lehmann (Wagin).

Vorgeführt wird eine Gruppe von Menschen, die scheinbar freundlich, einfühlsam, fürsorglich miteinander umgehen und ein aufgeklärt-kritisches Verhältnis zur Welt haben. Doch in diesem Bild verdichten sich bald andere Wahrheiten: Das allfällige  Problematisieren, Psychologisieren und vermeintliche Eingehen aufeinander ist schwadronierende Leere. Tatsächlich interessiert sich jeder nur für sich selbst – mag auch in diesem Selbst bloß Ziellosigkeit, Depressivität oder überspannte Glücks- und  Erfolgssucht zu finden sein.

Die Bühne von Katja Haß steht als Labyrinth aus leeren Türrahmen für die komplexe Durchsichtigkeit der Moderne: Wie im Großraumbüro herrscht allseitige Offenheit, doch bleibt jeder mit sich alleine. Der Zuseher begegnet wieder und wieder Momenten aus dem eigenen Leben. Nun freilich durch die Darsteller in herrlich intensiver Beiläufigkeit zwischen Satire und ernst gemeinter Gefühligkeit ausbalanciert.

Protassow gerät aus dem gemütlichen Tritt, als Jelena ihn wegen seiner Liebloskeit verlassen will. Da jammert er, weil ihm nachher die Forscherarbeit nicht mehr richtig von der Hand gehen würde. Darauf jammert sie: Und was ist mit mir? Tschepurnoj erhängt sich, weil Lisa ihn nicht heiraten will. Worauf das Mädchen vollends in Weltschmerz ertrinkt. Künstler Wagin proklamiert die Freiheit der Kunst, kriegt aber kein Werk zustande. Das Hamsterrad dreht sich rasend, doch vom Fleck kommt keiner.

Gelegentlich rumpelt ein brutaler Hausmeister durchs Bürgerlabyrinth. Der prekäre Besuch aus der Außenwelt erinnert Protassow und Co. an ihre soziale Ader: Man müsste näher an die einfachen Menschen heran, sie „heraufziehen auf unser Niveau“. Den überheblichen Worten folgt –  nichts. Das letzte Wort freilich hat der Prolet: „Ihr werdet schon sehen.“ Womit Kimmigs wunderbar erspielte Gegenwartsinszenierung dann doch bei Gorki landet.                                                                          Andreas Pecht        

Infos über das weitere Programm der Maifestspiele:
>>www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck 13. Mai 2011)

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