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2011-05-28a Schauspielkritik:

Der „Monstretragödie“ geht beim heftigen Spiel die Handlung verloren. Regie: Markus Dietz 


Dreieinhalb Stunden wütet in Bonn Wedekinds „Lulu“


 
ape. Bonn/Bad Godesberg. Wer sexuelle Abgründe im Theater nicht erträgt, sollte Frank Wedekinds „Lulu“ meiden. Der Autor selbst untertitelte das 1892 bis 1913 in mehreren Fassungen entstandene Stück als „Monstretragödie“. Auf den Bühnen geht es dabei naturgemäß eher anstößig denn anständig zu. Markus Dietz hat jetzt an den Kammerspielen Godesberg des Theaters Bonn die Urfassung inszeniert: Dreieinhalb äußerlich drastisch gespielte, von Wut durchtränkte Stunden über Obsessionen und Verwundungen von Leibern wie Seelen.

 

Ist Lulu ein Monster – die lüsterne Kindfrau, die egozentrische Femme fatale, derentwegen Männer reihenweise Verstand und Leben verlieren? Sind die Männer Monster, die das Begehren Lulus und ihre Forderung, es ausleben zu dürfen, als Ermunterung missverstehen, die Frau zur Hure zu machen? In der Entstehungszeit des Stückes war das bloße Aufwerfen des Themas ein Skandalon, wurden Werk und Autor zensiert, verfolgt, verunglimpft. Die Bedingungen sind heute anders, die Beantwortung jener Fragen macht das nicht leichter.

Dietz versucht mit dem Eingangsbild eine Positionierung: Das Mädchen Lulu rennt mehrfach gegen eine Front von sechs Männern an, will sie durchbrechen, wird aber stets zurück- und niedergeworfen. Dies und alles Übrige spielt sich unter den Augen der Öffentlichkeit ab: Pausierende Mitspieler sehen von der Hinterbühne oder von der ersten Parkettreihe her zu; gelegentlich fahren halbtransparente Scheiben auf und verschließen Spielräume (Bühne: Mayke Hegger). Will sagen: Lulu ist Opfer, und was ihr geschieht, geschieht inmitten der Gesellschaft.

Eingangsszene und Bühne bleiben allerdings fast die einzig verständliche Stellungnahme des Regieteams. Daneben bietet noch das – bisweilen arg exaltierte – Wüten, das die Darsteller kaum je ablegen, einen Deutungsansatz: Männer wie Frauen  wüten gegen Schranken, die bürgerliche Lebensnorm ihnen auferlegt. Schranken, derer sie sich in der Konfrontation mit Lulu bewusst werden. Denn mit ihr zu leben, bedeutet, das bürgerliche Dasein zu verlieren; nicht mit ihr zu leben, bedeutet, in Ödnis zu vertrocknen.

Unter all dem heftigen, lautstarken, körperbetonten Zürnen und Toben werden allerdings Wedekinds Handlung und so manche Charakterzeichnung begraben. Wer das Stück nicht kennt, dürfte vieles kaum begreifen. Wer es kennt, hat dennoch Mühe, die Männer auseinanderzuhalten und die Logik des Stückes wiederzuerkennen.

Halt schafft dem Abend vor allem Anastasia Gubareva. Die junge Schauspielerin ist in der Titelrolle eine Art Naturereignis. Diese Lulu kommt nicht als Püppchen oder Vamp, nicht als Lolita oder Spicegirl daher. Vielmehr stellt sie eine heutige Zeitgenossin zwischen Mädchen und Frau dar, für die ihre Lust kein Gegenstand zum Grübeln ist, sondern selbstverständliches Lebenselixier. Für Wedekind war schmerzlich klar, dass ein solches Wesen im Umfeld seiner Zeit zugrunde gehen musste. Und wie ist das heute? Für diese Frage hat die Bonner Inszenierung vor lauter Wut und Blut, Sadomaso-Spiel, Phädophilie-Grauen und Splatter-Effekt leider keine Zeit.                                Andreas Pecht


Infos: www.theater-bonn.de


(Erstabdruck 30. Mai 2011)

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