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2011-06-10 Schauspielkritik:

Geschrei an der "Endstation Sehnsucht"

Staatstheater Mainz: Inszenierung von Christoph Mehler malträtiert Tennessee Williams' Klassiker

 
ape. Mainz. Zum Ende hin fallen die beiden Außenwände der nachtschwarzen, leeren Bühne mit Getöse um. Auf dass ja jeder begreife: Blanches Welt der Selbstlüge ist zusammengebrochen, die Frau hat den Verstand verloren. Doch nach den vorausgegangenen zwei Stunden im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters drängt sich eher der Gedanke auf: Erschlagen liegt nun hier der Klassiker „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Williams. Die letzte Schauspielpremiere muss leider als Tiefpunkt der auslaufenden Spielzeit in Mainz verbucht werden.


Regisseur Christoph Mehler malträtiert das Williams-Drama von 1947 mit ähnlichen Mitteln wie sie soeben in Bonn Markus Dietz gegen Wedekinds „Lulu“ zum Einsatz brachte. Die Handlung wird zur schieren Beiläufigkeit zerstückt. Charaktere werden nicht aus dem Geschehen entwickelt, sondern einfach als Behauptung hingestellt. Statt Atmosphäre zu erspielen, unternimmt die Regie wieder und wieder den Versuch, sie mittels Stimmungsmusik und anderen Äußerlichkeiten herzustellen. Und schließlich wuchert auch hier wieder das große Missverständnis, Geschrei sei die höchste und einzige Form, Wut, zwischenmenschliche Kontroverse oder menschliche Verzweiflung auszudrücken.

Um‘s kurz zu machen: Weil Mehlers Inszenierung tobsüchtig ist, bleiben die meisten der sinnigen und sinnlichen Ambivalenzen des grandiosen Stückes auf der Strecke. Wo etwa ist es hin, das faszinierende Wechselspiel aus sozialer Abneigung und erotischer Anziehung zwischen dem saftigen Proleten Stanley und der gezierten Blanche? Anfangs fällt sie ihm mal wie zufällig um den Hals, später vergewaltigt er sie. Dazwischen fast bloß Gekeife und Gebrüll; allweil offener Krieg, nirgends untergründige Lockung – dem Drama „Endstation Sehnsucht“ zerbröselt so eine seiner zentrale Säulen.

Eigentlich wäre Verena Bukal eine Idealbesetzung für die Rolle der Blanche. Mit großen staunenden  Augen und tastend-ängstlichem Gestus im Niemandsland zwischen Realität und Fantasie umherirren, das liegt ihr. Die Klaviatur von Zerbrechlichkeit und Verletzbarkeit weiß sie seit Jahren zu spielen wie sonst kaum jemand im Mainzer Ensemble. Als Blanche liefert sie an diesem Abend die stärkste Leistung ab. Dennoch muss sie weit unter ihren Möglichkeiten bleiben,  weil die Inszenierung überhaupt nur in drei Szenen fein ziseliertes Seelenspiel zulässt: Bei den Begegnungen Blanches mit Stanleys Kumpan Mitch, dem in diesen Momenten Lorenz Klee die schöne Färbung eines schüchternen, liebesbedürftigen erwachsenen Buben mitgibt.

Solche Augenblicke gehen freilich rasch wieder verschütt unter dem Grundgestus der Inszenierung: Manieriertem Krawall, der vorgibt, die aus dem gehobenen Bürgertum abgestürzte Blanche sei im Prekaritasmilieu unserer Tage aufgeschlagen. Für die Milieuzeichnung greift Mehler tief in die Kiste plakativer Vorurteile und stellt ein arge Bande auf die Bühne: dumm wie Brot, versoffen, brüllaffig, brutal, ordinär. Man könnte fast meinen, manchem Theatermacher fiele bloß noch das Primitivpersonal von RTL2-Konfrontationsshows ein, wenn er an die Unterschicht denkt. Arrogante Weltfremdheit, das! Und vom Personaltableau des Tennessee Williams himmelweit entfernt.

Gefragt, warum er Blanche so schlecht behandle, lässt Lukas Piloty seinen Stanley in einer Schrei-Orgie dutzendfach auskotzen: Weil sie ihn zum Affen mache. Falsch, ganz falsch. In Mainz macht Piloty sich und seine Figur höchstselbst zum Affen – wenn er zwischen oberflächlicher Tobsucht auch noch den Slapstick-Komiker gibt und endlos die Tücken von Stehleiter und rutschnassem Fußboden aushampelt.                    Andreas Pecht 


Infos: www.staatstheater-mainz.com

(Erstabdruck 3. Januar 2011)

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