Thema Politik
Thema Gesellschaft
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2011-06-20 Analyse:

Am Atomausstieg führt kein Weg mehr vorbei

 

Regierung muss, Oppositon will und die Anti-AKW-Bewegung macht Dampf
 
ape. Viele Kommentatoren wiederholen dieser Tage fast gebetsmühlenartig die These, der schwarz-gelbe Atomausstieg bringe die Grünen in die Bredouille. Die Ökopartei würde vom langjährigen Hauptgegner auf ihrem ureigenen Feld ausgestochen. Weil der Bevölkerung eine Ablehnung des Merkel‘schen Ausstiegsgesetzes im Bundestag nicht vermittelbar wäre, müssten die Grünen zustimmen. Dies wiederum führe zum Konflikt mit der Anti-AKW-Bewegung, die Merkels Ausstiegsszenario für hakbherzig oder gar für Etikettenschwindel hält.
                                      

Stimmt alles, irgendwie. Mit ihrem althergebrachten Blickwinkel, der Politik letztlich auf parteipolitisches Ringen um Wähler reduziert, verkennt diese Einschätzung allerdings das Wesentliche der Lage. Ob der anstehende Sonderparteitag der Grünen deren  Bundestagsfraktion freie Bahn gibt, dem schwarz-gelben Gesetzespaket ganz, teilweise oder gar nicht zuzustimmen, ist für die Sache selbst – den Atomausstieg – eher von nachrangiger Bedeutung. Genauso verhält es sich mit der Frage, ob die Regierung von ihrer Atom-Wende ehrlich überzeugt ist oder nur so tut.

Entscheidend ist: Die Regierung kann gar nicht anders, als in Richtung Atomausstieg zu marschieren. Und der Opposition fällt die Aufgabe zu, ihr dabei Beine zu machen. Denn die politische Messlatte liegt bei der Marke „schnellstmöglicher Atomausstieg“. Wer hat sie dort aufgelegt? Das deutsche Volk selbst. Seit Jahren pendelt die öffentliche Meinung zwischen mal einfacher, mal satter Mehrheit gegen Atomkraft. Zugleich spielten die AKW-Befürworter auf Zeit, hofften, die Akzeptanz für Atomkraft werde wieder größer. Manch einer träumte klammheimlich, irgendwann sei vielleicht sogar der Wiedereinstieg in eine atomare Zukunft durchsetzbar.

Wer Kernkraftwerke für eine effiziente, beherrschbare Technologie mit vertretbarem Restrisiko hält, der verfällt zwangsläufig auf solche Hoffnungen. Denen liegt der Irrtum zugrunde, es handle sich bei der deutschen Atom-Skepsis bloß um „German Angst“, eine Art vorübergehender Geistesverwirrung. Tatsächlich aber gibt es kaum ein anderes Land, in dem so viele Menschen so viel wissen und so viel nachgedacht haben über Funktion, Folgen und Risiken von Atomkraftwerken. 40 Jahre Anti-AKW-Bewegung waren auch 40 Jahre Aufklärung – mit nachhaltiger Wirkung für das Denken in der Republik.       

Mit Fukushima sind deshalb hierzulande auch die letzten Träume vom segensreichen Atomzeitalter zerstoben. Angela Merkel hat gleich nach der Katastrophe begriffen, dass nun auf Jahrzehnte hinaus keinerlei Hoffnung mehr besteht, den gegen AKW-Technik gerichteten Mehrheitstrend in Deutschland nochmal umzukehren. Weil aber in der Demokratie dauerhaft niemand gegen die Mehrheitsmeinung in einer so zentralen Frage regieren kann, blieb der Kanzlerin nur ein Kurswechsel in der Atomfrage. Die Alternative hieße: Schwarz-Gelb manövriert sich ins politische Aus.

Diese Möglichkeit besteht noch immer. Denn die Öffentlichkeit ahnt/weiß, dass der Kurswechsel  weniger von innerer Überzeugung in der Sache, sondern mehr von wahlstrategischem Opportunismus rührt. Für den Atomausstieg jedoch ist es von sekundärer Bedeutung, ob die Regierung zum Jagen getragen wird oder sich freiwillig bewegt: Hauptsache sie schießt. Für die jetzige Lage in Deutschland ist zentral: Wer sich nicht glaubhaft um „schnellstmöglichen Atomausstieg“ und  zügige Energiewende bemüht, der würde politisch ins Abseits geraten. Dies erreicht zu haben, ist das wichtigste Verdienst jahrzehntelangen Bürgerengagements gegen AKWs.

Für die Entwicklung in den nächsten Jahren dürfte es eher unerheblich sein, ob jetzt der letzte Ausstiegsschritt auf 2017 oder 2022 datiert wird. Sofern nur seine Umumkehrbarkeit zweifelsfrei feststeht, werden die politischen, technischen und infrastrukturellen Entwicklungen alsbald eine ganz eigene Dynamik entfalten. Mag sein, dass selbst die Energiekonzerne das Interesse an ihren Meilern verlieren, wenn sie sich erst auf alternativen Feldern wirtschaftlich besser aufgestellt sehen. Wahrscheinlicher noch ist, dass der öffentliche Druck zu vorfristigen Abschaltungen weiter zunimmt, sobald greifbar wird, dass wir den Atomstrom nicht mehr brauchen.

Und was ist mit der aktuellen Bredouille der Grünen? Sie müssen die Spannung zwischen ihren parlamentarischen Möglichkeiten und dem sie permanent antreibenden Druck der außerparlamentarischen Bewegungen und der Öffentlichkeit aushalten. Allerdings ist das für die grüne Partei seit jeher Normalzustand. Die anderen Parteien hingegen, die müssen erst lernen, mit dem Phänomen umzugehen, dass Basis und Bürger sich neuerdings aktiv in ihre Angelegenheiten einmischen. Für das Thema Atomausstieg bedeutet das: Grüne und SPD kriegen Druck „von unten“, beschleunigend auf den Ausstieg zu wirken; derweil stehen die Regierungsparteien unter misstrauischer Beobachtung, ob sie mit dem Ausstieg ernst machen oder nur herumtricksen. Demokratie in bester Verfassung.                      Andreas Pecht      


(Erstabdruck Woche 25 im Juni 2011)

---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------

 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken