Thema Wissenschaft / Bildung
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2011-07-25 Reihe "Wissen":

Folge 11
 

Ursprünge der abendländischen Musik

 
ana/ape. Schon in der Steinzeit machten die Menschen Musik. Doch eine systematische  Musikpraxis entwickelte sich erst in  Altertum und Antike. Dort liegen die Wurzeln unserer Musikkultur.


Musik ist nicht alles, aber ohne Musik ist alles nichts. Dieser Sinnspruch verdeutlicht einmal mehr die enorme Bedeutung „der schönsten Nebensachen“ der Welt für unser Dasein. Arbeit, Essen, Wohnung sind Basis des menschlichen Lebens, aber lebenswert wird es erst durch einige andere Zutaten. Eine der wichtigsten ist die Musik. Können wir uns ein halbwegs befriedigendes Leben ohne sie vorstellen? Schwerlich. Und unseren frühen Vorfahren ging es da offenbar ebenso.

Die Wissenschaft belegt für Mesopotamien die Existenz zahlreicher Musikinstrumente bereits im dritten und vierten Jahrtausend vor Christus. Überliefert sind Trompeten, Harfen, Leiern, Flöten, Doppeloboen. Dazu kommt ein ganzes Sortiment einfacher Schlaginstrumente, darunter Rasseln, Klapperhölzer, Trommeln, Bronzeglocken, ja selbst metallene Kesselpauken. Streichinstrumente allerdings waren dem gesamten Altertum unbekannt. Man darf davon ausgehen, dass es auch damals schon Berufsmusiker gab, die bei religiösen Ritualen, herrschaftlichen Festivitäten, bei Tanz und Wettkämpfen oder zum Kriegszug aufspielten.

Aus dieser langen Epoche sind leider nur etwa 40 musikalische Fragmente bekannt. Dennoch wissen wir das eine oder andere gerade über die Musik der Antike. Aus philosophischen Schriften etwa von Platon und Aristoteles geht hervor, dass die alten Griechen Musik nutzten, um die Ausdruckskraft von Worten zu steigern. So wurden wohl nicht unerhebliche Teile der griechischen Bühnendramen auch gesungen. Allerdings war die Musik dabei kein Zweck an sich, sondern stets eng an die Dichtung gebunden.

Dennoch darf die griechische Antike als Geburtsstätte des heutigen abendländischen Tonsystems gelten. Zwar herrschte auch dort anfangs die in den meisten frühen Kulturen beheimatete Pentatonik vor. Diese Fünfton-Musik ohne Halbtonschritte war die global am meisten verbreitete Musikform und prägt bis in die Gegenwart die traditionelle Klangfolklore in zahlreichen Weltgegenden. Im Gegensatz dazu entwickelte sich im antiken Griechenland Zug um Zug ein System von sieben Tönen inklusive Halbtobschritten, aus dem sich unterschiedliche Tonarten ableiten ließen.

Dieser Sonderweg der frühen Musikentwicklung fußt auf dem mathematisch-physikalischen Erkenntnisdrang der Hellenen auch im Bereich der Klangphänomene. Und noch eines kommt hinzu: Die Überzeugung der griechischen Denker, dass Musik ein Ausdruck menschlichen Charakters ist und diesen zugleich beeinflusst. Wie ließ Platon den Sokrates sagen: „Nun, so ist gute Dichtung, gute Melodie, gutes Betragen, guter Rhythmus eine Folge der gutartigen Seelenverfassung.“ Gemäß der griechischen Ethos-Lehre ist Musik kein reines Genussmittel, kein ästhetischer Selbstzweck. Musik galt den Griechen als Mittel der Erziehung und war auch ein Mittel der Staatsführung. Es sollten Jahrhunderte vergehen, bis sich die Musik von klerikaler, staatlicher und moralphilosophischer Zwecksetzung emanzipieren konnte und autonome Kunst wurde.

Eines der ältesten erhaltenen Musikstücke ist die Ode aus einem Drama des griechischen Dichters Euripides. Sie ist etwa 408 v. Chr. entstanden. Das Papyrus, auf dem die Komposition notiert war, ist unvollständig erhalten. Nur 42 Noten haben die Zeit überdauert, viele fehlen.  Wobei die griechische Notation völlig anders aussah als die heutige Notenschrift: Sie kannte keine Notenlinien und bestand aus Buchstaben.  Aber die wesentlichen Eigenschaften der frühen griechischen Musik werden dennoch deutlich: Stimmen und Instrumente singen und spielen die gleichen Töne zur gleichen Zeit; es gibt keine mehrstimmigen Harmonien und keine eigenständige Begleitung; die entscheidende Rolle kommt den Worten zu, die Musik unterstützt atmosphärisch ihre Bedeutung.

Das älteste vollständig überlieferte Musikstück aus dem europäischen Kulturkreis ist das Seikilos Lied - ein Trinklied, das auf einer Grabsäule in Kleinasien gefunden wurde, die ins zweite vorchristliche bis erste nachchristliche Jahrhundert datiert wird. Der Text fordert zum Genuss des Lebens auf und lautet: Solange du lebst, tritt auch in Erscheinung. / Traure über nichts zu viel. / Eine kurze Zeit bleibt zum Leben. / Das Ende bringt die Zeit von selbst.

Während das römische Imperium im 6. Jahrhundert nach Christus zusehends verfiel, stiegen Ansehen und Macht des Bischofs von Rom stetig. Schließlich wurde der Papst die vorherrschende Autorität in Fragen des Glaubens und der Kultur, übernahm die Kirche immer mehr auch weltliche Aufgaben. Die römischen Staatsorgane befanden sich in Auflösung, da blieb die Kirche als letzte Bastion gegen das Chaos und einzige Bewahrerin von Kultur und Bildung. Sie wurde somit zu einem wesentlichen stabilisierenden Faktor im Europa des Frühmittelalters.

Um 600 n. Chr. hörte das römische Reiche quasi auf zu existieren und für die folgenden 800 Jahre spielten Gott, Kirche und das Verhältnis des Menschen zu Gott und der Kirche die entscheidende Rolle in Philosophie, Bildung und Kunst in ganz West- und Mitteleuropa. Damit änderte sich auch die Funktion der Musik. Für die frühmittelalterliche Kirche war es notwendig, sich vom antiken Erbe wie von den heidnischen Bräuchen abzugrenzen, die nicht nur im germanischem Raum noch weit verbreitet waren. Es setzen sich im Selbstverständnis der Kirche für den Bereich Musik drei Maximen durch: Erstens ist Musik ist nur dann nützlich, wenn sie an die göttliche Schönheit erinnert. Zweitens hat Musik der Religion zu dienen, den christlichen Glauben zu lehren; reine Instrumentalmusik kann dies nicht und ist daher abgelehnt werden. Drittens wird Musik zum Zwecke des Tanzens und Vergnügens abgelehnt, denn dies sei heidnisch.

Die damaligen Bewahrer der Kultur – Mönche, Nonnen und andere Geistliche – verbrachten viel Zeit im Gebet. Die Rolle der Musik in der frühen Kirche war einerseits, eine besinnliche Stimmung zur Unterstützung der langen Gebetsstunden (viele Gebete wurden gesungen), andererseits die Messen feierlich und würdig zu gestalten. Die Gesänge jener Zeit waren einfache, schmucklose Melodien, die nicht instrumentell begleitet wurden. Um das 11. Jahrhundert vollzog sich dann ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel in Europa. Neue Produktionsmethoden in der Landwirtschaft sorgten für anhaltendes Bevölkerungswachstum. Es entstanden rasch wachsende Städte; Handwerk, Handel und Geldwirtschaft weiteten sich sprunghaft aus. Die Stadt wurde zum kooperativen Unternehmen, und ihrer Bewohner spezialisierten sich in zunehmendem Maße. 

In diesem Umfeld entstand auch die neue Berufsgruppe der Musiker im Dienste der Kirche. Das hatte bald gravierende Entwicklungen für die Musik selbst zur Folge. Zwei und mehrstimmige Gesänge tauchten auf, mehrere Melodien gleichzeitig gesungen und instrumental begleitet. Während man zuvor nach groben schriftlichen Vorgaben improvisiert hatte, brauchte es für die neue Musik eine präzisere Schrift. Der Vorläufer unserer Notenschrift entstand – und damit die Möglichkeit des systematischen Komponierens komplexer Musik, nebst der Weitergabe der notierten Werke an Musiker andernorts und nachfolgende Generationen. Damit war der Weg bereitet für die klassische europäische Musikkultur.


Zusatzinfos

Der Grieche Pythagoras war lange nach seinem Tod bei den Römern hochverehrt als "Erfinder der Musik". Sie pflegten die Legende, der Denker habe in einer Schmiede herausgefunden, dass Hämmer beim Schlagen sehr schön zusammenklingen, wenn ihre Gewichte in bestimmten ganzzahligen Verhältnissen zueinander stehen. Die physikalischen Angaben aus der Legende gelten heute als falsch. Den Ruhm des Pythagoras schmälert das kaum: Er hat zwar die Musik nicht erfunden, aber doch die systematische Musiktheorie begründet.

Der gregorianische Choral, entstanden im siebten Jahrhundert, gilt als die älteste bis heute erhaltene und praktizierte musikalische Leistung des Christentums. Zugleich aber basiert der einstimmige Gesang unüberhörbar auf griechisch-antikem Erbe, schöpft er seinen Tonvorrat doch aus den Kirchentonarten, die wiederum aus dem Tonsystem der Hellenen übernommen wurden. Neben der lateinischen Sprache und dem Ritus war der gregorianische Choral ein zentrales Merkmal der christlichen Kirchenliturgie. Seine Texte bestehen überwiegend aus Bibelpsalmen. Das gesungene Lob Gottes wurde vielfach als intensivste Form der Gläubigkeit angesehen.


Lesen Sie in Folge 12:
Die Welt wird aus den Angeln gehoben

                                              ***  

Impressum: Der obige Text entstand auf Basis eines Vortrages, den Bastian Klein im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck besorgten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. 

Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem

Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e.V.,

Tel. 02661/6702, email: mail@marienberger-seminare.de.

Weitere Infos: >> www.marienberger-akademie.de

Die Reihe „Wissen – Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte“ ist eine Kooperation zwischen Rhein-Zeitung und Marienberger Seminbare e.V., sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz.


(Erstabdruck 16. Juli 2011)

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Bisher erschienene Folgen:


2011-04-02 Prolog/Einführung:
Eine Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte

2011-04-02a Folge 1: Mensch zwischen Natur und Kultur

2011-04-23 Folge 2: Die Menschen werden sesshaft

2011-04-30 Folge 3: Ein etwas anderer Blick auf Familie

2011-05-07 Folge 4: Abschied vom magischen Zeitalter

2011-05-14 Folge 5: Die Wurzeln des Abendlandes

2011-05-21 Folge 6: Wie die Demokratie nach Europa kam

2011-05-28 Folge 7: Rom und die Grenzen des Wachstums

2011-06-25 Folge 8: Wie das Denken sich selbst entdeckte

2011-07-02 Folge 9: Die Vordenker aus Griechenland

2011-07-09 Folge 10: Vorhang auf für das antike Theater

 
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