Thema Wissenschaft / Bildung
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2011-07-30a: Reihe "Wissen"

Folge 12
 

Die Welt wird aus den Angeln gehoben

 
ana/ape. Philosophen entschlüsseln Naturphänomene, Mathematiker errechnen den Lauf der Planeten, Ingenieure bauen erste Flaschenzüge. Die Antike lässt das mythische Weltverständnis hinter sich, nimmt ihr Schicksal selbst in die Hand. Auf ihren Erkenntnissen beruht die moderne Naturwissenschaft.


Die Menschen der Antike müssen am 28. Mai 585 vor Christus zu Tode erschreckt gewesen sein. Denn an diesem Tag verschwand die Sonne vom Himmel. Eben noch stand sie strahlend am Firmament. Doch von einem Augenblick zum anderen verdunkelte sich der Horizont. Das ist der Zorn der Götter, glaubten viele. Einer aber wusste es besser: der Grieche Thales von Milet. Denn der Astronom hatte die Sonnenfinsternis – um nichts anderes handelte es sich bei der Himmelserscheinung– exakt vorausberechnet. Und damit eindrucksvoll bewiesen, wozu Naturwissenschaften bereits in der Antike in der Lage waren.

Verfolgt man die Spuren des wissenschaftlichen Denken bis in an ihre Anfänge zurück, gelangt man etwa in das Jahr 600 vor Christus Um diese Zeit begannen einige Philosophen im vorklassischen Griechenland, sich rational mit der Natur zu befassen. Sie versuchten, bestimmte natürliche Erscheinungen als Wirkungen vorausgegangener Phänomene zu verstehen. Damit hoben sie die bis dahin gültigen mythischen Erklärungen für die Wirkungsweise der Natur auf. Zu den Ersten, die mithilfe der Wissenschaft den Glauben an die unmittelbare Verursachung von Naturphänomenen durch göttlichen Willen außer Kraft setzen, gehörte Thales aus der Hafenstadt Milet, dem bedeutendsten Seehandelszentrum des antiken Griechenland.

Thales, der wohl zur aristokratischen Oberschicht seiner Heimatstadt gehörte, galt schon dem Altertum als erster der „sieben Weisen“. Bis heute wird er als Genie der Mathematik und der Astronomie angesehen. Er verblüffte seine Zeitgenossen mit mutigem Denken erstaunlichen Erkenntnissen. So stammt von ihm unter anderem die erste Erdbebentheorie der Menschheitsgeschichte. Mit ihr legte Thales göttliche Ursachen als Grund für Erdstöße zu den Akten. Zuvor hatte man angenommen, Poseidon, der Meeresgott in der griechischen Mythologie, sei der Verursacher der Beben. Hier erneuert sich, wovon bereits in Folge 8 („Die Vorsokratiker“) die Rede war: Wo früher der Mythos die Welt erklärte, wendet sich der antike Geist der Welt mit dem Verstand zu.
 
Philosophie und Naturwissenschaft sind in der Antike eng miteinander verzahnt. Die Philosophie fragt nach dem Wie und dem Warum. Sie grübelt und diskutiert, sie sucht Erkenntnis. Die Naturwissenschaft schafft aus dieser Erkenntnis Lösungsansätze. So ist es beispielsweise der Naturphilosoph Demokrit, der um 400 vor Christus die erste Theorie der Materie aufstellt. Er nimmt an, dass Gegenstände aus sehr kleinen, „unzerschneidbaren Teilchen“ bestehen. Das griechische Wort für solche Teilchen lautet: atom. Demokrit nutzt damit erstmals einen Begriff, dem eine jahrtausendelange, bis in die Gegenwart dauernde Karriere bevorstehen sollte: Vom Atom sprechen wir in der Physik und in der Chemie noch immer, wenn auch in einer etwas anderen Bedeutung.

Parallel zur Naturwissenschaft beginnt die Entwicklung der Mathematik. Thales von Milet und – ein halbes Jahrhundert nach ihm – Pythagoras von der Insel Samos stellen eine Reihe geometrischer Grundsätze auf. Mit ihrer Hilfe lassen sich etwa Gebäude konstruieren und Wege anlegen. Diese Grundsätze zur Berechnungen von Flächeninhalten und rechten Winkeln kennen wir heute als „Satz des Thales“ und „Satz des Pythagoras“. Sie sind so einfach wie elementar und allzeit gültig, dass sie bis in die Gegenwart an den Schulen gelehrt werden. Rasant entwickeln sich Arithmetik und Geometrie. Um 300 vor Christus verfasst ein gewisser Euklid von Alexandria das erste Mathematik-Lehrbuch der Welt. Sein Titel: „Die Elemente“. In diesem Werk sind alle mathematischen Erkenntnisse jener Zeit zusammengefasst. Euklids großer Verdienst ist es, diese Erkenntnisse didaktisch aufbereitet zu haben. Von da an können auch andere die Axiome und Postulate der frühen Mathematiker nachvollziehen. Von Alexandria aus, einer Art naturwissenschaftlichen Hochburg der Antike, verbreitet sich das Buch sehr rasch über die damals bekannte Welt. „Die Elemente“wird zum einflussreichsten Mathematikbuch der Wissenschaftsgeschichte und noch bis ins 20. Jahrhundert als Lehrwerk genutzt.

Die erfolgreiche Verbindung von Wissenschaft und Technik beginnt im 3. Jahrhundert vot Christus mit Archimedes, dem Mathematiker und Ingenieur. Als einer der Ersten erkennt der Sohn eines Astronomen, dass sich physikalische Phänomene nicht nur ohne Annahme göttlichen Einflusses erklärbar sind, sondern sich auch in Regeln fassen lassen. Aus Syrakus kommt Archimedes, und dieser Stadt hält er ein Leben lang die Treue. Für die aufstrebende Handelsstadt ist das ein Glücksfall, nicht nur, weil sie von Innovationen wie dem Flaschenzug wirtschaftlich erheblich profitiert. Dank Archimedes und seiner Erfindungen kann sich die Stadt auch jahrelang der Eroberung durch die Römer widersetzen.

Ein Meilenstein der Technikgeschichte sind die Hebelgesetze, die Archimedes aufstellt. Der Syrakuser erklärt, dass sich mittels eines Hebels auch sehr schwere Dinge bewegen lassen. Dafür brauche es nur eine stabile Stange und eine feste Stelle als Drehpunkt. „Gebt mir einen festen Punkt und ich werde euch die Welt aus den Angeln heben“, soll er einmal ausgerufen haben. An Selbstbewusstsein mangelte es ihm offenbar keineswegs.
 
Das Hebel-Prinzip setzt Archimedes auch ein, als sich seine Heimatstadt Syrakus im Zweiten Punischen Krieg 214 vor Christus gegen den Angriff der Römer zur Wehr setzen muss. Er lässt Spezialkräne bauen, mit denen die feindlichen Schiffe an Haken aus dem Wasser gezogen werden, um sie dann an einem Felsen zu zerschmettern. Gewaltige Flaschenzüge sind dafür vonnöten. Sie hätten die gegnerische Flotte gleich Spielzeugschiffen aus dem Wasser gehoben, berichten antike Schriftsteller anschließend in wohl auch kräftiger Überzeichnung von den Kämpfen.

Erst 212 vor Christus gelang es den Römern, die Stadt an der Ostküste des heutigen Siziliens einzunehmen. Dabei kam der Überlieferung nach auch Archimedes ums Leben. Während römische Soldaten die Stadt plünderten, soll der 75-Jährige wie üblich geometrische Berechnungen in den Staub der Straße geschrieben haben. Als ein Soldat hinzutrat, herrschte Archimedes ihn an: „Störe meine Kreise nicht!“. Von solch selbstbewusster Widerspenstigkeit in Rage gebracht, erschlug der Eroberer den greisen Denker.
Es war ein tragischer Tod, der nach Bekanntwerden auch unter den gebildeten Römern Bestürzung ausgelöst haben muss. Denn der Ruhm des Archimedes hatte sich längst bis nach Rom verbreitet, wo man ihn für seine wissenschaftlichen Leistungen verehrte und bewunderte. Im römischen Imperium galt Archimedes als das mathematische Genie schlechthin. Heute stellt die Fachwelt ihn mit einem Isaac Newton auf die gleiche Stufe.


Zusatzinfos

Die nackte Freude Archimedes jubelt: Es gibt viele Orte, an denen sich Entdeckungen machen lassen. Einer davon ist die Badewanne. Genau darin soll Archimedes von Syrakus das Gesetz des Auftriebs erkannt haben. Den grundsätzlichen Effekt kennt jeder: Leichte Körper treiben im Wasser oder in der Luft nach oben. Archimedes erkannte: Dabei wird genauso viel an Volumen verdrängt, wie das auftreibende Objekt selbst hat, und die Auftriebskraft entspricht der Gewichtskraft. Vor lauter Freude über seine Erkenntnis soll Archimedes nackt durch die Straßen seiner Heimatstadt Syrakus gelaufen sein. Seine Rufe der Begeisterung sind ebenfalls überliefert: "Heureka!", rief der Grieche, "ich hab's!"

Pure Mathematik: a^2 + b^2 = c^2 Das ist der wohl berühmteste Satz der Mathematik. Mit dieser puristischen Formel lassen sich rechtwinklige Dreiecke und deren Flächeninhalte errechnen. Sie ist bis heute gültig und wird Schülern als "Satz des Pythagoras" vorgestellt. Aber: Stammt diese Formel wirklich aus der Schule des antiken Denkers? Darüber streiten sich die Historiker. Der Grund: Wie bei allen vorsokratischen Denkern, so gibt es auch über Pythagoras wenig verlässliche Quellen. Weitgehend einig ist man sich aber mittlerweile, dass die berühmte Formel den Babyloniern bereits lange Zeit vor Pythagoras bekannt war. Möglich ist, dass es Pythagoras war, der den Beweis dafür fand.


Lesen Sie Folge 13:
∇  Die Baumeister der alten Welt - Antike Architektur

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Impressum: Der obige Haupttext entstand auf Basis eines Vortrages, den Stephan von den Benken im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck besorgten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. 

Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem

Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e.V.,

Tel. 02661/6702, email: mail@marienberger-seminare.de.

Weitere Infos: >> www.marienberger-akademie.de

Die Reihe „Wissen – Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte“ ist eine Kooperation zwischen Rhein-Zeitung und Marienberger Seminbare e.V., sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz.


(Erstabdruck 30. Juli 2011)

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Bisher erschienene Folgen:


2011-04-02 Prolog/Einführung:
Eine Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte

2011-04-02a Folge 1: Mensch zwischen Natur und Kultur

2011-04-23 Folge 2: Die Menschen werden sesshaft

2011-04-30 Folge 3: Ein etwas anderer Blick auf Familie

2011-05-07 Folge 4: Abschied vom magischen Zeitalter

2011-05-14 Folge 5: Die Wurzeln des Abendlandes

2011-05-21 Folge 6: Wie die Demokratie nach Europa kam

2011-05-28 Folge 7: Rom und die Grenzen des Wachstums

2011-06-25 Folge 8: Wie das Denken sich selbst entdeckte

2011-07-02 Folge 9: Die Vordenker aus Griechenland

2011-07-09 Folge 10: Vorhang auf für das antike Theater

2011-07-25 Folge 11: Ursprünge der abendländischen Musik




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