Thema Wissenschaft / Bildung
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2011-08-07 Reihe "Wissen":

Folge 13
 

Die Baumeister der alten Welt
 
 
ana/ape. Der menschliche Körper war für die Griechen und Römer das Maß der Dinge – auch in der Architektur. Seine Proportionen bestimmten den Bauplan von Tempeln und Theatern, Wasserleitungen und Wohnhäuser. Mit ihrem Verständnis für Harmonie und Wirkung schuf die Antike ein Architekturverständnis, das uns noch heute vertraut ist.


„Wäre den Griechen einst das Neue so verhasst gewesen wie uns, was gäbe es denn heute Altbewährtes? Und was hätte man in der Hand, um es sich immer wieder vorzunehmen?“ Die Bemerkung des Horaz reicht über ihre ursprüngliche Bedeutung hinaus. Denn der römische Dichter wetterte mit diesen Sätzen gegen das Vergessen der griechischen Literatur. Doch seine Frage nach der Wertschätzung des  „Altbewährten“ ist niemals außer Mode gekommen. Ein Blick auf die heutige Architektur würde Horaz erfreuen: Die Antike ist nicht vergessen. Im Gegenteil. Die Baustile der Hellenen und Römer sind quicklebendig.

Von der Karolingerzeit bis zum Klassizismus und damit weit hinein ins 19. Jahrhundert: Was in der Antike an Formenreichtum entstanden ist, wurde immer wieder aufgegriffen. Die Motive dafür sind unterschiedlich. Der Karolinger Karl der Große etwa sah sich in der Nachfolge der römischen Caesaren und verlangte nach entsprechendem Dekor. Weshalb er in seiner Aachener Krönungskapelle antike Säulen verbauen ließ. Eine regelrechte Antiken-Euphorie entwickelte der Klassizismus im 18. und 19. Jahrhundert. Begeistert kopierten seine Baumeister die marmornen Überreste der Altvorderen in Italien und Griechenland. Eine beliebte Vorlage war der Parthenon-Tempel über Athen. Das Brandenburger Tor in Berlin oder die Walhalla bei Regensburg: Sie sind Huldigungen an die Akropolis.

Was uns bis heute an der antiken Architektur fasziniert, ist ihr Sinn für Proportionen und Harmonie. Und dank der Hinterlassenschaft eines Mannes namens Marcus Vitruvius Pollio wissen wir auch um ihre Geheimnisse. Vitruv – so sein Name in Kurzform – war römischer Architekt und lebte im 1. Jahrhundert vor Christus. Unter Caesar und Augustus hatte er in Rom als Ingenieur gearbeitet und das Wassernetz ausgebaut. Im Ruhestand verlegte sich der Mann aufs Schreiben. Und verfasste die „Zehn Bücher über Architektur“ – das einzige erhaltene Werk über die Bauweise der Antike. Darin beschreibt der Römer, wie Baukörper in Form, Größe und Proportion ästhetisch zusammenpassen sollten. Er erklärt: Die Proportionen eines Bauwerks sollten dem menschlichen Körper entsprechen. Eine Überlegung, die in der Renaissance wieder Beachtung fand. Einer der größten Fans des antiken Architekten wurde Leonardo da Vinci. Seiner weltberühmten Skizze einer menschlichen Gestalt, die sich innerhalb eines Kreises bewegt, gab er den sprechenden Namen: „Der vitruvianische Mensch“.

Doch die Antike hat ihre ästhetischen Prinzipien nicht im Lauf einer Generation erschaffen. Ihnen zugrunde liegt ein Prozess, der etwa 1200 vor Christus begann und im vorklassischen Mykene auf dem griechischen Festland seinen Anfang nahm. Mykenes Kultur gilt heute als erste Hochkultur des europäischen Festlandes – eine Epoche, die unterging. Ihre Erben waren die Hellenen, die im Verlauf der kommenden Jahrhunderte ganz Griechenland besiedelten. Ein Teil dieses Erbes war der Götterkult der Mykener: Die Hellenen schufen aus diesem Kult eine gewaltige mythologische Götterwelt. Eine Welt, die real schien und reale Wohnstätten benötigte: die Tempel.

In der lateinischen Sprache bedeutet templum soviel wie: „abgeschnitten, abgetrennt.“ Und so verstanden die Hellenen die Gebäude der Götter auch: Tempel waren Orte, die dem Heiligtum dienten. Sie waren von der Welt abgetrennt. Zutritt hatten nur die Priester. Der gewöhnliche Mensch erlebte den Tempel nur von außen. Was er dort sah, sollte ihn beeindrucken. Also standen griechische Tempel oft auf Bergen. Wanderer sollten um sie herumgehen und ihre Geschichte lesen können – in Bildern erzählt vom Fries unter dem Dach. Proportion, Harmonie und Lebendigkeit in der Architektur waren den Baumeistern der Tempel wichtig: Deshalb wurden beispielsweise die Säulen in der Mitte leicht verdickt, damit sie ihr starres Aussehen verloren und vom Gewicht des Daches niedergedrückt erschienen.

Auch jenseits des Mittelmeeres, auf Seiten der Römer, wurden in der Antike Tempel gebaut. Doch sie unterschieden sich in den Details. So besitzen die Säulen der griechischen Tempel durchweg Kanneluren (Rillen) und sind aus einzelnen Stücken zusammengesetzt. Römische Säulen wurden nach Möglichkeit aus einem ganzen Stück gefertigt. Das verlangte einen massiveren Stein, in dem man nur schwer Kanneluren einschneiden konnte. Und während die Griechen ihre Säulen mit einem geraden Balken und einem reich geschmückten Fries abschlossen, führten die Römer Bögen oberhalb der Säulen ein. Diese leiteten das Gewicht des darüber liegenden Mauerwerks besser ab. Mit der Folge, dass die Säulen römischer Tempel größere Abstände aushielten als die griechische Variante.

In der heutigen Architektur dienen die reichhaltigen Elemente der griechischen und römischen Tempel Dekorationszwecken. Sie imponieren als Säulenvorbau eines Theaters oder bilden den Eingang eines Museums. Als Ort der Gottesanbetung haben sie ausgedient. Das hat ganz praktische Gründe: Im Zuge der Christianisierung änderte sich der Anspruch an die Gotteshäuser. Im Christentum versammelt sich die gesamte Gemeinde um das Heiligtum. Für solche Massenveranstaltungen aber war das Innenraumkonzept der Tempel nicht ausgelegt. Dennoch lebt auch in unseren Kirchen die Antike fort. Christliche Architekten wählten als Vorlage für ihre Kirchenpläne die Basilika: jenen Prachtbau, in dem in der Antike die Kaiser Audienz hielten und zu Gericht saßen.

Neben den Tempeln sind es vor allem die Theaterbauten der Antike, die über die Epochen hinweg immer wieder eine Renaissance erlebt haben – allerdings umgedeutet zu Sportstadien oder Open-Air-Bühnen. Denn überdachte Theater, so wie wir sie heute nutzen, waren der Antike fremd. Die Hellenen und Römer führten ihre Schauspiele unter freiem Himmel auf. Bei den Griechen saßen die Zuschauer dabei im Halbkreis um die Bühne und den Chor herum, die Sitzreihen waren in eine natürliche Mulde eines Berghangs gebettet.
 
Rom baute seine Theater unabhängig vom Gelände. Das erste feste Theater entstand 55 v. Chr. in Rom: Hier waren Zuschauerraum, Orchestra und Bühne zu einem Raum zusammen gefügt. Die Außenwände der Theater waren nicht massiv, sondern mit Bögen geschmückt. Parallel dazu entwickelten die Römer das ellipsenförmige Amphitheater als Schauplatz für spektakuläre Darbietungen wie Gladiatoren- und Tierkämpfe. Der Wortteil amphi stammt aus dem Griechischen und meint soviel wie „doppelt“. Denn das waren und sind die Amphitheater: die Verdopplung der bisherigen, halbrunden und offenen Theater zu einem ellipsenförmigen Neuen. Eine Idee, die bis heute Bestand hat – die Weiterentwicklung dieser Amphitheater sind unsere Sportstadien. Wer heute zum Fußballschauen nach München, Hamburg oder Dortmund fährt, der nimmt damit auch immer in der Antike Platz.


Zusatzinfos

Gebaut für die Ewigkeit Wie gut, dass es Beton gibt. Das mögen römische Handwerker gedacht haben, als sie den letzten Stein in die Kuppel des Pantheons von Rom setzten - diese nämlich ruht u. a. auf einer kreisrunden Betonmauer. Allerdings kannten sie das Wort Beton noch nicht, sondern meinten einen Stoff namens opus caementicium. So hieß die betonähnliche Substanz, die im 3. Jahrhundert vor Christus erfunden wurde und monumentale Kuppelbauten erst möglich machte. Um diese Substanz herzustellen, wurden Sand, Gestein, vulkanische Asche und Ziegelmehl mit Wasser vermischt. Ausgehärtet wurde der Baustoff in Holzschalungen. So entstand nicht nur das Pantheon, sondern auch Viadukte und Aquädukte, Talsperren, Tunnel, Tor- und Palastbauten ... Selbst das Colosseum in Rom wird vom antiken Zement zusammengehalten.

Jedem seine Form
Drei Säulenarten - dorisch, ionisch, korinthisch - sind für die klassische griechische Architektur typisch. Die Unterscheidung der Typen ist vergleichsweise einfach: Man schaue auf das Kapitell, also den oberen Abschluss einer Säule. Charakteristisch für die ionische Form sind schneckenförmige Rollen (Voluten) rechts und links des Kapitells. Bei der korinthischen Variante ist das Kapitell mit Kränzen aus ornamentalen Blättern umgeben. Und bei der dorischen Form verbindet nur ein Kegelstumpf Säule und darüberliegende Bauteile.

 
Lesen Sie in Folge 14:
Ein erster Blick in den Spiegel der Kunst (Antike)


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Impressum: Der obige Haupttext entstand auf Basis eines Vortrages, den Angelika Koch im Rahmen der Akademie der Marienberger Seminare gehalten hat. Die Textbearbeitung für den Abdruck besorgten Andrea Mertes und Andreas Pecht. Für den Inhalt verantwortlich: Marienberger Seminare e.V. 

Der 80-minütige Originalvortrag ist als Audio-CD mit bebildertem

Begleitheft zu beziehen bei Marienberger Seminare e.V.,

Tel. 02661/6702, email: mail@marienberger-seminare.de.

Weitere Infos: >> www.marienberger-akademie.de

Die Reihe „Wissen – Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte“ ist eine Kooperation zwischen Rhein-Zeitung und Marienberger Seminbare e.V., sie wird gefördert vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur des Landes Rheinland-Pfalz.


(Erstabdruck 06. August 2011)

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Bisher erschienene Folgen:


2011-04-02 Prolog/Einführung:
Eine Reise durch die Kultur- und Geistesgeschichte

2011-04-02a Folge 1: Mensch zwischen Natur und Kultur

2011-04-23 Folge 2: Die Menschen werden sesshaft

2011-04-30 Folge 3: Ein etwas anderer Blick auf Familie

2011-05-07 Folge 4: Abschied vom magischen Zeitalter

2011-05-14 Folge 5: Die Wurzeln des Abendlandes

2011-05-21 Folge 6: Wie die Demokratie nach Europa kam

2011-05-28 Folge 7: Rom und die Grenzen des Wachstums

2011-06-25 Folge 8: Wie das Denken sich selbst entdeckte

2011-07-02 Folge 9: Die Vordenker aus Griechenland

2011-07-09 Folge 10: Vorhang auf für das antike Theater

2011-07-25 Folge 11: Ursprünge der abendländischen Musik

2011-07-30 Folge 12:  Antike Naturwissenschaft


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