Kritiken Theater
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2011-09-26a Schauspielkritik:

Goethes "Faust" (I) im Staatstheater Wiesbaden.
Regie: Tilmann Gersch

Der Teufel und der Doktor
jeweils im Doppelpack


 
ape. Wiesbaden. 

Der Doktor Faust hat ein Menschenalter lang alle Wissenschaften studiert, „leider auch Theologie“. Doch geblieben ist er ein „Tor“ und „so klug als wie zuvor“, weiß noch immer nicht, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Jetzt ist er lebensmüde – seines Lebens müde. Kann man verstehen. Allweil bloß über Büchern hocken, kann ja nicht alles sein. Da kommt dem Gelehrten der Teufel gerade Recht mit seinem Versprechen, ihm eine Lebensart der Genüsse zu eröffnen. Der Pakt ward geschlossen, die Sauße beginnt.


 

Rund 17 Jahre liegt die letzte Inszenierung von Goethes „Faust“  (I) am Staatstheater Wiesbaden zurück. Annegret Ritzel hatte damals dem Kleinen Haus einen Dauerbrenner mit rockendem Mephisto und nacktem Fantasie-Gretchen beschert, hatte damit anschließend auch ihre zehnjährige Koblenzer Intendanz eröffnet. Tilmann Gersch hat den bis zur Sprichwörtlichkeit gewichtigsten Bühnenklassiker deutscher Sprache jetzt für das Große Wiesbadener Haus neuinszeniert.


Ein abstraktes Kunstwerk für sich ist das Bühnenbild von Henrike Engel: ein gewaltiger, zum Publikum hin geöffneter, viereckiger Trichter, der zuläuft auf ein von Neonröhren umfasstes Fensterchen ganz tief hinten. Die weite Welt, das große Goethe-Werk fokussiert auf die kleine Menschenseele: Dort hinten, winzig, erscheint Faust – alt, dürr sein nackter Oberkörper, darauf der knochige Schädel eines Ausgemergelten. Rainer Kühn formt ein starkes Eingangsbild, das Sinn macht.


Was sich vom bühnenbreiten Wasserbecken an der Rampe kaum sagen lässt. Irgendeine Symbolik wird gewiss gemeint sein. Wir aber, pardon, sehen nur: Spritzen und Plantschen; Faust und Famulus kriegen nasse Füße, der Teufel wälzt sich im Bade und Gretchens Bruder wird darin ersäuft. Die Maid selbst kommt glimpflich weg, dank Gummistiefeln. Soll bedeuten? Keine Ahnung. Von ganz anderem Kaliber ist die auffälligste inszenatorische Idee: Gersch lässt nicht nur die gesamten zweidreiviertel Stunden des Abends zwei Fäuste auf der Bühne, er verdoppelt obendrein auch den Mephisto.


So haben es Grete und die fidele Witwe Marthe (Monika Kroll) nachher mit dem durch Hexenzauber verjüngten Faust und dem anbei herumgeisternden alten zu tun, mit einem ältlichen feisten Teufel (Uwe Kraus) und zudem einem jungen, verderbt-kessen Teufelsweib (Viola Pobitscha). Daraus lässt sich einiges machen, und ohne Logik ist solche Doppelung keineswegs. Der Höllenherr ist ohnehin ein altersloser Geselle, und dass er - wie sein himmlischer Gegenspieler - unbedingt ein Mann sein muss, den Beweis konnte der Vatikan bis dato nicht erbringen. Nicht minder schlüssig die Doppelung des Faust. Denn der zieht zwar mit verjüngtem Körper durch die Welt, führt dabei im Kopf allerdings den alten Geist mit sich.


Die Regie lässt, wie seit der Uraufführung 1820 üblich, im Auerbachkeller, beim Hexensabbath oder in Marthes Garten je nach zeitgenössischem Geschmack kräftig-deftig-lüstlich vom Leder ziehen. In Wiesbaden mit singsaufenden Fassleibern, vettelnden Weibsmännern und munterem Tete-a-Tete in pinkenem Knusperhäuschen. Das passt, das macht Spaß und nimmt „der Tragödie erster Teil“ durchaus nichts von ihrem Ernst. Ähnliches gilt fürs Gretchen. Verena Güntner gibt statt der brav-naiven Unschuldsmaid ein aufgekratztes Mädchen von heute, das weiß, was es juckt. Wiesbaden hat also wieder einen „Faust“: Nicht der ganz große Wurf, aber ein solider Abend mit einigem Esprit.                                                        Andreas Pecht



Infos: >> www.staatstheater-wiesbaden.de


(Erstabdruck 27. September 2011)

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