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2011-09-28 Essay: 

Schloss Stolzenfels und die Preußen am Rhein



Die zweite Rheinromantik


ape. Mittelrhein. Als anno 2002 die UNESCO das Obere Mittelrheintal von Bingen bis Koblenz in den Status „Welterbe der Menschheit“ erhob, gab es im Grundsatz dagegen kaum Bedenken. Allenfalls ging vorort ein gewisse Besorgnis um, diese Würdigung könne Folgekosten oder Beschränkungen der wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten mit sich bringen. „Im Gegenteil“ beruhigten die Befürworter seinerzeit, „das Welterbe-Signum verbessert vor allem die touristischen Vermarktungschancen der Region.“ Keine Frage, es hat sich in dieser Hinsicht seither einiges getan,  und die Bundesgartenschau Koblenz 2011 hat nochmal einen Schub nachgelegt. Ob allerdings die hochfliegenden Erwartungen von damals sich in vollem Maße oder nur bescheidenen Teilen erfüllt haben, da gehen die Ansichten unter den Mittelrheinern zehn Jahren nachher noch auseinander.

Wie dem auch sei, jenseits der ökonomischen Nutz-Erwägungen, also beim eigentlichen Welterbe-Gedanken, ist unstrittig: Das „Tal der Loreley“ wurde zurecht Weltkulturerbe. Schlichte Gemüter stimmen mit dem simplen Ausruf zu: „Richtig, so schön wie‘s hier ist, alles soooo romantisch.“ Andere dröselen dieses „schön“ auf: Von der Natur derart verwöhnt; von historischen Bauschätzen (40 Burgen) derart prall. Wieder andere lassen sich neben dem hübsch-pittoresk-nostalgischen Äußeren auf kulturelle Tiefendimensionen ein, die ebenfalls zum Welterbestatus gehören: eine Gegend, in der sich europäische Geschichte von der Antike übers Mittelalter bis in die Neuzeit konzentrierte; eine Region, die nicht zuletzt Literatur und Malerei zu einem Kernraum der kulturellen Romantik-Epoche des 18./19. Jahrhundert aufgeladen haben – der Rheinromantik.

"Für mich sind nur jene Gegenden schön,
die man gewöhmlich rauh und wild nennt"

Da denken wir an Lord Byrons Verserzählung über den Rhein, an William Turners wild-romantische Gemälde. Vor allem aber denken wir an Heines „Loreley“-Verse, an Eichendorffs Rhein-Balladen. Wir erinnern an die dichtenden Rhein-Freunde  um Clemens Brentano, dem literarischen Vater der Loreley-Nixe: Achim von Arnim, Bettina von Arnim/Brentano oder die tragische Caroline von Günderrode. Selbst Goethe war öfter hier und  Friedrich Schlegel schrieb 1806 nach einer Rheinreise:  „Für mich sind nur die Gegenden schön, welche man gewöhnlich rauh und wild nennt; denn nur diese sind erhaben, nur erhabene Gegenden können schön sein, nur diese erregen den Gedanken der Natur. Nichts aber vermag den Eindruck so zu verschönern und zu verstärken als die Spuren menschlicher Kühnheit an den Ruinen der Natur, kühne Burgen auf wilden Felsen.“

Nur an eines – Hand aufs Herz – dachten bis zur  Bundesgartenschau 2011 beim Stichwort „Rheinromantik“ die wenigsten: an die Preußen. Mit der BUGA rückten plötzlich die einstigen Oberherren der preußischen Rheinprovinz (ab 1822) und ihr Wirken am Mittelrhein  ins Blickfeld der hiesigen Öffentlichkeit. Die zur BUGA abgeschlossene Sanierung der Preußenfestung Ehrenbreitstein, die Gestaltung der Koblenzer Schlossgärten in Anlehnung an den preußischen Gartenbaudirektor Peter Joseph Lenné, schließlich die jüngste Bau- und Gartenrestaurierung von Schloss Stolzenfels nach preußischem Ausbaustand: Die sichtbare heutige Renaissance des baulichen Preußen-Erbes und die damit einhergehende intensive Informationsfülle in den zurückliegenden Monaten hat unter der Hand eine Neudeutung des Begriffs „Rheinromantik“ hervorgebracht. Oder anders gesagt: Schlagartig wird sonnenklar, dass wir es vor unserer Haustür mit zwei ganz verschiedenen Rheinromantiken zu tun haben – einer vorpreußischen und einer preußischen, einer ersten und einer zweiten.

Die erste Rheinromantik gründet auf
überwucherten Burgruinen

Wie das? Schloss Stolzenfels mag als klärendes Beispiel dienen. 1823 machte die Stadt Koblenz  dem in die Rhein-Landschaft regelrecht vernarrten Preußenprinzen Friedrich Wilhelm IV. untertänig ein famoses Geschenk: die spärlichen Ruinenreste einer ehemals kurtrierischen Mittelalterburg – Stolzenfels. 1836 ließ der Prinz (nachher König) zögerlich, ab 1840 dann zügig den Wiederaufbau von Stolzenfels respektive dessen Ausbau zur idyllischen Sommerresidenz beginnen. 1842 war das Hauptgebäude fertig. Zu diesem Zeitpunkt lag Lord Byron bereits 18, Friedrich Schlegel 13 und  Achim von Arnim schon 11 Jahre im Grab; wurde Clemens Brentano gerade beerdigt; ging William Turner daheim in London am Krückstock und saß Heinrich Heine im französischen Exil fest. Kurzum: Die künstlerischen Väter und Heroen der ursprünglichen Rheinromantik hatten Stolzenfels in der preußischen Ausbau-Manier niemals zu Gesicht bekommen! Mehr noch: Sie hatten vom gesamten Mittelrhein-Tal ein Romantik-Bild, das sich grundlegend unterschied von demjenigen, das nachher im Zuge des preußischen Bau-Enthusiasmus Platz griff und die Wahrnehmung der Mittelrhein-Landschaft bis heute dominiert.

Als Byron, Turner, Schlegel, Brentano, Arnim das Rheintal bereisten, waren die allermeisten Burgen schon seit Generationen überwachsene Ruinen, Trümmerfelder, Sekondhand-Steinbrüche.  Es war genau dieser Zustand des Verfalls, der wildwüchsigen Überwucherung, des Unzivilisierten und etwas Unheimlichen an den Hängen über dem ungestüm schäumenden Strom, der die Künstler der ersten Rheinromantik faszinierte. Der Schwebezustand des Tales zwischen  grauer Vergangenheit und  Gegenwartskepsis, zwischen Mystik und profaner (industrierevolutionärer) Realität, wilder Natur und mit ihr ringendem Mensch: Das war der Humus, auf dem die Fantasien, Sehnsüchte, Mythen jener Romantiker prächtig gediehen.

Die Preußenprinzen schaffen sich
einen pittoresken "Mittelalterpark"

Von solchem Geist waren auch Friedrich Wilhelm und seine Brüder magisch angezogen, als sie im Burschenalter erstmals an den Rhein kamen. Was sie dann jedoch daraus machten, wurde etwas vom Geist der ersten Rheinromantik völlig verschiedenes: Die rhein-verliebten Preußen  setzten ein gewaltiges Bauprogramm ins Werk, das eine komplette „romantische Landschaft“, quasi einen Romantikpark, von Bingen bis Bonn zum Ergebnis haben sollte. Sie ließen die Ruinen verschwinden, erbauten mit und auf ihren Überresten neue „Mittelalterburgen“ – allerdings nach eigenem aristokratischem Zeitgeschmack. Weshalb, um beim konkreten Beispiel zu bleiben, Stolzenfels heute mit seinen zinnenbekränzten Flachdächern auf kastenförmigen Baukörpern mehr an ein neugotisches Schlösschen nach dem britischem Stil des 18./19. Jahrhunderts erinnert. Dass auch noch etwas mittelalterliches Erbe mit drinsteckt, davon zeugt der dominante Bergfried. Denn das immerhin muss man Friedrich Wilhelm zugute halten: Er war stets bemüht, bei seinen Bauvorhaben von der noch vorhandenen Mittelaltersubstanz so viel als möglich oder vertretbar zu erhalten oder wiederherzustellen.

Zum ganz großen Romantikpark am Rhein hat es dann zwar nicht gereicht. Aber es sind unter preußischer Ägide, neben Stolzenfels, eine beträchtliche Zahl mittelalterlicher Rheinburgen in mehr oder minder stark verändertem Stil aus Ruinen wiedererstanden. Dem preußischen Vorbild folgten andere Burgherren – und so entstand in summa übers spätere 19. Jahrhundert die zweite Rheinromantik. Deren Geist speist sich nicht mehr aus verschwunschenen Ruinen inmitten der Naturgewalt, sondern sonnt sich bis zum heutigen Tag in der ästhetisch gewollten Gefälligkeit pittoresker Nach- und Umbauten zwischen künstlich angelegten „Naturparks“. Darin spielte die preußische Herrschaft seinerzeit nostalgische Mittelalterspielchen – und erzählte dem rheinischen Volk zugleich die Mär vom ewigen Gottesgnadentum der feudalen Herrschaft. (Was die Koblenzer selbst im Revolutionsjahr 1848 noch glaubten, während man zeitgleich in Düsseldorf Preußenprinzen mit Pferdeäpfeln beschmiss).

Dieser Befund soll weder die Schönheit noch die historische Bedeutung der Burgenlandschaft heute im Mittelrhein-Tal diskreditieren. Er unterstreicht im Gegenteil das Gewicht dieser Landschaft als  Zeugnis für historisches Werden. Als lebendiges Zeugnis kann sie allerdings nur wirken, wenn dem Betrachter bewusst wird oder bleibt, dass die preußisch geprägte (Burgen-)Landschaft, die er heute überwiegend sieht, eine völlig andere ist als diejenige, von der die ursprünglichen Rheinromantiker inspiriert wurden.                            Andreas Pecht

Neue populäre Literatur zum Thema:
- Michael Prinz von Preußen: „Die Preußen am Rhein – Burgen, Schlösser, Rheinromantik“. Verlag Lingen, 160 S., 14.95 Euro.
- Andreas Pecht: „Bildheft Schloss Stolzenfels“. Verlag Schnell + Steiner, 32 S. broschiert, 6.95 Euro.
- Fischer, Henne, Ketterer-Senger: „Park und Gärten von Schloss Stolzenfels“. Verlag Schnell + Steiner, 40. S. broschiert, 6.95 Euro. 

Infos:  >> www.schloss-stolzenfels.de


(Erstabdruck einer leicht gekürzten Fassung 39. Woche im September 2011)

                                              ***

Siehe zum obigen Thema auch:
2011-05-04 Historie/Altertümer:
Schloss Stolzenfels - Prachtstück preußischer Rheinromantik

 

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