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2011-10-071 Schauspielkritik:

Karin Henkel stülpt in Frankfurt Henrik Ibsens
„Wildente“ eine Stummfilmästhetik über


Auf der Schlachtbank
bürgerlicher Idiotie
 

 
ape. Frankfurt. In Henrik Ibsens Schauspiel „Die Wildente“ von 1884 gibt Direktor Werle anlässlich der Heimkehr des „verlorenen Sohnes“ Gregers ein Diner. In Karin Henkels Inszenierung jetzt am Schauspiel Frankfurt ist der Sohn eine Tochter. Das lädt die Beziehung der einstigen Jugendfreunde Gregers und Hjalmar mit einer zusätzlichen Komponente auf: Begierde. Keine dumme Idee; wie so mancher Regieeinfall an diesem dreistündigen Abend durchaus fasziniert. Nicht dazu gehört indes das Bestreben, die ganze Aufführung unbedingt mit einer Art Stummfilmästhetik zu überziehen.
 

Da tritt ein Chor aus bleich geschminkten, schmerbäuchigen Smokinggestalten auf. Da werden Kernsätze in Schriftform wie dereinst filmische Untertitel auf die Kulisse geblendet. Vor allem aber zelebriert Lena Schwarz ihre Gregers mit dem pathetisch überzogenen Gestus dunnemals sprachloser Leinwanddiven. Ob im Glitzerabendkleid oder in spukhafter Schwarzrobe: Der Wahrheitswahn dieser durchgeknallten Tochter aus stinkreichem, aber lieb- wie ehrlosem Vaterhaus trägt diabolische Züge.

Ihre Rache am kalten Vater Werle (Martin Rentzsch) soll die Erhebung Hjalmars aus dem „giftigen Sumpf“ seiner eigenen, auf Lügen basierenden Kleinbürgerfamilie Ekdal sein. Lügen, bei denen allemal der großmächtige Werle die Finger und anderes im Spiel hatte: die soziale Ächtung des alten Ekdal (Michael Goldberg); das verarmte Dasein Hkalmars; die verschwiegene „Schande“ seiner Frau Gina (Claude de Demo), vormals Bedienstete der Werles; die ungewisse Vaterschaft für das Ekdal-Kind Hedwig.

In Frankfurt ist die ganze sozialpsychologische Tragödie auf ein mit vielen Kammern und himmelhohen Aufbauten bestücktes Karussell gestellt (Bühne: Janina Audick). Die Drehbühne rotiert bisweilen wie wild, und mit ihr dreht sich hoch droben ein riesiges Rotlichtherz. Von dem gehen Strahlen aus, die aber ebensogut als durchbohrende Lanzen deutbar sind. Überhaupt: Optisch überzeichnete Symbolik zuhauf. Hjalmar etwa mit feister Wampe im zeltartig schlabbernden Gemütlichkeitspullover. Beides wirft er im Zuge der von Gregers angetriebenen Wahrheitskampagne von sich. Nun entspricht er mit Waschbrettbauch äußerlich zwar dem Mannsideal der fanatischen Frau – zugleich jedoch ist er die familiäre Gemütlichkeit und Umsorgtheit los, die Torben Kessler seinen Hjalmar als faulen Jammerlappen zulasten von Gina und Hedwig schmarotzen lässt.

Karin Henkels Regiekonzept und eine freizügige Bearbeitung des Ibsen-Textes lässt reichlich Raum, auch komödiantisch sehr dick vom Leder zu ziehen. Dass die Inszenierung dennoch zwischen breitem Schmunzeln und mancher Lachhaftigkeit den tiefen menschlichen Ernst des Stückes beklemmend spürbar hält, ist ein erstaunliches, fast schon ein geheimnisvolles Phänomen.
Nicht unerheblichen Anteil daran hat – was am Theater selten vorkommt – eine Kinderrolle: Wie Wiebke Mollenhauer die Unschuld, Naivität, Liebesbedürftigkeit der Hedwig in scheinbar größter Natürlichkeit bis in die kleinste Geste und Betonung ziseliert, ist umwerfend. Sie ist das Lamm, das auf dem Altar von Wahrheitswahn, dumpfer Eifersucht und bürgerlicher Blutverwandtschafts-Idiotie geschlachtet wird. Und diesem Kind möchte man wütend zu Hilfe eilen.                     Andreas Pecht


Infos: >> www.schauspielfrankfurt.de

(Erstabdruck 8. Oktober 2011)

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