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2011-10-09 Schauspielkritik:

"Die Kinder Agamemnons" am Staatstheater Wiesbaden.
Regie: Konstanze Lauterbach

Vier antike Mordtragödien
an einem Stück
 

 
ape. Wiesbaden. Es ist ein Kreuz mit den Theaterstücken der alten Griechen, deren Wirkung auf die Bühnenkunst bis heute anhält. Irgendwie hängen alle zusammen, sind Teil einer Generationen umspannenden Erzählung. Doch wer in der Schule nicht das Glück hatte, von althumanistisch gesonnenen Lehrern mit der Systematik griechischer Mythologie traktiert worden zu sein, dem bleibt die antike Welt mit ihrem reichhaltigen Personal im Himmel wie auf Erden ein arges Labyrinth. Am Staatstheater Wiesbaden wird nun der Versuch gemacht, ein sonst über etliche Dramen verteiltes Kapitel des Großepos in einem Abend von zweieinhalb Stunden zu erhellen.


Die in Bonn und Wiesbaden seit Jahren gern gesehene Regisseurin Konstanze Lauterbach hat dafür mit Dramaturgin Dagmar Borrmann Elemente aus vier Stücken von Euripides und Sophokles zu einem Handlungsstrang verknüpft. Unter dem Titel „Die Kinder Agamemnons“ ist eine gut verständliche Familiensaga entstanden, mit der Lebenstragik der Geschwister Iphigenie, Elektra und Orest im Zentrum. Solche Versuche, die verzweigten Stränge des Antikentheaters für heutiges Publikum griffiger zu machen, gab es immer wieder. Zuletzt hatte 2009 am Theater Koblenz Sibylle Dudeks Stück „Klytaimnestra“ die Geschichte der Familie Agamemnons aus Sicht von dessen Gattin beleuchtet.

Wie seinerzeit in Koblenz, so wird jetzt auch in Wiesbaden die fatale Ambivalenz von Opfer- und Täterrolle deutlich. Denn das Schicksal dieser Königsfamilie besteht aus einer endlosen Abfolge von Kindsmord, Gattenmord, Muttermord – mal der Staatsräson wegen, mal aus Rache erwächst aus Unrecht immer neues Unrecht. Feldherr Agamemnon opfert Tochter Iphigenie der Göttin Artemis, auf dass sie Wind schicke, um die griechische Flotte gegen Troja zu führen. Zehn Jahre später rächt Klytaimnestra, die Mutter Iphigenies, den Kindsmord, indem sie ihren Gatten mordet. Diese Tat wiederum rächen Elektra und Orest durch die Ermordung der Mutter ... Und allemal sind perfide Weisungen der Götter anstachelnd mit ihm Spiel.

Auf die Sippschaft der Allmächtigen ist Lauterbachs Inszenierung ausgesprochen schlecht zu sprechen. Drahtgeflecht hängt miesen Tierfallen ähnlich von oben herab und rollt sich wie heimtückischer Stachelverhau über Karen Simons Bühne. Es regnet schnöden Sand auf die Griechen; im Sand leben sie, verzweifeln sie, erschlagen sie einander. Was hier der Sand, ist drei Akte weiter im fernen Tauris lebensfeindliches Eis, in Brocken über die Bühne verteilt. In die Wüstenei hängt zum Schluss vom Himmel herab ein Rohr, aus dem braune Pampe gluckert. Will wohl sagen: Die Menschenwelt ist den Göttern bloß die Jauchegrube.

Das sind drastische, aber schlüssige Bilder. Drastisch, doch nicht unbedingt schlüssig ist indes die von Lauterbach motivierte Spielweise: Seelenpein, Rachedurst, Wahnsinn wirft das Ensemble mit großer und immer größerer, aber manierierter Inbrunst auf die Bühne – bis die Abgründe des Menschlichen in dick aufgetragenem, überspanntem Tragödenfuror schier ertrinken. Die Regie denkt dabei augenscheinlich in Operntableaus oder historischen Kategorien bildhauerisch überhöhter Leidensdarstellung.

Das verlangt Doreen Nixdorf (Iphigenie), Sybille Weiser (Elektra), Michael Benningsen (Orest) und anderen zwar eine Menge beeindruckender Anstrengung. Doch wirklich zu Herzen geht von all der Künstlichkeit nur wenig. Weshalb „Die Kinder Agamemnons“ in Wiesbaden eine ehrenwerte und überaus interessante Unternehmung sind, aber leider nicht als bedeutender Schauspielabend im Gedächtnis bleiben werden. 
                                                                                         Andreas Pecht

Infos: >> www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck 10. Oktober 2011)

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