Kritiken Theater
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2011-10-15 Schauspielkritik:

"Erdbeben in London", Stück von Mike Bartlett, Deutschsprachige Erstaufführung in Bonn

So viel Zorn auf die zerstörerische
Kraft des Kapitalismus
 

 
ape.Bonn. Als das Theater Bonn vor Monaten die deutschsprachige Erstaufführung von  „Erdbeben in London“ auf den 14. Oktober festsetzte, ahnte niemand, welch aktuelle Sinnfälligkeit sich daraus ergeben sollte: Die Premiere in den Godesberger Kammerspielen wurde am Freitag quasi zum Vorabendprolog für den ersten globalen Aktionstag der neuen Protestbewegung gegen den  Finanzkapitalismus. Denn das 2010 in London uraufgeführte Stück steckt voller Wut über den Gang  der kapitalistischen Sache.

 
Einerseits ist Theater als Beitrag zu laufendem Politgeschehen immer riskant, weil in Gefahr, gespieltes Flugblatt zu werden.  Andererseits gehörte die Sezierung je zeitgenössischer Gesellschaftszustände im Spiegel menschlicher Schicksale stets zum Kernbestand anspruchsvoller Dramatik, von Shakespeare bis Tschechow, Ibsen, Horvath oder Brecht. Der britische Autor Mike Bartlett (Jahrgang 1980), mehr noch die Bonner Inszenierung von „Erdbeben in London“ gerät in diesem Spannungsfeld gehörig ins Stolpern.

Das Stück ist eine schnell geschnittene Folge sehr kurzer Szenen; mit Spielformen, Zeitebenen und Medien absichtlich völlig überladen. Tragödie, Komödie, Musical, Kabarett, Videoperformance sind verquirlt. „Im Stück geht es um Maßlosigkeit, und wir sollten das spüren“, wird Bartlett im Programmheft zitiert. Meint wohl: Theatralische Reizüberflutung als Sinnbild für die Maßlosigkeit einer Epoche, die aus Profitsucht Menschlichkeit und den Planeten zerstört.

Johannes Lepper macht daraus auf der tristen Hallenbühne von Martin Kukulies ein düsteres Schwarz-weiß-Spiel. Farben fluten allein von Videoleinwänden rundum, über die Krieg, Protest, Ölfelder, Sonnenglut, verdorrte Landschaft flimmern. Dazwischen in Regengüssen fast ersaufende Bühnenaktion, deren vages Handlungsgewebe die Tragödien dreier Töchter eines Wissenschaftlers vorstellt. Dieser Robert (Wolfgang Schlüter) lässt sich erst  von der Wirtschaft kaufen, um mit getürkten Gutachten die Gefahren fürs Weltklima zu vertuschen. Später wird er zum Weltuntergangs-Prognostiker, der den Töchtern rät, ja keine Kinder zu gebären.

Die Älteste, Sarah (Tatjana Pasztor), verheizt ihre Ehe an die Politkarriere. Als Umweltministerin will sie den Ausbau der Flughäfen verhindern, wovon die Industrielobby sie mit lukrativen Angeboten abzubringen sucht. Ihre jüngste Schwester (Maria Munkert) protestiert als schrille No-Future-Göre barbusig gegen die Vernichtung des Regenwaldes. Die Dritte, Freya, verzweifelt an ihrer Schwangerschaft. In dieser von Birte Schrein am Rande des Wahnsinns gespielten Figur verknoten sich alle angesprochenen Probleme.

Hier die große Welt, in der blindwütige Märkte und deren Nutznießer die Lebensgrundlage künftiger Generationen verheizen. Da die kleinen Welten, in denen junge Leute sich zwischen Glückswunsch, Hoffnungslosigkeit und Revolte aufreiben. Mittendrin die saturierten Prediger entweder der Apokalypse oder des faulen Kompromisses. „Erdbeben in London“ ist ein zorniges Stück über den Irrwitz der Gegenwart. So zornig, dass es mit plakativen Stereotypen um sich schlägt. Dass es drei Stunden lang keinen Spannungsbogen hinkriegt. Und dass es am Ende aus  schierer  Verzweiflung Freyas ungeborenes Kind zur engelhaften Erlöserin stilisiert. Begründeter Zorn, aber leider kein bewegendes Theater. ´                                              Andreas Pecht


Infos:  >> www.theater-bonn.de


(Erstabdruck 17./18. Oktober 2011

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