Kritiken Theater
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2011-10-31 Ballettkritik:

Ballett Wiesbaden: Mal Spaßiges, mal Chaotisches von Thoss – und von Kylián ein Meisterwerk


Nicht alles ist magisch
in diesem Kaleidoskop
 
 
ape. Wiesbaden. Möbel, deren Formen und Proportionen aus den Fugen geraten sind, spielen in den Choreografien von Stephan Thoss häufig eine Rolle. Einem Ballettstil, der so sehr auf Tiefenpsychologie abhebt wie seiner am Wiesbadener Staatstheater, kommt die Symbolmacht verzerrter Alltagsutensilien zupass. Im ersten Teil des neuen, dreiteiligen Tanzabends „Magisches Kaleidoskop“ fährt die Drehbühne nun ein ganzes Kaufhaus-Sortiment skurriler Möbel auf. Symbolisch sind die diesmal allerdings nur in dem Sinn: Der modische Zeitgeist macht aus Stuhl, Sofa, Bett, Teppich zwar äußerlich schicke, aber für den Gebrauch tückische bis nutzlose Objekte.

 
Diese Thoss-Choreografie, genannt „Testing Machine“, verknüpft nach heutiger Werbemanier überspannte Möbelschau mit verblödetem Superstar-Wettbewerb, nimmt beides gehörig auf die Schippe. Da treten bald 20 Tänzer vor zwei durchgeknallten Showmastern zum Talentwettstreit im Fach Streetdance nebst körperpraktischer Möbelerprobung an. Tango, Samba, Klezmer, Pop (vom Band) treiben die humorige Persiflage mit Verve durch teils akrobatische Jugendtänzerei und mit argen Verrenkungen übers abstruse Mobiliar. Ein ballettöser Spaß, mit giftiger Zeitkritik schrill eingefärbt.

Ernst hingegen, ja buchstäblich düster fällt die zweite Uraufführung im Rahmen  des „Magischen Kaleidoskops“ aus. „La Chambre Noire“, der dunkle Raum, hat Thoss sie überschrieben. Im Programmheft philosophiert er über neuzeitliche Erkenntnisse der Physik hinsichtlich der Vorherrschaft unsichtbarer Energie, dunkler Materie und Schwarzer Löcher im Weltall. Darüber, dass im Universum andere Regeln gelten als die des Lichts und irdischer Gewissheit. Was bedeutet es für vier Paare, sich in solcher Dunkelwelt (tanzend) zu bewegen?

Auf schwarzer Bühne, geben schwarze Wände keinen Halt, sind durchlässig für Glieder und Körper. Zerfasertes oder momenthaft aufleuchtendes Weißlicht bietet so wenig Orientierung wie der Tanz selbst. Es herrscht scheinbar regellose Bewegungsdynamik bis in die Tanzstile hinein: Da versucht Thoss-Art die Verbindung zu Palucca-Formen wiederherzustellen, greift aber zugleich nach den Figuren-Repertoires von William Forsythe, Martin Schläpfer und anderen. Stilistisches Chaos, das – vielleicht – nach Möglichkeiten der Verschmelzung sucht. Doch es findet keinen Weg dahin, verläuft sich im Ungefähren wie auch die von Thoss selbst angelegte Klangkollage aus Schnipseln von Werken Bachs, Mendelssohns und diversen Modernisten. Ist das gewollt oder ist es passiert? Der Betrachter bleibt ratlos.

Vergnügliches wieder im letzten Teil des Abends, und zwar auf allerhöchstem Niveau: „Sechs Tänze“, die Altmeister Jirí Kylián vor genau 25 Jahren in Amsterdam zu Mozarts „Sechs Deutschen Tänzen“ choreografierte. Ein moderner Klassiker, temporeich verspielt, frivol, sinnlich, komisch die Musik und den widerspenstigen Geist Mozarts aufnehmend. Die Frage war: Würde die Wiesbadener Compagnie den Feinheiten dieser so ausgelassen wirkenden Choreografie gewachsen sein? Schnell nämlich kann zum Gehampel werden, was unter Puder staubenden Perücken und flatternden Röcken in filigraner Dynamik erotisches Umflirren und zugleich eine Verhöhnung höfischer Konvention sein soll. Die Tänzer/innen des Hessischen Staatstheaters halten sich prima auf des Messer Schneide – und Kyliáns Klassiker wird zum umjubelten Höhepunkt der Premiere.                                            Andreas Pecht


Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck 2. November 2011)

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