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2011-11-03 Kommentar/Analyse:

Papandreous Plan für Volksentscheid in Griechenland

 

Referendum der Griechen
eine Chance auch für Europa?


Statt Chaos: Eigenverantwortung für den Weg des Landes

ape. Manchmal hilft zur Klärung der eigenen Gedanken, sich in die Lage der Anderen, der akut am härtesten Betroffenen zu versetzen. Stellen wir uns mal ein Deutschland vor, in dem dies geschähe: Kürzung der Löhne, Gehälter, Renten um 25 bis 50 Prozent; Erhöhung der Mehrwertsteuer um ein Drittel; Einführung vieler zusätzlicher Abgaben, die kleine und mittlere Einkommen belasten; Entlassung eines Viertels der Staatsbediensteten; rasche Zunahme der realen Arbeitslosigkeit auf 25, der Jugendarbeitslosigkeit auf weit über 40 Prozent.

Stellen wir uns weiter vor, dieser Prozess würde uns von außen, von EU und Weltbank auf viele Jahre vorgeschrieben. Und stellen wir uns vor, einer der Ausgangspunkte dafür sei Jahrzehnte währende Gleichgültigkeit der heimischen Wirtschaft gegenüber dem Gemeinwesen sowie Korruptheit und Unfähigkeit unserer Regierung(en) –  etwa beim reichen Drittel der Gesellschaft überhaupt Steuern einzutreiben. Wie würden wir uns fühlen? Was wäre dann in Deutschland los? Die Vorstellung lässt einen die Lage besser verstehen, aus der heraus der griechische Premier beschloss, sein Volk über den Kurs Griechenlands direkt entscheiden zu lassen.

Vorausgesetzt, Papandreou übersteht die Vertrauensfrage im Parlament und es kommt zum Volksentscheid: Dem griechischen Volk wird damit eine gewaltige Verantwortung aufgeladen. Denn die kleinen Leute müssen entscheiden, ob sie freiwillig eine Krise schultern, von der sie glauben, dass sie ihnen von Politik, Bürokratenkaste und Profithaien eingebrockt wurde. Und: Ob sie die Krise unter den Bedingungen der Euro-Staaten schultern oder ihr Glück alleine versuchen wollen. Treibt Panik Papandreou, diese Frage per Volksabstimmung entscheiden lassen zu wollen? Oder ist das der ultimative Schritt eines weitsichtigen, mutigen, womöglich im besten Sinne demokratisch denkenden Staatsmannes?

Genaugenommen bleibt ihm aus griechischer Sicht kaum eine andere Wahl. Würden nämlich die Bedingungen der Euro-Staaten den Griechen ungefragt übergestülpt, das Land steuerte unter dem Druck gewaltiger innerer Konflikte in die Unregierbarkeit. Regierungskrise als Dauerzustand, Unruhen, Revolten, Deformation der Zivilgesellschaft, Auswanderungswellen etc. wären die Folge. Weshalb sich auch aus einer europäischen Sicht, die über den finanzpolitischen Tagesfuror hinausdenkt, die Frage stellt: Was wäre die Zustimmung einer griechischen Regierung zum Euro-Rettungspaket wert, wenn  Griechenland selbst sich quasi in Auflösung befände? Gar nichts.

Der Volksentscheid löst die Probleme nicht. Aber er schafft andere Voraussetzungen, sie anzupacken. Votiert das Griechenvolk im Sinne Papandreous für einen Kurs unter dem Dach der Euro-Staaten, kann es vom Getriebenen zum selbstbewusst Handelnden werden. Der Blockadeopposition im Parlament ginge die Luft aus und Fundamentaloppositionellen auf der Straße wäre die Legitimation entzogen. Wenn kluge Regierungspolitik die Lasten der Krisenbewältigung gerecht verteilt, kann ein Ruck durch Volk und Land gehen: „Unter Schweiß und Tränen löffeln wir diese Krise jetzt aus und machen das Beste daraus.“

Was aber, wenn die Griechen gegen Papandreou und die Euro-Lösung stimmen, wie derzeit alle Welt zu erwarten scheint? Auch dann muss Griechenland sehen, wie es mit seiner Krise, seinen Euro-Schulden und obendrein seiner Drachme klarkommt. Die übrigen Staaten Europas und die „Märkte“ müssen dann zusehen, was aus ihrer eigenen Schuldenpolitik respektive der ehedem so profitablen Kreditzockerei wird. Dominoeffekt, Bankenklemme, Börsencrash, gar Euro-Auflösung? Das ist alles Spekulation und ohnehin nur partiell eine griechische Frage. Auch unabhängig von Griechenland kommt es auf die europäische Politik an, darauf, wie die Staaten einzeln und in Gemeinschaft „ihre Hausaufgaben machen“ und wie sehr sie sich vom Diktat der Märkte treiben lassen.

Ein befremdlicher Vorgang ist die jetzt verbreitete Empörung darüber, dass das Staatsoberhaupt   eines demokratischen Landes den Souverän, das Volk,  über eine existenzielle nationale Frage abstimmen lässt. Soll das Griechenvolk durch das tiefste Tal seiner jüngeren Geschichte gehen, aber nicht mal mitentscheiden dürfen über welchen der allesamt schmerzhaften Wege? Und das nur, weil auf internationalem Parkett obskure Finanzoperationen ihr eigenes Regular schreiben? Die Politik- und Finanzklassen lenken, die Völker schlucken und zahlen, weil sie sowieso keine Ahnung haben, was gut für sie ist: Das entspricht der alten Haltung der EU-Technokraten – und eben diese Haltung hat das gemeinsame Europa bei so vielen Europäern in Verruf gebracht.

Wenn das Volk in einer Demokratie nicht mehr über den Kurs des eigenen Landes entscheiden darf, weil „die Märkte“ den Weg diktieren, dann ist die Demokratie selbst in Gefahr. Insofern könnte sich Papandreous Volksentscheid auch als Chance erweisen für ein neues politisches Selbstbewusstsein Europas. Das Plebiszit zwingt die politische Klasse Griechenlands, ihrem Volk reinen Wein einzuschenken; und es zwingt das Volk, sich über die Krise des Landes ernsthafte Gedanken zu machen. So viel Demokratie auf Basis von tatsächlicher Mitverantwortung für nachher von den Bürgern selbst zu tragende Konsequenzen war in Europa selten, eigentlich nie. Die Wiege der Demokratie, Griechenland,  könnte so zum Schrittmacher wider die neuzeitlichen Gefährdungen der Demokratie werden – mit allen Risiken, die diese freiheitliche Staatsform in sich trägt.      
                                                                                       Andreas Pecht               



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