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2011-12-05 Schauspielkritik:

Oliver Reese stellt Shakespeare-Klassiker in mondäne Design-Kulisse und besetzt männliche Titelrolle mit Bettina Hoppe 

Frankfurter "Hamlet"
so recht was fürs Auge


 
ape. Frankfurt. Kein ernsthafter Regiseur wird Shakespeares „Hamlet“ nebenbei aus dem Handgelenk einrichten. Zu komplex sind Außen-, Innen und Wahnwelten derer am Königshofe zu Dänemark. Zu intensiv haben Generationen von Theatermachern und -besuchern über die maßlose Wut des Prinzen, die bodenlose Verzweiflung der ihn liebenden Ophelia sowie all die anderen Tief- und Abgründe in diesem Stück nachgedacht. Also hat am Schauspiel Frankfurt Intendant Oliver Reese „Hamlet“ jetzt selbst inszeniert und der 1602 uraufgeführten Tragödie einen großen Auftritt verschafft: Gut dreieinhalb Stunden in mondäner Modernekulisse.



Zuerst dies: Lang wird einem der Abend nicht. Dafür sorgt schon die bemerkenswerte Sprechdisziplin des Ensembles im Verbund mit der auf Klarheit, Verständlichkeit und Sprachschönheit angelegten Neuübersetzung von Roland Schimmelpfennig. Eine Shakespeare-Aufführung erleben, bei der man jedes Wort versteht, das ist doch was! Eine Aufführung zumal, bei der es allerhand Beeindruckendes zu sehen gibt. Darunter Überraschungen wie ein auch pianistisch am Flügel auftrumpfender Hamlet, eine an sexueller Unerfülltheit irre werdende Ophelia (Sandra Gerling) oder ein im weißen Gehrock mehrfach herumgeisternder toter König (Felix von Manteuffel).

Dann das: Der Titelheld wird von einer jungen Frau gespielt, Bettina Hoppe. Das ist weder revolutionär noch ein Sakrileg, wurde auch anderwärts schon gemacht, etwa von Angela Winkler. Bedeutsam ist es für die Frankfurter Inszenierung nur insofern, als Hoppe der Mann bleibenden Hamlet-Figur einen kräftigen Schlag eben dem Knabenalter entwachsener Jugendlichkeit mitgibt. Dieser Prinz ist ein gescheiter Bursche, der mit Bedacht ausspricht oder verbirgt, was er über die Ermordung seines Vaters durch dessen Bruder und die Verehelichung seiner Mutter mit dem Mörder ahnt, weiß, empfindet.
 
Es dauert eine Weile, bis der Zuseher hinter die Eigentümlichkeit kommt, dass ihm zwar gefällt, was er sieht, er aber nicht wirklich glücklich damit wird. Bei Hoppe überlagert ein verbissener Generalausdruck hasserfüllter Gift-und-Galle-Spuckerei die vermutlich angepeilten Feinnuancen. Den Ophelia-Bruder Laertes spielt Sebastian Jacobi erst schön als Großtuer, dem zugleich eine verschämte Familienschmusigkeit eigen ist. Nachher indes tobt er bloß noch wutschnaubend im filmreifen Krieger-Outfit durch die Szene. Die Königin Gertrude von Stephanie Eidt macht mit meterlanger Schleppe am modernen Abendkleid gute, aber eindimensional steife Figur. Mit dem Claudius von Till Weinheimer verhält es sich ähnlich.

Die Bühne von Hansjörg Hartung gibt den adäquaten Raum dafür ab: Ein breite Treppe, die von Spiegelwänden umgeben nach hinten tief in die offene Unterbühne absteigt. Klare Formen, Spiegelglanz und blendendes Weiß, gebrochen vom schwarzen Salonflügel: das ist herrschaftliche Welt in zeitgenössischem Design-Schick – ästhetisch stimmig und fürs Auge gemacht wie so vieles in Reeses „Hamlet“. Und diese Vorliebe fürs Äußere erweist sich im Laufe der dreieinhalb Stunden als Krux der Inszenierung. Sie schaut und betrachtet, zeigt her und führt vor, was die Figuren denken, tun und angetan bekommen. Doch ins tiefe Innere der zerrissenen Seelen reicht der Blick allzu selten. Für die Provinz wäre dieser „Hamlet“ ein Fest, aber vom großen Frankfurter Schauspiel erwartet man mehr.                                 Andreas Pecht

Infos: >> www.schauspielfrankfurt.de/

(Erstabdruck 6. Dezember 2011)

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Weitere Kritiken zu Produktionen des Frankfurter Schauspiels bisher in der Spielzeit 2011/2012:

2011-10-07 Schauspielkritik:
Ibsens "Wildente" in Frankfurt
inszeniert von Karin Henkel


2011-09-18 Schauspielkritik:
Schillers "Räuber" inszeniert von Enrico Lübbe am Schauspiel Frankfurt


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