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2012-01-16 Premierenkritik:

"Nurejews Hund" tanzt in Koblenz

Literatur, Ballett, Schauspiel, Musik kommen am Theater Koblenz zu einem kleinen, aber kunstvollen Abend zusammen. Elke Heidenreich liest ihren Text selbst
 
Szene aus "Nurejews Hund" mit (v.l.) Raphaela Crossey als Olga, Yao-Yi Hsu als Nurejew und Arkadiusz Glebocki als Hund Oblomov
Foto: Theater Koblenz / Matthias Baus

ape. Koblenz. 
„Es war einmal ein wunderschöner Tänzer: Rudolf Nurejew.“ Mit diesen Worten nimmt Elke Heidenreich die Zuhörerschaft im Theater Koblenz sanft bei der Hand und entführt sie für 60 Minuten in eine fremd gewordene Welt des Menschlichen. Sie, die Erzählerin, die Vorleserin, sitzt auf einem Wohnzimmersessel, neben ihr steht ein Tischlein, darauf die sie heimelig bescheinende Leselampe. Märchenstunde. Traumstunde. Erinnerungsstunde – Männer und Frauen liebten diesen 1993 verstorbenen Tänzer, erzählt sie. Und als sie selbst noch ein junges Mädchen war, erging es ihr ebenso.

Man könnte die Augen schließen. Könnte mit seligem Staunen der wundersamen Geschichte von „Nurejews Hund“ aus Heidenreichs Feder lauschen. Könnte sich den Stimmungen ergeben, mit denen die eigens für diese Produktion komponierte Klaviermusik von Marc-Aurel Floros das Vorgelesene in neuromantischer Dramatik ummalt, intensiviert, interpretiert. Doch die Magie des Theaters verlockt zum Hinschauen: Der Geist des Textes verdichtet sich auf der Bühne zu bewegten Bildern. Aus Literatur werden gespielte, vornehmlich getanzte Szenen; eingerichtet von Markus Dietze, choreografiert von Steffen Fuchs.

Literatur, Musik, Tanz, Schauspiel: Die Geschwister vereinen sich zu einem Werk voller Poesie, machen aus dem kleinen Abend große Kunst – die den Zuseher nachher beglückt, getröstet und erschüttert zugleich in die seelenlose Geschäftigkeit des Draußen entlässt. „Nurejews Hund“ erzählt von Gegensätzen, die sich anziehen, finden, einander beistehen, lieben und inspirieren. Vom schönen, dynamischen, kraftvollen „Tanzgott“ Nurejew und seinem Hund, dem hässlichen, schwerfälligen, trägen Oblomow. Die Geschichte erzählt von der Bewunderung des Tieres für die tänzerische Kunst seines Herrn – und den erst ersehnten, dann geträumten, dann heimlich unternommenen eigenen Versuchen des Hundes in dieser Kunst.

Unrealistisch, gewiss. Märchenhaft eben, und damit wiederum metaphorisch auf die Realität gemünzt. Der schlanke Yao-Yi Hsu tanzt Nurejew: in strenger Eleganz das erweiterte klassische Figurenrepertoire der in den Westen ausgewanderten russischen Ballettlegende nachahmend. Der mehr gedrungene Arkadiusz Glebocki changiert als Oblomow zwischen Trägheit und Sichaufraffen, anhänglicher Hundeliebe und Menschenscheu, Tappsigkeit und virtuos-kraftvollem Tanz. Dieser Oblomow ist ein Bravourstück gestischer und tänzerischer Widersprüchlichkeit – der Hund als  kunstvoll gearbeiteter Spiegel menschlicher Ambivalenz.

Dritter unter den szenischen Akteuren ist die Schauspielerin Raphaela Crossey; hier als ehemalige Tänzerin Olga, die Nurejew liebevolle Freundin geblieben ist. Sie nimmt nach dessen Tod Oblomow bei sich auf, sucht seine Zuneigung – und stürzt in innere Konflikte angesichts der Versuchung, Nurejews tanzenden Hund als Weltsensation zu vermarkten. Die Frau widersteht dem Zeitgeist, der einen solch wohlfeilen Verrat am Vertrauen Oblomows und an der Liebe beider zu Nurejew heutzutage nahelegt. Da erweist sich die Kunst, das Theater, einmal mehr als letzter und widerständiger Hort für eine Utopie des Menschlichen, nach der zu streben sich lohnt: Wir sehen schließlich Hund, Frau und den Geist Nurejews in zärtlichem Pas de Trois vereint.

Angemerkt sei, dass auch Crossey dabei eine tänzerische Ausstrahlung entfaltet, als sei nicht die Schauspiel-, sondern die Ballettschule Taufpate ihrer Bühnenkarriere gewesen. Überhaupt fügen  sich in dieser Stunde die Sparten trefflich zusammen. Heidenreich liest in ruhiger,  fein differenzierender Art, stellt mit kleinen Blicken und Gesten immer wieder Beziehungen zum spielerischen Geschehen her. Olga Bojkova-Bicanic steuert am Flügel in energischer Beseeltheit die Uraufführung von Floros' russisch gefärbter Musik bei.

Nur eine Instanz mochte nicht mitspielen: Aus den kafkaesken Tiefen der Koblenzer Bauaufsichts-Bürokratie stiegen kurzfristig Einwände dagegen auf, „Nurejews Hund“ als intimes Kammerspiel hinter dem Eisernen Vorhang des Großen Hauses  zu realisieren. So saß das Premierenpublikum, entgegen der Theaterplanung, wie üblich im Parkett und schaute zur Bühne auf, statt diese Stunde ganz nahe bei den Künstlern im geschlossenen Bühnenraum zu erleben. Wie es bei den vorerst vier Folgevorstellung zugeht, besser: von Amts wegen zugehen darf, ist noch offen. Ob so oder so, Elke Heidenreich wird wieder lesen – und der kleine Abend seine berührenden Qualitäten behalten.                 Andreas Pecht    

 
Infos: www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck 16. Januar 2012)

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