Kritiken Theater
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2012-01-24 Schauspielkritik:

Staatstheater Wiesbaden zeigt erste Bühnenadaption von Hans Falladas Romanklassiker "Der eiserne Gustav". Regie: Tilmann Gersch

Ein Zwitter aus Erzählung
und Varieté-Moritat
 
 
ape. Wiesbaden. Ungebrochen setzt sich an deutschen Theatern der Trend fort, wichtige Romane in Bühnenspiel umzusetzen. Zuletzt war an dieser Stelle von eher glücklosen Versuchen mit Fitzgeralds „Der große Gatsby“ in Frankfurt und Bonn berichtet worden. Das Staatstheater Wiesbaden hat sich nun  den Romanklassiker „Der eiserne Gustav“ von Hans Fallada vorgeknöpft. Am Wochenende kam die Inszenierung von Tilman Gersch zur Premiere. Der hatte 2010 bereits mit seiner Bühnenadaption von Tellkamps „Der Turm“ starke Beachtung gefunden.
 

Das Problem auch im jetzigen Fall bleibt: Romane sind nunmal keine Dramen, sondern Lesestoff. Wenn niemand zuerst ein die literarische Vorlage eindampfendes und  dramatisierendes echtes Stück schreibt, wird es fürs Theater gefährlich. Dann kommt oft ein seltsamer Zwitter aus Literatur und Schauspiel zur Aufführung: eine szenisch bebilderte Erzählung – mehr oder minder ansehnlich hergerichtet.

Auch Textbearbeiterin Barbara Wendland hat aus dem „Eisernem Gustav“ kein Drama im eigentlichen Sinne gemacht. Doch ermöglicht ihre Fassung in Wiesbaden eine Art Zeit-Revue. Eine Nummern-Folge, die Momente aus dem Leben der Familie Hackendahl in Form szenischer Splitter aufreiht. Am Bühnenrand gibt ein Klavierspieler im Stile der 1920er die Musike dazu. Das verstärkt den Eindruck, als werde im Varieté ein Moritatenspiel über die Verfallsgeschichte einer Berliner Kleinbürgerfamilie vom späten Kaiserreich bis zur Weimarer Republik aufgeführt.

Langweilig ist keine der 160 Minuten des Abends. Und das Herz bewegend ist er allemal. Besser: herzzerreißend. Denn es wird kräftig, plakativ, pathetisch auf den tragischen Effekt gespielt – sofern die Protagonisten nicht gerade aus ihrer Rolle fallen müssen, um wechselweise in die Erzählerposition zu schlüpfen. Theatralische Tragik hin oder her: Solange kein wirkliches Bühnendrama vorliegt, kann die Geschichte vom Abstieg des autoritären, ordnungsfanatischen, kaisertreuen Droschkenkutschers ohne verbindende Romanpassagen auf dem Theater nicht funktionieren.

Das Ensemble ist auf die Machart dieser – mit Gesang, Tanz, Pantomime angereicherten – Inszenierung gut eingestellt. Rainer Kühn gibt in der Titelrolle einen argen Familienschinder, der nur Winzigkeiten von Vaterliebe durchscheinen lässt. Sein heimisches Regiment ist so unerbittlich wie die Härte gegen sich selbst. Trotz eiserner Zucht nebst Peitschenhieben laufen ihm die fünf Kinder aus dem Ruder. Otto (Michael von Benningsen) hat mit der buckligen Tutti ein uneheliches Kind. Erich (Michael Birnbaum) ist ein halbseidener Lebemann und verzockt Millionen. Heinz (Nils Kreutinger) wird erst Revolutionär, leckt dann einer fein-verderbten Dame die Füße. Eva (Sibylle Weiser) fällt einem Zuhälter in die Hände...

Am Ende ist Gustavs Familie hin, sein Droschkengeschäft von Krieg wie automobiler Konkurrenz niedergewalzt und er selbst ein abgehalfterter Anachronismus. Da rafft er sich nochmal auf, geht in trotziger Loslösung von allen bisherigen Zwängen und Pflichten mit der Pferdedroschke auf jene große Fahrt von Berlin nach Paris, die ihn berühmt macht. Im Wiesbadener Schlussbild triumphiert er, aber seine Welt vergeht. Das erinnert alles irgendwie an Falladas Roman und bleibt doch viel weniger. Ein Zwitter eben –  keine Literatur mehr und noch keine richtige Theaterkunst. Immerhin ein Abend, so kurzweilig und "herzzerreißend" wie ein gut gemachtes Tragikmusical.                                  Andreas Pecht


Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck 24. Januar 2012)

---------------------------------------------------------
Wer oder was ist www.pecht.info?
---------------------------------------------------------


Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken