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2012-02-20 Konzerteinführung:

2.
Orchesterkonzert im Görreshaus Koblenz 2011/2012. Mit Rheinischer Philharmonie unter Torsten Janicke. Solisten: Heike und Torsten Janicke

"Concertante"

(Unkorrigiertes Vortragsmanuskript. Mündliche Ausführung teils abweichend)


ape. Was könnte eine angemessene Begrüßung am heutigen Nachmittag sein (Fastnachtssonntag 19.2.2012)? Vielleicht diese: HELOLAULAF! Damit wäre allen karnevalistischen Lokalpatriotismen im Grenzland zwischen Kölschen und Meenzerischen Narreteien Rechnung getragen. Aber weil es auch sein könnte, dass just in diesem Auditorium Fastnachtsabstinenzler in größerer Zahl vertreten sind, belasse ich es lieber beim gewohnten ...

Sehr geehrte Damen und Herrn, liebe Musikfreunde, seien Sie herzliche willkommen zum 2. Görreshaus-Orchesterkonzert in dieser Spielzeit.
Es sind im heutigen Konzertprogramm drei Komponisten vertreten. Alle drei stammen aus einem Zeitraum zwischen Mitte des 18. und frühem 19. Jahrhundert. Einen der drei, den frühesten, kennt alle Welt: Wolfgang Amadeus Mozart. Zur Erinnerung nur nochmal dessen Lebenseckdaten: Geboren am 27. Januar!!! 1756 in Salzburg, gestorben 1791 in Wien. Seine 1776 entstandene „Haffner-Serenade“ wird das Konzert nachher beschließen.

Mozart ist neben Beethoven sogar in musikfernen Kreisen wohl der berühmteste aller  berühmten Komponisten. Von ihren beiden anderen heute vertretenen Kollegen dürfte man indes allenfalls im Kernbereich der passionierten Klassikgemeinde schonmal gehört haben. Weshalb ich ein besonderes Augenmerk auf Juan Crisostomos de Arriaga und Rudolph Kreutzer hatte richten wollte. Richtiger müsste man wohl sagen Rodolphe Kreutzeeer, denn der Herr war Franzose. Für Arriaga klappt das mit dem besonderen Augenmerk, für Kreutzer nicht. Warum erzähl ich Ihnen später.

Also sprechen wir zuerst über Arriaga. Der war Spanier. Oder, um politisch korrekt zu sein: Er wurde 1806 im baskischen Bilbao geboren. Er erblickte als Sprössling einer wohlhabenden und musikliebenden Familie das Licht der Welt – und zwar am 27. Januar, also auf den Tag genau 50 Jahre nach Mozart. Der gemeinsame Geburtstag sollte nicht die einzige Verbindungslinie bleiben, die von Arriagas Zeitgenossen und von der interessierten Nachwelt zwischen ihm und Mozart gezogen wurde. Verbindungslinien, die dem Basken schließlich unter der Bezeichnung „spanischer Mozart“ ein eigenes Kapitel in der Musikgeschichte einbrachten.

Es ist nur ein kurzes Kapitel, aber durchdrungen von einem Raunen, das andeutet: Dieser Arriaga hätte zu einem ganz Großen heranwachsen können – wäre er nicht schon mit 19 Jahren an Tuberkulose gestorben. Denn wie Wolfgang Amadeus sei er ein komponierendes Wunderkind gewesen. Annahmen, Vermutungen, Legenden gibt es diesbezüglich eine Menge. Die Beweislage ist indes etwas vage. Gesichert scheint allerdings, dass Juan Crisostomo bereits im Alter von 12 Jahren erste Kammermusikstücke und eine Ouvertüre komponierte.

Mit 14, auch das steht fest, schrieb er gar eine Oper. Die soll unter dem Titel „Los esclavos felices“ sogleich und sogar mit einigem Erfolg in Bilbao aufgeführt worden sein. Von diesem Werk sind leider nur Fragmente erhalten. Sie alle, meine Damen und Herrn, wissen, dass dem kindlichen Wolfgang Amadeus stets sein Vater, der Komponist Leopold Mozart, als Lehrmeister zur Seite stand oder besser: als Antreiber im Nacken saß. Anders beim  kleinen Juan Crisostomo: Der soll – angeblich – seine frühen Arbeiten zu Wege gebracht haben ohne spezielle Ausbildung, ohne musikhandwerkliche Anleitung. Das wäre in der Tat phänomenal – allerdings bewegen wir uns da bereits wieder im Reich unbewiesener Legenden.

Gesichert ist hingegen, dass Arriaga 1821 nach Paris übersiedelte und am dortigen Konservatorium bei namhaften Lehrern wie Pierre Baillot und Francois-Joseph Fetis eine ausgezeichnete Musikausbildung erhielt. Lehrer, Kollegen und andere Zeitzeugen von damals attestieren dem Studiosus frappierend schnelle Fortschritte in sämtlichen Kompositionstechniken. Die nutzte der junge Mann auch sofort für seinen eigenen unermüdlichen Schaffensdrang.

Arriaga muss ein  Arbeitstier gewesen sein, ein Berserker, ein Besessener geradezu, der keinerlei Rücksicht auf die eigene Gesundheit nahm. Er errang die Aufmerksamkeit der Pariser Musikwelt. Die verfolgte die Entwicklung des Talents gespannt – nicht ohne Hoffnung auf den glanzvollen Aufstieg eines neuen Musikgenies. Komposition um Komposition brachte Arriaga in rascher Folge hervor, so dass bis zu seinem frühen Tod 1826 ein für diese kurze Lebensspanne von nichtmal 20 Jahren erstaunlich umfangreiches Oeuvre entstand.

Dazu gehören Werke nach der italienischen Manier jener Zeit mit virtuosen Solostimmen zu vergleichsweise schlichter Begleitung sowie kunstvoll nach traditioneller Kontrapunktik gewirkte Arbeiten. Dazu gehören drei hochwertige Streichquartette, die den Weg ins Standardrepertoire europäischer Kammermusik gefunden haben. Dazu gehören Klaviermusik und Lieder mit fast Schubert'scher Färbung und durchaus auch spanischen Folkoreanklängen. Oder Sakralmusik wie jene achtstimmige Chorfuge, von der Cherubini als Meisterwerk schwärmte.

Und zu diesem Qeuvre gehört eine einzige Sinfonie, diejenige in D-Dur, die wir nachher zum Konzertauftakt hören werden. Wann genau sie entstand, ist ebenso unklar wie die Frage, ob sie zu Lebzeiten des Komponisten uraufgeführt wurde. Erstmals nachgewiesen ist eine Aufführung anno 1888. 

Nach seinem Tod 1826 geriet Arriaga für etwa ein halbes Jahrhundert fast in Vergessenheit. Wir haben hier im Görreshaus während der letzten Jahre immer wieder über jene große kulturelle Strömung gesprochen, die im Zuge der Romantik und des aufkommenden Zeitalters der Nationalstaaten auch die Musikwelt ergriff:  Von Russland über Ost- und Mitteleuropa, von Skandinavien bis auf die iberische Halbinsel und darüber hinaus bis nach Lateinamerika begaben sich im weiteren 19. Jahrhundert neben Literaten auch zahllose Musiker auf die Suche nach für ihre Heimatregionen typischen Kulturelemente. Im Rahmen dieser Bewegung erinnerten sich die Spanier an „ihren Mozart“. Arriaga erlebte eine Renaissance – und wird bis heute als eine Zentralfigur vor allem der klassischen baskischen Nationalkultur verehrt.

Mit Rodolphe Kreutzer, dem zweiten Komponisten an diesem Nachmittag, ist es, wie anfangs schon angedeutet, schier zum Verzweifeln. Jeder Geiger kennt dessen „42 Etuden und Capricen“ als Standard-Schulwerk der violinistischen Ausbildung. Fast jeder Klassikliebhaber weiß, dass Beethoven ihm die Violinsonate Nr. 9 opus 47 gewidmet hat, die berühmte Kreutzer-Sonate. Aber wenn Sie in  landläufigen Musiklexika stöbern, finden Sie über diesen Herrn Kreutzer gar nichts. Und selbst Internet-Alleswisser Wikipedia stammelt sich nur ein paar wenige Sätze über ihn zusammen.

So stehst du denn bei deinen Vortragsvorbereitungen ziemlich dumm da – zumal das eigene Gedächtnis auch nicht mehr hergibt als eine Kreutzer-Erinnerung, die sich als Sackgasse erweist: Sie führt zu einem süddeutschen Biedermeierkomponisten namens Conradin Kreutzer, der mit unserem französischen Rodolphe Kreutzer aber nichts zu tun hat.

Es ließen sich aus den Tiefen der Bücherregale schließlich doch noch ein paar biografische Hinweise zusammenklauben, die eine recht interessante Persönlichkeit vermuten lassen. 1766 in Versailles geborenen und 1831 in Genf gestorbenen brachte Kreutzer es immerhin fertig, inmitten der französischen Revolutionswirren als Orchestergeiger, Violinvirtuose, Musikprofessor, Komponist und Dirigent in Paris Karriere zu machen. Und das, obwohl ihn bekanntermaßen dort zuerst Marie-Antoinette protegiert hatte. Sie erinnern sich, das war die Gemahlin von König Ludwig XVI. Der sagte man fälschlicherweise, aber doch passend, den impertinenten Spruch nach: Wenn die Armen von Paris kein Brot haben, dann sollen sie eben Kuchen essen.

Dass ausgerechnet ein Protegé dieser Dame um 1789 folgende in Paris am ersten Geigenpult des Theatre Italien und der Opera Grande Platz behalten konnte, ist ziemlich verwunderlich. Nachher wurde Kreutzer in die Privatkapelle Napoleons engagiert und 1817 avancierte er zum Chef der Pariser Oper. Dort ließ er etliche der von ihm komponierten 39 oder 40 Opern aufführen – von denen meines Wissens nicht eine einzige sich einen festen Platz im späteren Repertoire des europäischen Opernbetriebes erobern konnte. Ob zu Recht oder zu Unrecht kann ich nicht beurteilen, weil auch mir noch nie eine davon begegnet ist.     

Ähnlich verhält es sich mit anderen Werken von Kreutzer, beispielsweise seiner Ballettmusik, seinen 3 konzertanten Sinfonien oder den 19 Violinkonzerten: Sie spielten im Konzertleben des 20. und bisherigen 21. Jahrhunderts einfach keine Rolle. Und bis heute sind auch CD-Einspielungen mit Musik von ihm arg dünn gesät.

Kurzum: Die meisten von uns dürfen sich heute hier im Görreshaus freuen auf die Erstbegegnung mit einer Kreutzer-Komposition: der Sinfonia concertante E-Dur aus dem Jahr 1803. Geschrieben für zwei Soloviolinen und Orchester, verbindet das zweisätzige Stück die Gattung der klassischen Sinfonie mit derjenigen des Virtuosenkonzertes für mehrere Soloinstrumente. Das war um die damalige Jahrhundertwende herum ein musikalischer Trend.

Und da wir heute mit den Geschwistern Heike und Thorsten Janicke zwei Geiger von besonderem Rang zu Gast haben, bot es sich an, sie mit einem entsprechend besetzten Werk brillieren zu lassen. Einem Werk aus der   sehr einflussreichen geigerischen Virtuosenschule Frankreichs um 1800. Zu dieser Schule gehörte neben Giovanni Battista Viotti, Kreutzer und anderen übrigens auch Arriagas Pariser Lehrer Pierre Baillot.

Kommen wir nun zum zweifelsfrei bekanntesten Werk des heutigen Konzerts: Mozart Haffner-Serenade von 1776. Nicht zu verwechseln mit Mozarts Haffner-Sinfonie, die erst 1782, also sechs Jahre später entstand. Wobei in beiden Fällen der Auftraggeber derselbe war: Sigmund Haffner der Ältere, seines Zeichens wohlhabender Kaufmann und Bürgermeister der Stadt Salzburg. Die Sinfonie hatte er bestellt, um seinen Sohn Sigmund Haffner den Jüngeren für den Erwerb irgendeines Adelstitels zu ehren.

Die Serenade war sechs Jahre zuvor die Festmusik für den Polterabend von Elisabetta Haffner, dem Töchterchen des Herrn Bürgermeisters. Ob die Poltergesellschaft sich bewusst war, mit welch bedeutsamem Meisterwerk sie da beglückt wurde, darf dahingestellt bleiben.  Spätere Generationen erkennen in der Haffner-Serenade ein Werk, das die Galanterie der Serenadengattung, sinfonischen Anspruch und konzertante Virtuosität mit leichter, aber genialer Hand verbindet.

Dieses über acht Sätze formal, musikalisch, atmosphärisch so wunderbar vielgestaltige Werk fiel auch bei einem Großen wie Mozart nicht einfach vom Himmel.  Wolfgang Amadeus hatte in fünf vorausgegangenen Serenaden seit 1769 mit Formen, Klängen, Besetzungen, Wirkungen systematisch herumexperimentiert. Er hatte sich richtig Arbeit gemacht mit einem eigentlich simplen Genre gesellschaftlicher Unterhaltungsmusik.  Und er hat diese Unterhaltungsmusik auf ein derartiges künstlerisches Niveau gehoben, dass die Haffner-Serenade KV 250 für nachfolgende Komponisten zum idealtypischen Orientierungspunkt und Maßstab geworden ist.

Die Vielsätzigkeit galt ursprünglich als Typenmerkmal für die geringere Bedeutung der Serenaden-Gattung gegenüber der eigentlichen Kunstmusik. Mozart hebelt diese Sichtweise aus, indem er die Vielsätzigkeit benutzt für die Ausbreitung eines ungeheuren musikalischen Reichtums.  Und wie so oft bei ihm, mag man auch bei dieser Musik  kaum fassen, dass es ein erst 20-Jähriger war, der sie komponierte. Zumal ein 20-Jähriger, der allerhand Flausen im Kopf hatte und dessen Lebensstil fortwährend – sagen wir mal: Siebene gerade sein ließ.

Schon der Anfang ist umwerfend: ein Kopfsatz ausgeprägt sinfonischen Zuschnitts. Dann die Sätze 2 bis 4: Sie stellen gewissermaßen ein komplettes Violinkonzert dar, bloß eingebaut in eine Serenade. In diesem Abschnitt findet sich alles, was ein Solokonzert ausmacht: Tiefempfundener, zarter  Gefühlsausdruck im Andante; später auftrumpfende Hochgeschwindkeits-Virtuosität; im dazwischenliegenden g-moll-Menuett ein wiederum  starker subjektiver Ausdruck, diesmal aber ins Düster-Dramatische gleitend. Diese Färbung fängt Mozart vorübergehend ab mit einem verspielten, sehr hübschen Trio, in dem die Solovioline nur von Bläsern begleitet wird.

Sie werden übrigens dieses Menuett sofort erkennen an einem ihnen wohlvertrauten Volksliedanfang: „Im Märzen der Bauer die Rösslein  einspannt“. Nur dass das Motiv bei Mozart in Moll auftaucht. Es wäre eine eigene Untersuchung wert, ob Mozart eine Anleihe beim Volksliedgut nahm oder umgekehrt. Das Lied stammt angeblich aus dem 19. Jahrhundert, also wäre die Haffner-Serenade zuerst da gewesen. Aber bei Volksliedern weiß man das nie so genau, die spukten oft schon Generationen über Märkte und durch Bauernstuben bevor irgendein Chronist Notiz davon nahmen.

Aber wie auch immer es sich verhalten mag: Zu hören, wie Mozart das schlichte Motiv durcharbeitet, veredelt, adelt, ist sowieso ein Kunsterlebnis von eigenem Wert. Das gilt noch mehr für die Empfindsamkeit dieser Serenade gerade in den beiden Andante-Sätzen sowie dem Adagio des Schluss-Satzes. 

Es ließe sich noch unendlich viel sagen zu dieser Haffner-Serenade. Ich will meine Betrachtung – auch mit Blick auf die Uhr – aber jetzt beschließen. Und zwar mit einem Satz des deutschen Musikhistorikers Hermann Abert, über den ich bei der Vorbereitung fiel. Abert –  1920 Nachfolger des berühmten Musikwissenschaftlers Hugo Riemann an der Universität Leipzig – sagte über Mozarts Haffner-Serenade, sie sei „ein richtiges musikalisches Festgedicht, bald hochpathetisch, bald liebenswürdig verbindlich, bald geistvoll plaudernd“.
                                                                                     Andreas Pecht

(Vortrag gehalten am 19. Februar 2012 im Görreshaus Koblenz)

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