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2012-03-02 Vorbericht:

Nazarener-Ausstellungen in Remagen, Mainz, Speyer erhellen die Bedeutung der im 19. Jahrhundert einflussreichen Kunstrichtung


Die Nazarener in Rheinland-Pfalz


ape. Rheinland-Pfalz. „Ich bin seit sechs Jahren an diesem Thema dran“, erklärt Thomas Metz, Chef der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) Rheinland-Pfalz. Das Thema heißt: Wirken und Hinterlassenschaft der Nazarener Malerschule in diesem Bundesland erfassen und deren große Bedeutung der Öffentlichkeit vor Augen führen. Keine einfache Aufgabe, aber eine spannende. Denn ob in Trier, Koblenz, Mainz, Speyer oder andernorts von der Eifel bis in die Pfalz: Nazarener-Werke sind über das ganze Land verteilt, es gab und gibt sie in ähnlicher Fülle wie im Umfeld der einstigen deutschen Hochburgen dieser Kunstrichtung des 19. Jahrhunderts in München, Frankfurt und Düsseldorf.

„Das Thema“ erfährt nun 2012 eine opulente Realisation in Form dreier arbeitsteiliger Ausstellungen: im Arp-Museum Remagen-Rolandseck (25.3. bis 16.9.),  im Landesmuseum Mainz (10.6. bis 25.11.) und anschließend im Speyerer Dom. Zusätzlich erscheint ein eigens erstellter Kunstführer, der stationäre Wand- und Altarbildern der Nazarener an 35 Orten in Rheinland-Pfalz vorstellt – von Pfälzer Landkirchen über die Dome Speyer und Mainz bis zu St. Kastor in Koblenz, der Schlosskirche Sayn oder der Apollinaris-Kirche Remagen.

Doch die Kampagne hebt nicht bloß auf die Fülle der nazarenischen Spuren ab. Vielmehr richtet sie das Augenmerk auf einen lange kaum beachteten Umstand: Auf dem Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz kreuzten sich die Wege gleich dreier verschiedener Nazerener-Schulen. Ein derartiges Zusammentreffen gebe es sonst nirgends in Deutschland, erläutert Norbert Suhr, der mit Nico Kirchberger im Landesmuseum Mainz die zentrale kulturhistorische Gesamtschau der Nazarener-Kampagne 2012 kuratiert.

Drei Nazarener-Schulen wirkten im Land

Wie kam es zu drei Schulen? 1809 gründeten in Wien Schüler der Kunstakademie aus Opposition zum klassizistisch dominierten Lehrbetrieb den „Lukasbund“. Inspiriert von den religiösen Romantikidealen etwa Friedrich Schlegels strebten sie einen Wandel in der Kunst an: Weg von der Antiken-Orientierung und dem aufklärerischen Realismus ihrer Lehrer; hin zum sakralen Bild, das nach dem Beispiel spätmittelalterlicher Meister wie Albrecht Dürer oder der Italiener aus der Zeit vor Raffael dem christlichen Glauben dienen sollte. Die dem Katholizismus verschriebene Gruppe um Friedrich Overbeck und Franz Pforr ließ sich 1810 in einem leeren Kloster bei Rom nieder. Gleichgesinnte Kollegen wie Peter Cornelius, Wilhelm Schadow oder Philipp Veit stießen dazu. 

Die Einheimischen belegten die deutschen Kunsteremiten mit dem Spottnamen „i Nazareni“, nach einer alten römischen Haarmode. Diese „Nazarener“ wurden in der  Folgezeit eine starke Kraft in der  Kunst erst Italiens, dann auch Deutschlands. Hier spaltete sich die Bewegung ab den 1820er/30er-Jahre in drei Richtungen mit durchaus unterschiedlicher Stilprägung auf. Die jeweiligen Zentren dieser Strömungen waren die Kunstakademien in München und Düsseldorf sowie das Städel'sche Kunstinstitut in Frankfurt a.M. Dort nahmen vermehrt Nazarener Lehr- und Leitungsfunktionen ein – der nazarenische Stil sollte die Kunst der gesamten Romantik beeinflussen.

Norbert Suhr weist auf einen interessanten geschichtlich-politischen Zusammenhang hin: Der Einfluss jener drei Nazarener-Schulen spiegelt die damals dreigeteilte Herrschaft über das Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz wider – im Norden hatte Preußen das Sagen, in der Mitte Hessen und im Süden Bayern. Dementsprechend erfolgte die Ausmalung des Doms zu Speyer mit nazarenischen Fresken ab 1846 im Auftrag von Bayernkönig Ludwig I. durch Johann von Schraudolph, Lehrer an der Münchner Kunstakademie. Fresken im Mainzer Dom gehen hingegen auf Philip Veit zurück, den langjährigen Direktor des Städelschen Instituts in Frankfurt und nachherigen Leiter der Mainzer Gemäldesammlung. Im Norden des Landes, in der preußischen Rheinprovinz, kamen vor allem Schüler des Düsseldorfer Akademiedirektors Wilhelm Schadow zum Zuge: Ernst Deger beispielsweise, ab 1843 beteiligt an der Gestaltung der Apollinaris-Kirche Remagen, und ab 1853 von Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. mit der Ausgestaltung der Kapelle von Schloss Stolzenfels beauftragt.

Moderne im Dialog mit der alten Kunst

Gemäß seiner Ausrichtung als Kunstmuseum mit Moderne-Schwerpunkt sucht das Arp-Museum zum Auftakt der Nazarener-Kampagne einen spezifischen Zugriff auf das Thema. Direktor Oliver Kornhoff beschreibt das Konzept für die am 25. März beginnende Ausstellung „Die Eroberung der Wand. Nazarener im Blick der Gegenwart“ als Dialog auf mehreren Ebenen. Im Zentrum der Schau stehen Fresken der zwölf Apostel aus Johann Schraudolphs umfassenden Ausmalungen des Speyerer Doms in den 1840ern.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis weit ins 20. hinein verlor der nazarenische Stil in der Kunstwelt Ansehen und Bedeutung, wurde gar als Kitsch abgetan. Das führte in Speyer dazu, dass über die 1950er/60er Schraudolphs Fresken aus dem Dom entfernt wurden – teils zerstört, teils aber auch auf  Rollen gezogen und so im Depot erhalten. Mit der Anfang des 21. Jahrhunderts allenthalben einsetzenden Wiederentdeckung der Nazarener hat auch eine Neubetrachtung der Speyerer Fresken und deren Restaurierung begonnen. Ein Ergebnis davon sind besagte zwölf Apostel. Jüngst in der Werkstatt Wurmdobler aufgearbeitet, werden den männlichen Heiligenbildern aus dem 19. Jahrhundert im Arp-Museum zwölf Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen gegenübergestellt, die eigens für diesen Zweck gefertigt wurden.

Kulturhistorische Gesamtschau nebst Entdeckungen

Die kulturhistorische Gesamtbetrachtung im Rahmen der Nazarener-Kampagne übernimmt das Landesmuseum Mainz mit der am 10. Juni beginnenden Ausstellung „Die Nazarener – vom Tiber an den Rhein. Drei Malerschulen des 19. Jahrhunderts in Rheinland-Pfalz“. Das Haus selbst verfügt über reiche Bestände nazarenischer Kunst, die teils noch auf seinen einstigen Direktor Philip Veit zurückgehen. „Damit haben wir einen guten Grundstock für die Ausstellung“, erklärt Norbert Suhr. Hinzu kommen Leihgaben aus dem gesamten Rheinland-Pfalz, den Nachbarländern und anderen Zentren der einstigen Nazarener-Bewegung.

Deren Anfänge belegt die Mainzer Ausstellung mit Zeichnungen der ersten Lukasbrüder. Sehr genau und „der Wahrheit verpflichtet“ haben diese sich gegenseitig porträtiert oder Beobachtetes skizziert. Breiten Raum nehmen im Landesmuseum Wandbilder ein, die in der nazarenischen Kunst eine zentrale Rolle spielten. Ausgangspunkt sind Fresken-Entwürfe des Johann Anton Ramboux für das Haus Hayn in Trier. Die Fresken selbst entstanden ab 1826, wurden aber 1929 beseitigt. Mit originalen Skizzen, Modellen und Kartons folgt die Ausstellung dann dem Wirken zweier Nazarener-Generationen in Kirchen und Schlössern quer durch Rheinland-Pfalz. „Bei einzelnen Wandbildern aus den Domen Speyer und Mainz können wir die Entwicklung von der Idee über die Ölskizze bis zum Karton darstellen“, so Suhr. Einen Eindruck vom Endprodukt bieten auch hier in Speyer entliehene Fresken.

Auf zwei Momente, die in der Nazarener-Forschung bisher vernachlässigt wurden, will die Ausstellung in Mainz ihr Augenmerk richten. Erstens das Bemühen der Nazarener um die Schaffung von Gesamtkunstwerken, die bei Kirchen neben den Ausmalungen oft auch die Gestaltung von Glasfenstern, Chorgestühl und Altargerät einschloss. Nach Thomas Metz dürfen die Apollinaris-Kirche Remagen und die Kapelle von Schloss Stolzenfels als herausragende Beispiele für solch ganzheitliche Kunstkonzepte gelten.

Zu Unrecht vergessene Nazarener

Das zweite Schlaglicht fällt auf zu Unrecht fast vergessene Nazarener wie Anton Dräger, Gottlieb Gassen oder Peter Rittig. Sie sind in Mainz mit sakralen Staffeleibildern vertreten, die auf augenfällige Weise das nazarenische Ideal von der religiös inspirierten wie inspirierenden Malerei  erfüllen. Schließlich wendet sich die Ausstellung auch Tendenzen innerhalb des Nazarenertums zu, die die Berührung mit anderen malerischen Strömungen ihrer Zeit nicht scheuten. So lassen sich etwa bei Ramboux, Joseph Anton Settegast oder Eduard von Heuß auch Einflüsse erkennen, die gewöhnlich nicht mit den Nazarenern in Verbindung gebracht werden.

Nach Abschluss der Ausstellungen im Arp-Museum und im Landesmuseum Mainz werden im  Spätherbst die einst im Speyerer Dom abgenommenen Fresken an ihren Entstehungsort zurückkehren: Um in der dann dort beginnenden Ausstellung zur Nazarener-Kunst im Dom – im bis dahin eigens renovierten Kaisersaal – den ihnen angemessenen Platz einzunehmen.  
                                                                                     Andreas Pecht


(Erstabdruck einer kürzeren Fassung am 2. März 2012)

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