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2012-03-19 Schauspielkritik:

Am Theater Bonn versucht Niklas Ritter eine neue Sicht auf Brechts "Leben das Galilei"

Herr Galilei verliert den Glauben
an die Vernunft


 
ape. Bad Godesberg. Bert Brecht ist etwas aus der Mode gekommen. Dennoch bleibt eine handvoll seiner Werke als Bühnenstoff wie Schullektüre unverwüstlich. Dazu gehört vorneweg „Leben des Galilei“, das große Disput-Schauspiel über die Beziehungen zwischen Vernunft und Macht, Wissenschaft und Markt, Lebenslust und Heldentum. An den Godesberhger Kammerspielen des Theaters Bonn hat Niklas Ritter jetzt einen klugen Versuch unternommen, das Stück von 1943/1955 mit heutigem Regie-Usus zu packen.
 

Von pittoresker Gelehrtenstube keine Spur: Der Abend beginnt als Varieté.  Glatzköpfiges Personal in weißen 20er-Jahre-Kostümen gibt vor schwarzem Show-Vorhang Skurrilitäten. Der Brecht'sche Klassiker bloß noch gut für alberne Lustbarkeit? „Eh, scusi, basta“: der Streit zwischen Galilei und dem Uni-Kurator ums Gehalt wird zum italophilen Gefeilsche. Dabei kommt Stephan Preiss als Kurator nicht zufällig daher wie Berlusconi. Das macht Spaß und stört Brecht so wenig wie die Besetzung des Andrea Sarti mit einer Frau (Ines Schiller). Wenn das Original einen Buben aus dem Volk als den hellsten unter Galileis Zeitgenossen vorstellt, passt es heute, diese Provokation einem gelehrigen Powergirl anzuvertrauen.

Es gibt etliche solch sinnhafter Übertragungen in Ritters Inszenierung. Allerdings verstecken die sich oft in Komik-Effekten, wuchtig aufgefahren auch für die Szenen im Vatikan. Dort muss Galilei antanzen, um erst seine Beweise für das heliozentrische Weltbild prüfen zu lassen, sie schließlich unter Folterdrohung zu widerrufen. In Bonn ist das päpstliche Rom als lachhafte, vom Inquisitor (saftig karikierend: Günter Alt) moderierte Modenschau zu erleben.

Da präsentieren Models  auf einem zwischen Chorgestühl gebauten Laufsteg knuffige Klerikalgewänder für eitle Nonnen, Mönche, Prälaten, Päpste. Eine hoch in den Raum gebaute echte Orgel spielt dazu (Bühne: Michael Graessner). Das lässt sich leicht als urkomisches, aber sinnloses Comedy-Intermezzo abtun. Doch genauer bedacht: Galilei hatte es 1616/1633 real mit bigotten, auf Pfründe, Macht, Wohlsein erpichten Kirchenfürsten zu tun.

Ähnlich verhält es sich mit den Kostümen (Ines Burisch). Die scheinen beliebig allen Zeitaltern entliehen –  von den Varieté-Anzügen über viktorianische Halskrausenkleider bis zu heutigen Outfits im Hause des alten, unter Kirchenkuratel gestellten Galilei. Doch wieder genauer bedacht: Die Inszenierung verdichtet nicht nur das Leben des Physikers zu einem Jahre fast bruchlos verschmelzenden Prozess, sie verfährt mit den Jahrhunderten ebenso. Weshalb Brechts Fragen zwar zeitgemäße Metamorphosen durchmachen, zugleich aber ihre im Grundsatz überzeitliche Gültigkeit behaupten.

Bernd Braun verleiht der Titelfigur eine ungewohnte Färbung. Ein allweil zynischer bis schier depressiver Unterton treibt diesem Galilei die Begeisterung an der Lust des Denkens, beinahe sogar an gutem Essen und Trinken aus. Sein „ich glaube an die Vernunft“ ist angesichts des Gangs der Dinge im 20. und 21. Jahrhundert nurmehr trotziges Klammern an eine Illusion. Und er weiß es.
                                                                                         Andreas Pecht

Infos: >>www.theater-bonn.de

(Erstabdruck 19. März 2012)

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