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2012-03-20 Schauspielkritik:

Janusz Wisniewskis düsteres wie bezauberndes Stück „Ein Jedermann“ im Staatstheater Wiesbaden

Im Wartesaal zu Himmel und Hölle
 

ape. Wiesbaden. Was sie sagen, ist oft unbegreiflich, manchmal poetisch, bisweilen unbarmherzig. Was 13 Mimen da im Wiesbadener Staatstheater spielen, ist allerdings kristallklar: Figuren, die im Wartezimmer vor dem Jenseits über das Lebens räsonieren und Sinn darin suchen. „Ein Jedermann“ heißt die von Janusz Wisniewski geschriebene und inszenierte Szenenmontage. Wer eine Variation des Hofmansthal'schen „Jedermann“ erwartet, liegt falsch.
 

Von dessen „Sterben des reichen Mannes“ bleibt beim 1947 geborenen Polen die Figur des Todes sowie der mitschwingende Gedanke an Gott und die Fatalitäten der Gottvergessenheit. Für  Wisniewski ist das ein Grundthema seit jeher. Er gilt als christlicher Mahner unter den   Theatermachern. Doch nutzt er das Theater weniger als Kanzel, denn als Ort der genauen Beobachtung menschlicher Lebensart, der Befragung ihrer jeweiligen Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit.

Die vom Regisseur entworfene Bühne sieht aus wie eine zerschlissene Version von Pina Bausch' „Café Müller“. Ein paar quadratische Tische mit alten Stühlen möblieren den kargen Raum, in dem  Kommen, Gehen, knappes Verweilen herrschen. Wisniewski spricht im Programmheft von einer Pilgerkneipe. Darin treffen Jedermänner und -frauen verschiedensten Typus aufeinander oder auch nur auf sich selbst. Jeder hat alsbald eine Verabredung mit dem Sensenmann, der in Wiesbaden ein lustiger Kerl (Michael von Burg) mit Spaten ist.

Gespielt wird großenteils, als sei dies ein Theater mit mechanischen Puppen. Es ist befremdend und  zugleich reizend, wenn etwa die Dirndl-Mädels Dixi und Doxi (Franziska Beyer/Magdalena Wiedenhofer) mit puppenhaftem Entsetzen beim Karten das Sarg-Motiv ziehen; oder wenn sie mit maschineller Ungerührtheit steif die Beine zur Decke spreizen, auf dass Schriftsteller Houellebecq (Benjamin Krämer-Jenster) sich dazwischen kopulativ abmühe. Die Schauspielerei folgt präzise einer kunstvollen Bewegungschoreografie, wird zum schieren Tanz: zum Totentanz nie wirklich zu sich gekommener Wesen.

Auftritt Bill Gates und Steve Jobs (Martin Müller/Jörg Zirnstein). Im Gleichschritt dahertrippelnd, verlieren sie sich in philosophierender Lyrik über das Kleine im nicht greifbaren Großen. Auftritt alter Mann und vergessene Ehefrau (Bernd Ripken/Susanne Bard). Unendlich müde er, verbittert sie – beide Erinnerungen nachhängend: den Kämpfen, Krämpfen, Lieblosigkeiten einer sich aufgebenden Liebe. Auftritt einer Dame (Franziska Werner), deren Damenhaftigkeit fadenscheinig ist vor lauter vergeblich sehnsüchtigem Zittern nach eines Mannes Zuneigung. Auftritt  Max Beckmann und Francis Bacon (Tobias Randel/Franc Köbe). Die Maler reden wie besessen aufeinander ein, doch einander vorbei.

Und als Beckmann seine Wahrheiten über die Düsternis des Daseins hinausbrüllt, brüllen die Todgeweihten zurück: „Kreuziget ihn!“. Schlussbild: Ein aus gewalttätigen Menschen geformter Berg, auf dem der Wahrsprecher entleibt wird. Die christliche Metaphorik ist in diesem Moment unübersehbar und, ja, von unangenehmem Pathos. Dennoch bleibt die nur einstündige Produktion ein nachdenklich stimmendes wie bezauberndes Angebot auch an nichtreligiöse Zuseher. Denn Wisniewskis kritischer Blick auf den irdischen Zeitgeist ist scharf – und die eigenwillige Form des theatralischen Zugriffs ein Faszinosum.
                                                                                       Andreas Pecht                     

Infos: >>www.staatstheater-wiesbaden.de

(Erstabdruck 20. März 2012)

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