Kritiken Theater
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2012-04-30 Schauspielkritik:

„Shoot / Get Treasure / Repeat“ von Mark Ravenhill in Wiesbaden. Regie:  Hermann Schmidt-Rahmer

Islamisten-Terror plus West-Arroganz = paranoide Entdemokratisierung  


 
ape. Wiesbaden. Es mehren sich die Anzeichen für eine Renaissance des politischen Theaters. Verschwunden war es nie ganz, führte aber seit den 1980ern ein eher randständiges Dasein. Neuerdings greifen Stückeschreiber und Regisseure wieder ungeniert aktuelle Themen aus Politik und Wirtschaft auf, kneten sie mit den Mitteln des nachdenklichen, entlarvenden, auch anprangernden Theaters durch.

In diese Kategorie fielen zuletzt etwa „Das Erdbeben in London“ am Theater Bonn oder „Humankapital“ in Koblenz. Am Wochenende gab es zum Start des Heidelberger Stückemarktes    „Die Verfassung der Strände“, eine gallige Abrechnung mit der folgenlosen Erregungskultur über Ölpest, Raubbau und Supergau. Am Staatstheater Wiesbaden konfrontiert zeitgleich die Szenenmontage „Shoot / Get Treasure / Repeat“ (Schießen / Kassieren / Wiederholen) von Mark Ravenhill das Publikum mit der Frage: Warum hassen islamistische Fundamentalisten uns?

Quer über die Bühne läuft in Wiesbaden eine Betonmauer. Die steht für Mauern zwischen den Kulturen und in den Köpfen. Es sind auch Mauern aus Bildern, per Video darauf projiziert: Anschläge 9/11, Hassprediger, Folterszenen, Kriegs- und Terrorbilder aus Irak, Afghanistan, Syrien... Damit korrespondierend, entfaltet das 11-köpfige Ensemble ein zweieinhalbstündiges Spiel, das theatralische Fiktion und (vermeintliche) Wirklichkeit streckenweise kaum mehr unterscheidbar vermengt.

Hat tatsächlich am Vortag ein politischer Gewalttäter einen Schauspieler halbtot geschlagen? Die  Ansage von Uwe Kraus vor Spielbeginn wirkt so realistisch wie nachher Lars Wellings wütende Einlassung, er habe genug von der Toleranzduselei gegenüber voraufklärerischer Untergrabung unserer Lebensweise. „Sind wir bereit für unsere Werte zu kämpfen?“, ruft er Mitspielern und Publikum zu – bevor er seiner Partnerin den Umzug in eine bewachte Luxus-Siedlung vorschlägt.

Hermann Schmidt-Rahmers Inszenierung setzt auf atmosphärische Eskalation bei gleichzeitigem Wechselspiel zwischen Fiktion und vorgeblicher Realität. „Wir sind die Guten“, plappern sich demokratische, tolerante, modische Mittelstandsdamen anfangs bei Bio-Drinks und Darmflora-Talk zu. „Warum also hasst ihr uns, werft Bomben?“ Das Stück lässt Schwarz-Weiß-Malerei auf keiner Seite zu, Terror  wird nicht verharmlost. Doch überwiegt der kritische Blick auf das arrogante westliche Selbstbild.

Thematisiert wird die Verrohung der Kampftruppen im Auslandseinsatz oder die dumpfe Überheblichkeit westlicher „Wiederaufbauhilfe“. Zentral wird schließlich der Eskalationsmechanismus des Demokratieabbaus im eigenen Land zwecks „Terrorabwehr“. Da reihen sich Szenen und bedrückende Spiele (teils mit dem Publikum), die  medial befeuerten Aufbau von Hysterie und Paranoia vorexerzieren, die spürbar machen, wie daraus blanker Hass entstehen kann – und eine vormals freiheitliche Gesellschaft zu faschistoiden Zügen neigt.

Diese Art teils plakativ zuspitzenden Theaters ist nicht jedermanns Sache. Aber es hat seine Berechtigung, zumal in Umbruchszeiten wie den heutigen. Die Blickwinkel Ravenhills in der engagierten, gut gearbeiteten Spielweise der Wiesbadener zu erleben und als Warnung zu bedenken, lohnt sich.             Andreas Pecht

 

Infos: www.staatstheater-wiesbaden.de/

(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 2. Mai 2012)


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