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2012-06-14 Schauspielkritik:

Kleists Novelle "Michael Kohlhaas" in Bonn als Bühnenstück. Inszenierung: Ulrich Rasche  


Ein gewagter Balanceakt



 
ape. Bonn/Bad Godesberg. Rad des Lebens, Mahlwerk des Schicksals, Maschinerie der Macht: An Sicherheitsseile gehakt, balancieren die Schauspieler in den Godesberger Kammerspielen des Theaters Bonn auf einer gewaltigen, sich fortwährend drehenden Walze. Zusammengesetzt aus Elementen unterschiedlichen Durchmessers füllt der Gigant die Bühne in der gesamten Breite und mehr als halber Höhe. Das ist der Spielraum eines weiteren Projektes, nicht fürs Theater gemachte Literatur auf die Bühne zu bringen. Der Versuch gilt in diesem Fall Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas“.

 
Erzähltext wird in rhythmischen Sprechchören rezitiert. Dialoge werden zu frontal ins Publikum gesprochenen Monologen. Hintergrundgeräusche projizieren die Protagonisten selbst per Mikrofon auf vielspurige Tonbandschleifen. Vier Sänger weben in den Vortrag über das Geschehen um den Pferdehändler Kohlhaas solistische und chorische Oratorienpassagen (Musik: Johannes Winde). Und das szenische Bild bleibt im Grundsatz zwei Stunden lang unverändert: Kleine Menschen strampeln sich in immergleicher Bewegungsart auf der rotierenden Wölbung der riesigen Maschine ab. Kurzum: Regisseur Ulrich Rasche, der auch die Bühne entworfen hat, verwandelt Kleists Novelle gerade nicht in ein gewöhnliches Schauspiel.

Wunder dieses Abends ist, dass er das Publikum trotz seiner schieren Eintönigkeit packt, ja streckenweise erschüttert. Das rührt von der hörspielartigen Intensität, mit der die tragische Geschichte in verteilten und wechselnden Rollen erzählt wird. Das rührt von der performanceartigen szenischen Stützung des Erzählens. Das rührt von der oratorischen Inbrunst, in die Kleists diffizile Erörterung – um Recht, Gerechtigkeit und wütende, aber fragwürdige Selbstjustiz eines von den  Mächtigen willkürlich drangsalierten Mannes – getaucht wird. Und das rührt daher, dass Rasche all diese Faktoren zu einem Kunstwerk vereint, dessen emotionale Dramatik sich kontinuierlich verdichtet und steigert.

Das Personaltableau im Programmheft verweigert Auskunft über die Rollenzuschreibung der   Beteiligten. Wenn das so gewollt ist, bleibt auch diese Kritik dabei: Das Kollektiv aus neun Schauspielern/innen und vier Sängern/innen liefert eine hochdisziplinierte Gesamtleistung ab. In die formale Stringenz der Einrichtung tragen sie sprachlich, gestisch, mimisch, gesanglich Elemente des Menschlichen hinein. Das Theater folgt so den Gesetzen der klassischen Musik:  Gefühlige  Ausdrucksintensität innerhalb einer strengen Struktur.

Allerdings hält die ergreifende Spannung nicht über die gesamte Distanz. Der Abend hat beispielsweise dort Längen, wo Kleists Text ausführlicher von den militärischen Verwicklungen des Kohlhaas'schen Aufstandes erzählt. Da sperrt sich Lesestoff einmal mehr gegen die begrenzten Mittel des Theaters, zumal die besonderen des Ulrich Rasche. Dennoch bleibt als Resümee: Eine so wundersam sinnlich berührende Art, die Novelle „Michael Kohlhaas“ zu rezipieren, findet man nicht alle Tage.


Infos: www.theater-bonn.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 14. Mai 2012)


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