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2012-05-21 Ballettkritik:

Steffen Fuchs' zweite große Choreographie am Theater Koblenz

Giselle verliert ihr Herz an den Tanz


 
ape. Koblenz. Spätestens die Neuinterpretation von „Giselle“ durch Mats Ek 1982 in Stockholm hat das Ballett des Zwangs enthoben, die Titelheldin am Ende des ersten Aktes unbedingt sterben zu lassen. Denn statt die mystische Story von den Umtrieben des toten Mädchens im Kreise geisterhafter Wilis zu erzählen, versteht sich der Folgeakt seither bei vielen Choreographen als Blick ins Innenleben einer psychisch zerrütteten Persönlichkeit. So hält es jetzt auch Steffen Fuchs mit seiner zweiten Produktion als neuer Ballettchef am Theater Koblenz (wir sahen die Generalprobe).

 
Bühnenhoher Umriss eines Giebelhauses, die Front ein Lattenrost. Dorit Lievenbrück hat für die bäuerliche Sphäre des Anfangs eine doppeldeutige Kulisse entworfen: Verstehbar als Scheunentor, zugleich als Vergitterung von Giselles Lebenswelt. Darin stapfen mit schweren Schuhen Buben und Maiden in gleichförmiger Parade umher. Einfaches Bauernvolk, eng gebunden an Traditionen und Normen. Doch es ist eine sympathische Stärke dieses Abends, dass es sich nicht dumpfbacken vorführen muss, vielmehr in die Globigkeit auch Selbstbewusstsein und bald eine ganz eigene Art von Leichtigkeit einflechten darf.

Solche Anflüge schaut sich das Landvolk neugierig bei Giselle ab. Als zarter Sonderling umflattert sie die kräftigen Arbeitsleut'. Wie Yolanda Bretones Borra ihre Figur die beglückenden Möglichkeiten des Tanzes entdecken lässt, sich von zaghaft tastenden Schritten zur kunstvollen Ballerina entwickeln: Dieser Prozess ist in seiner fein ziselierten Kleinteiligkeit die eigentliche, die  anrührende Erzählung in Fuchs' Choreographie. Wer genau hinschaut, findet in den sich verdichtenden Variationen von Giselles Fußarbeit, ihres Gestus, ihrer Körperdynamik die Entwicklung einer Persönlichkeit von tradierter Beengung zu freier Selbstbestimmtheit.

Als Katalysator dient Edelmann Albert. Die Anmut des Bauernmädchens zieht ihn an, weshalb er als einfacher Mann verkleidet, Giselle die Tür zu höherer Lebensart aufstößt.  Das tanzt Yao-Yi Hsu als schönen Mischausdruck aus Hingerissensein, Belehrung sowie Spielerei zwischen Freundschaft und Liebelei. Begierig greift das Mädchen danach, gewinnt für sich eine neue Welt, verliert zugleich ihr Herz an den in Wahrheit mit einer Frau seines Standes (Irina Golovatskaia) Verlobten. Und sie verliert das Herz an eine Kunst, die ihrer kränklichen Konstitution wenig zuträglich ist.

Das Ballett wird zur Metapher auf eine Selbstfindung und Befreiung, deren unglücklicher Ausgang von vornherein feststeht – und zum Ende des ersten Teils im Totalzusammenbruch der Titelfigur kulminiert. Bis dahin ist der Abend geprägt von kluger bis gewitzter, klar ausgeformter Vielschichtigkeit, Farbigkeit, Ausdruckskraft. Danach wird alles anders. Das gebrochene Herz  Giselles zaubert wirre bis sehnsüchtige Traumbilder auf die Bühne.

Dass Fuchs dabei die Erzählstruktur des ballet-blanc-Originals von 1841 aufgibt, ist schlüssig, aber riskant. Denn der Akt mutiert nun zu einer Reihung von Passagen surrealen oder puren Tanzes, die  recht länglich ausfallen. Etwa ein Schleiertanz der Wilis. Schleiertänze sind Geschmackssache –  hübsch für den Moment, tragen sie kaum über weite Distanz, weil sie selbst feingliedriges Tanzen in die Eintönigkeit des Ungefähren verwandeln. Für Koblenz sind auch die Pas de Deux von Yolanda  Bretones Borra und Yiao-Yi Hsu zum Ende hin bemerkenswerte Leistungen. Aber die Choreographie lädt ihnen Längen auf, die mit der örtlichen Tanzklasse (noch) nicht auf selbsttragendem Niveau zu füllen sind.

So darf dieses Choreographie von Steffen Fuchs als interessant und sehenswert resümiert werden. Freilich differenziert nach faszinierender Handschrift im Anfangsteil und weniger überzeugenden Ausarbeitungen im Schlussteil.  Andreas Pecht



Infos: www.theater-koblenz.de


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 21. Mai 2012)


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