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2012-06-11 Ausstellungsbesprechung:
 
Die Wiederentdeckung der Nazarener
in Rheinland-Pfalz

Ausstellung im Landesmuseum Mainz als Angelpunkt einer landesweiten Kampagne zur lange verpönten Kunstrichtung des 19. Jahrhundert

ape. Mainz. Es ist, als betrete man den Mittelgang einer Kirche. Einem Altarbild gleich prangt am andern Ende des ehemaligen Marstalls mit seiner Gewölbedecke ein großformatiges Gemälde frommen Inhalts. An den Seiten reihen sich viele weitere Bildnisse – wie dereinst und teils bis heute nazarenische Fresken in den Domen zu Speyer oder Mainz. Der Eindruck eines Sakralraumes ist Inszenierungsteil der an diesem Sonntag im Landesmuseum Mainz eröffneten Ausstellung „Die Nazarener  – Vom Tiber an den Rhein. Drei Malerschulen des 19. Jahrhunderts“.


Anton Dräger: Heilige Cäcilie. 1822, Schlossmuseum Weilburg

Dies ist nicht primär eine Kunstausstellung, sondern eine kulturhistorische Spurensuche und Bestandsaufnahme. Sie geht dem Phänomen der Nazarenerkunst nach. Einer Kunstrichtung, die im 19. Jahrhundert zeitweise Avantgarde war, hernach als vermeintlich religiöser und künstlerischer Kitsch derart in Verruf geriet, dass Nazarener-Werke im 20. Jahrhundert selbst auf Geheiß von Denkmalschützern und Kirchenoberen aus mancher Kirche entfernt wurden.

So erging es in den 1950ern den Fresken des Johann von Schraudolph, mit denen der Speyerer Dom bis dahin rund 100 Jahre lang über und über ausgeschmückt war. Anhand einer (Engel mit Schofar) der damals abgenommenen Fresken thematisiert die Mainzer Schau sowohl jenen „Bildersturm“ als auch die in jüngster Zeit wieder einsetzende Wertschätzung für die Nazarener-Kunst und die damit verbundenen Restaurierungsbemühungen der einst lieblos weggepackten Werke.

130 Exponate von 40 nazarenischen Künstlern sind im Landesmuseum versammelt. Nicht wenige stammten aus heute rheinland-pfälzischen Gebieten oder hinterließen hier reichhaltige Spuren. Etwa der fast vergessene Koblenzer Peter Rittig. Zusammen mit dem 1794 in Münstermaifeld geborenen Anton Dräger wird er im Zuge der Ausstellung quasi wiederentdeckt. Drägers Gemälde „Heilige Cäcilie“ kann fast als Sinnbild für die Stilprogrammatik der Nazarener gelten: Kräftige Farben; klar abgegrenzte Formen und Linien; nicht nur, aber doch überwiegend religiöse Sujets mit inbrünstigem Ausdruck.

Reinheit, Wahrheit und Orientierung an Altmeistern wie Raffael, Tizian und vor allem Dürer, das waren Kernpunkte der im frühen 19. Jahrhundert in Rom von Wiener Akademieschülern gegründeten, vornehmlich der katholischen Romantik verschriebenen Nazerenerkolonie. Von dort verbreitete sich deren Kunststil über den deutschen Raum, dominierte um die Mitte des Jahrhunderts die Kunstakademien in München, Düsseldorf und am Frankfurter Städel.

Die Mainzer Ausstellung  beleuchtet das Schaffen aller drei Nazarener-Schulen. Denn jede hat auf ihre eigene Weise in das heutige Gebiet von Rheinland-Pfalz hineingewirkt. Das macht das Land zu einem Kulminationspunkt nazarenischer Kunst unterschiedlicher Ausprägung – und zugleich zum Spiegel unterschiedlicher politischer Einflusssphären damals: Münchner Nazarener wirkte im Dienste des Bayernkönigs Ludwig I. in Speyer und der Pfalz, Frankfurter für Hessen-Darmstadt in Rheinhessen und Mainz, Düsseldorfer im Auftrag von Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. im rheinischen Landesteil.

So begegnen einem jetzt in Mainz Zeichnungen, Gemälde, Fresken von Nazarenern, die in verschiedenen Ecken von Rheinland-Pfalz ihre Handschrift hinterlassen haben.  Darunter Philipp Veit – erst Direktor des Städels, später der Mainzer Gemäldegalerie und Urheber der Ausmalungen des Mainzer Doms. Darunter Ernst Deger aus dem Düsseldorfer Kreis, maßgeblich an den Ausmalungen der Apollinariskirche Remagen sowie der Kapelle von Schloss Stolzenfels beteiligt. Darunter der Trierer Johann Anton Ramboux, von dem Glasfensterentwürfe für St. Kastor in Koblenz stammen.

Unverkennbar ist das Bemühen der Ausstellung, zur rehabilitierenden Neubewertung der Nazarener nicht zuletzt in Rheinland-Pfalz selbst beizutragen. Denn ob Farbglasfenster in der Kapelle von Schloss Sayn oder Fresken im Gebetsraum eines Niersteiner Weingutshauses, ob Ausmalungen in St. Gangolf zu Trier oder Altargemälde in Dernbach/Westerwald: Das Nazarener-Erbe ist hierzulande weit größer als das Bewusstsein darüber. Weshalb noch bis September sich auch das Arp-Museum Rolandseck dem Nazarener-Thema widmet. Dort setzen sich moderne Künstlerinnen mit Apostelfresken aus Speyer auseinander.

Im November schließlich erfährt das Nazarener-Jahr einen denkwürdigen Schlusspunkt: Im Kaisersaal des Doms zu Speyer wird eine neue Dauerausstellung eröffnet, die den in mehrjähriger liebevoller Arbeit von Vitus Wurmdobler restaurierten Schraudolph-Fresken wieder die Ehre erweist.  Andreas Pecht

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Infos

Die Auststellung „Die Nazarener – vom Tiber an den Rhein“ im Landesmuseum Mainz dauert bis  25.11.2012.  Öffnungszeiten:
Mi – So 10 – 17 Uhr, Di 10 – 20 Uhr, Mo geschlossen. Weiter Infos unter >>www.landesmuseum-mainz.de, Tel. 06131/28 57 0.

Zur Ausstellung gibt es ein gleichnamiges Katalog-Buch, 240 Seiten, 29,95 Euro. Parallel ist ein Kunstführer „Reisewege zu den Nazarenern in Rheinland-Pfalz“ (120 Seiten, 9,95 Euro) erschienen, der stationäre Nazarener-Werke an rund 30 Orten quer durchs Land vorstellt. Beide Bücher im Verlag Schnell & Steiner. 


(Erstabdruck/-veröffentlichung außerhalb dieser website
am 9. Juni 2012)

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Früherer Artikel zum Thema:

2012-03-02 Vorbericht:
Die Nazarener in Rheinland-Pfalz,
drei Ausstellungen im Jahr 2012


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